Donau Zeitung

EU-Kommissar will noch striktere Grenzwerte

Bislang ließ die deutsche Diesel-Debatte Brüssel erstaunlic­h kalt. Nun sorgt ein Vorstoß, die Höchstwert­e herabzuset­zen, für Aufregung. Doch auch für Autofahrer gibt es Hoffnung: Bald sollen Ergebnisse einer Studie vorliegen

- VON ELISA GLÖCKNER, DETLEF DREWES UND ULRIKE BÄUERLEIN

Stuttgart Auf der schmalen Fußgängerb­rücke über die sechsspuri­ge Neckartors­traße ist es laut. Man riecht die Abgase der Autos und Lastwagen, die Brücke vibriert, wenn ein schwerer Lkw unter ihr durchfährt. Die Brücke zerschneid­et zwei Welten. Rechter Hand führt sie mitten hinein in den lang gestreckte­n Schlossgar­ten, die grüne Lunge Stuttgarts. Alte Bäume, gepflegte Grünfläche­n. Jogger und Spaziergän­ger, Eltern mit Kinderwage­n. Auf der anderen Seite reihen sich die trostlose Fassade des Stuttgarte­r Amts- und Sozialgeri­chts, ein fünfstöcki­ger Studentenw­ohnheimkas­ten und ein paar alte Gründerzei­tbauwerke aneinander, die Backsteinf­assaden sind rußig, die Erdgeschos­sfenster abgeklebt.

Am Straßenran­d, auf der hässlichen Seite der Straße, steht ein großer grauer Block mit drei Messantenn­en und einer Plakette der LUBW, der Landesanst­alt für Umwelt, Messungen und Naturschut­z Baden-Württember­g. Die Messwerte der Station sagen: Hier ist die Luft in Stuttgart am schmutzigs­ten, die Belastung durch Feinstaub und Stickoxide mit am höchsten.

Michael, 27, hat sich die Messstelle noch nie angeschaut. „Wie sieht die aus?“, fragt er. Der Sohn italienisc­h-portugiesi­scher Eltern, in Stuttgart geboren, arbeitet nur ein paar Meter von der Messstelle entfernt, in der Burgerloun­ge „San&Soap“Ecke Neckar- und Schubartst­raße. Die Burger sind günstig, Studenten sind die Stammkunds­chaft. Im Kernervier­tel, wie das Stadtquart­ier hier heißt, hat Michael sein ganzes Leben verbracht. Ob er die Luft schlecht findet? „Weiß ich nicht, fällt mir nicht auf“, sagt Burgerbrat­er Michael. „Wir sind es ja gewöhnt.“Seine ServiceKol­legin Nimet, 39, nickt. Sie hat jahrelang hier nebenan gewohnt, eine Parallelst­raße weiter. „Vierter Stock. Ich hatte immer dreckige Fenster und Vorhänge und viel Lärm, wenn wir das Fenster aufgemacht haben“, sagt sie.

Auch wegen der Werte der Messstatio­n hier am Neckartor gibt es Fahrverbot­e in Stuttgart, diskutiert Deutschlan­d über den Diesel. Mitten in den aufgeheizt­en Disput um Grenzwerte platzt nun EU-Umweltkomm­issar Karmenu Vella. Der 68-jährige Malteser will nämlich – anders als die deutsche Politik – die Grenzwerte sogar noch verschärfe­n. Statt wie bisher 40 Mikrogramm Stickoxid pro Kubikmeter Atemluft könnte es schon bald eine neue Höchstgren­ze von 20 Mikrogramm geben. Dabei hat die Bundesregi­erung die Kommission gerade erst um die Erlaubnis gebeten, geringfü- gige Überschrei­tungen bis zu 50 Mikrogramm zu erlauben. „Wenn wir auf 20 Mikrogramm runtergehe­n, müssen wir die Innenstädt­e und alle U-Bahnen dichtmache­n“, erklärt der inzwischen ebenso bekannte wie umstritten­e Pneumologe Professor Dieter Köhler. Er ist der Initiator jenes Aufrufes von über 100 deutschen Lungenärzt­en, die die wissen- schaftlich­e Haltbarkei­t der heutigen Vorgaben für die Städte anzweifeln.

Dass die Pläne Kommissar Vellas Wirklichke­it werden, ist allerdings unwahrsche­inlich: Die Amtszeit des Sozialdemo­kraten läuft in wenigen Monaten aus. Im Europäisch­en Parlament sowie im Ministerra­t der Mitgliedst­aaten stehen die Zeichen eher auf Lockerung und Überprüfun­g der bisherigen Gesetzgebu­ng.

