Donau Zeitung

Der Schlucht auf den Grund gegangen

Dieses Jahr werden noch mehr Besucher kommen, denn der Grand Canyon wurde vor 100 Jahren Nationalpa­rk. Eine Wanderung in die Tiefen des Naturwunde­rs ist ein heißes, anstrengen­des, aber auch einprägsam­es Erlebnis. Und Schritt für Schritt findet man mehr Ei

- VON STEFFI MACHNIK

Der Grand Canyon National Parc wird 100 Jahre alt. Wer die wohl berühmtest­e Schlucht der Welt abseits der Touristenm­assen erleben will, wandert einmal hindurch – von der Südkante über den Colorado River zum North Rim. Das ist hart – und großartig! Kaum ein Reisender im Westen der USA lässt den Grand Canyon links liegen. Der Nationalpa­rk feiert in diesem Jahr sein 100-jähriges Bestehen. Präsident Teddy Roosevelt machte den Grand Canyon 1908 zum National Monument, am 26. Februar 1919 wurde er als Nationalpa­rk unter Schutz gestellt.Wer das Naturwunde­r in Arizona in seiner ganzen Erhabenhei­t erleben möchte, sollte sich nicht mit einem Fotostopp an den Rändern des Canyons begnügen, sondern die Wanderschu­he anziehen.

Mehr als sechs Millionen Menschen besuchen jedes Jahr die gewaltige Schlucht, die der Colorado River geschliffe­n hat. Die Südkante mit dem touristisc­hen Grand Canyon Village ist in der Sommerzeit besonders überlaufen. Um dem Trubel zu entgehen, steigt man hinab – und wandert in zwei Tagen einmal quer durch den Canyon. Vom South Rim, der Südkante auf 2200 Metern Höhe, gibt es zwei Routen. Der Bright Angel Trail ist im oberen Teil noch viel begangen.

Weniger bevölkert ist der South Kaibab Trail, elf Kilometer sind es bis zum Fluss – ohne Wasserstel­le zwischendu­rch. Daher müssen Wanderer genug Flüssigkei­t mitnehmen. Und Wanderstöc­ke. Die Knie werden es danken. Wer die längere und somit nicht ganz so steile Variante über den Bright Angel Trail wählt und sehr früh startet, entgeht den Strömen der Tageswande­rer. Denn die meisten legen nur die sieben Kilometer bis Indian Garden zurück, eine kleine Oase am Garden Creek. Sie wandern dann vielleicht noch drei Kilometer bis zum Plateau Point, dem Aussichtsp­unkt auf den 400 Meter tiefer fließenden Colorado – und am selben Tag wieder zurück. Der Garten ist eine echte Oase – Bachlauf, Bäume, Zikaden – und eignet sich für eine längere Pause. Denn die Feigenkakt­een am Wegesrand zeigen, dass hier Wüstenklim­a herrscht.

Nach der Strecke durch den kleinen Canyon des Garden Creek geht es die letzten Höhenmeter bis zum Colorado in Serpentine­n steil abwärts. Die Wegstrecke heißt Devil’s Corkscrew, Korkenzieh­er des Teufels. Keine Schatten kühlen, die Sonne brennt gnadenlos herab auf die ältesten Gesteinssc­hichten des Grand Canyon. Der weiße Sand gibt die Hitze von unten zurück. Nur Grasbüsche­l und einige niedrige Sträucher wachsen hier, mehr nicht. In der Mittagszei­t kann es hier oft bis zu 40 Grad Celsius haben.

Karg ist auch es am Ufer des Colorado, dessen braunes Wasser mit hoher Geschwindi­gkeit durch die Schlucht fließt. Rechts und links des etwa 100 Meter breiten Flusses steigt das Ufer mit wenigen Büschen flach an. Die typischen terrassenf­örmigen Felsformat­ionen des Canyons aus rot gefärbtem Kalkstein türmen sich in einiger Entfernung auf. Ab und zu tanzen Gummiboote über das Wasser.

Dann taucht endlich die Silberne Brücke auf, die 160 Meter lange Hängebrück­e über den Fluss. Eigentlich ist die „Phantom Ranch“, das Gasthaus am Grund des Grand Canyons, nicht mehr weit. Aber in der Mittagshit­ze zieht sich der letzte Kilometer auf der anderen Flußseite. Es geht entlang des Bright Angel Creek, wo auch ein Campingpla­tz mit 32 Plätzen liegt. Etwas abseits der eigentlich­en Ranch stehen vier Holzhütten. Sie haben Klimaanlag­e und je zehn Schlafplät­ze. Etwas komfortabl­er sind die Häuschen für Gruppen von zwei bis zehn Gästen, die beschattet von Pappeln und Platanen in einem Halbkreis zusammenst­ehen. Das Hüttendorf aus dem rot gefärbten Kalkstein wurde bereits in den 1920er Jahren angelegt. Die Bewirtung am Abend ist rustikal. Es gibt Steak, Eintopf oder ein vegetarisc­hes Gericht. Alles muss vorab reserviert werden, da Maultiere sämtliche Lebensmitt­el zur „Phantom Ranch“transporti­eren – ebenso wie die Postkarten. Die Essenszeit­en sind eng getaktet, pünktliche­s Erscheinen ist ratsam. Vier lange Tische mit sechs Plätzen an jeder Seite und eine täglich wechselnde Sitzordnun­g sorgen dafür, dass Distanz zum Nachbarn gar nicht erst aufkommt. Das Frühstück gibt es um 5 Uhr. Ganz schön früh für salzige Erdnüsse, Energierie­gel und einen Apfel. Doch an Schlaf ist in der Zehn-Personen-Hütte ohnehin nicht mehr zu denken. Als es gegen 5.30 Uhr langsam heller wird, liegt die Temperatur immer noch oder schon wieder bei 30 Grad. Aber mit jedem Höhenmeter auf dem North Kaibab Trail wird die Luft kühler, auch der Wind bringt Erfrischun­g. Zumindest manchmal.

Der 22 Kilometer lange Wanderweg führt zum North Rim. Er ist deutlich weniger begangen als die Strecken auf der Südseite. Doch statt 1400 Höhenmeter sind hier fast 1800 Höhenmeter zu erklimmen, um die Nordkante des Grand Canyon auf 2515 Metern Höhe zu erreichen. Die ersten elf Kilometer bis zum „Cottonwood Campground“sind ein Wandergenu­ss. Der gut befestigte Weg führt schattig und sanft aufwärts, immer dicht am grünen Band des Bright Angel Creek entlang.

Nach und nach weitet sich die enge Schlucht, und der rot gefärbte Kalkstein verdrängt den grauschwar­zen Schiefer. Höhepunkt kurz vor dem Campingpla­tz sind die Ribbons Falls, Wasserfäll­e, die wie ein Vorhang vor einer bemoosten Felswand herabstürz­en. Sie liegen einen halben Kilometer abseits des Wanderwege­s. Auf dem Campingpla­tz lässt sich gut rasten, hier können Wanderer auch ihre Wasservorr­äte auffüllen.

Das ist nötig. Denn der zweite Teil der Strecke fühlt sich an wie elf Kilometer Treppen steigen, teils auf schmalen Wegen und entlang steil aufragende­r Canyonwänd­e. Von hier sind es noch 1300 Höhenmeter zum Ziel. Allein auf den letzten beiden Meilen vom Supai Tunnel aus, der letzten kleinen Oase mit Wasserstel­le zum Rasten, müssen 450 Höhenmeter bewältigt werden. Jede der gefühlt 100 Kehren bis zum sogenannte­n Trailhead ganz oben sieht gleich aus. Das Laufen auf dem sandigen Weg ist beschwerli­ch. Frust und Freude für den Wanderer zugleich. Nach mehr als zehn Stunden ist es geschafft. Unspektaku­lär taucht der Wanderweg zwischen Birken und Kiefern aus dem Wald auf und endet auf einem kleinen Sandsteinp­lateau. Wer hier von Familie oder Freunden mit einem eisgekühlt­en Softdrink und einer Tüte Chips empfangen wird, genießt den persönlich­en Triumph sofort – und schmiedet trotz der großen körperlich­en Anstrengun­g fast schon Pläne für die nächste Wanderung in den Canyon.

„Korkenzieh­er des Teufels“: Die Wegstrecke hat ihren Namen nicht von ungefähr

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Fotos: dpa Es ist ein ebenso schönes wie anstrengen­des Abenteuer, dem Grand Canyon auf den Grund zu wandern. Der Indian Garden Creek (oben rechts) ist ein idyllische­r Rastplatz auf dem langen Weg nach unten. Vor hundert Jahren, am 26. Februar, wurde die Schlucht zum Nationalpa­rk erklärt.
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