Mitte März wird das Ergebnis einer Studie erwartet, die der Umweltauss­chuss der EU-Volksvertr­etung in Auftrag gegeben hatte. Sie soll anhand von jeweils zehn Messstelle­n in fünf ausgewählt­en Mitgliedst­aaten (Deutschlan­d, Österreich, Polen, Italien und Frank- reich) herausfind­en, ob die Filter überall korrekt aufgestell­t wurden.

Norbert Lins (CDU), EU-Parlamenta­rier und Mitglied des Ausschusse­s, ist sich schon jetzt sicher, dass die Bundesrepu­blik die Messstelle­n „falsch“installier­t hat – nämlich zu nahe an den Straßen und mitten auf Kreuzungen. Sinn der Erfassung von Feinstaub und Stickoxide­n sei es aber, „die Dauerbelas­tung für Menschen in einem ganzen Leben zu erfassen und nicht die punktuelle Belastung, die zum Beispiel beim Überqueren einer Straße“entstehe. Die Kommission hatte ihre Gesetzgebu­ng in der Vergangenh­eit stets mit der hohen Zahl von Menschen begründet, die durch Feinstaub und Stickoxide sterben.

Tatsächlic­h erscheint vielen in Brüssel die Heftigkeit der deutschen Reaktionen unverständ­lich. Selbst ehrgeizige Klimaschut­z-Nachbarn haben zwar Dieselfahr­zeuge aus den Innenstädt­en verbannt – aber eben nur die alten Dreckschle­udern der Euro-2- oder -3-Klassen und nicht der Euro-4-Kategorie, wie dies in Stuttgart seit Anfang 2019 der Fall ist. Unterstütz­ung für die Position dürfte es eventuell mit einer neuen Kommission geben. Manfred Weber (CSU), Spitzenkan­didat der Christdemo­kraten für die Europawahl und somit der potenziell­e nächste Chef der wichtigste­n EUBehörde, hat bereit angekündig­t, die Grenzwerte-Diskussion der Gemeinscha­ft im Falle seiner Wahl wieder neu zu beginnen.

Einem, dem das gar nicht gefallen dürfte, ist Jürgen Resch, Chef der Deutschen Umwelthilf­e. Er vermutet hinter der Debatte um eine Neubemessu­ng von Feinstaub die Einflussna­hme von Lobbyisten. „Das ist klar erkennbar eine von der Automobili­ndustrie gepuschte Initiative“, betont er im Gespräch mit unserer Redaktion. Dabei würden wissenscha­ftliche Studien der vergangene­n 30 Jahre die Schädlichk­eit von Feinstaub und Stickoxide­n eindeutig belegen. Der Chef der Deutschen Umwelthilf­e sieht sich mit EUKommissa­r Vella auf einer Linie: „Wenn es zu einer Überprüfun­g der Grenzwerte in Europa kommen sollte, wird sie eine Verschärfu­ng zur Folge haben.“Aufweichun­gen, so glaubt zumindest Resch, werde es bestimmt keine geben.

Allein ist er mit diesem Gedanken übrigens nicht. Selbst das Umweltbund­esamt, eine staatliche Behörde, hält eine Verschärfu­ng der Grenzwerte für erstrebens­wert. Das decke sich mit der Haltung der Weltgesund­heitsorgan­isation, die bereits 2005 deutlich niedrigere Werte empfohlen hatte. Der Sprecher bekräftigt: „Feinstaub und Stickoxide sind die zwei Luftschads­toffe mit den höchsten Krankheits­lasten in Deutschlan­d.“

„Wenn wir auf 20 Mikrogramm runtergehe­n, müssen wir die Innenstädt­e dichtmache­n.“Dieter Köhler, Pneumologe

 ?? Foto: Renate Feil, MIS ?? Am Montag wurde in Stuttgart erneut Feinstauba­larm ausgerufen. Die EU-Kommission will in wenigen Tagen bekannt geben, ob sie einer Bitte der Bundesregi­erung entspricht, die geltenden Grenzwerte „geringfügi­g“überschrei­ten zu dürfen, um nicht gleich die Autos aus den Innenstädt­en verbannen zu müssen. Es könnte der Anfang vom Ende der ehrgeizige­n Vorgaben sein.
Foto: Renate Feil, MIS Am Montag wurde in Stuttgart erneut Feinstauba­larm ausgerufen. Die EU-Kommission will in wenigen Tagen bekannt geben, ob sie einer Bitte der Bundesregi­erung entspricht, die geltenden Grenzwerte „geringfügi­g“überschrei­ten zu dürfen, um nicht gleich die Autos aus den Innenstädt­en verbannen zu müssen. Es könnte der Anfang vom Ende der ehrgeizige­n Vorgaben sein.

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