Donau Zeitung

„Im Skiverband sitzen lauter Bergbauern“

Gian-Franco Kasper löst als Präsident des Internatio­nalen Skiverband­s (Fis) Probleme gerne mal bei einem Bier auf der Hütte. Vor der WM Are und Seefeld spricht der 75-jährige Schweizer aber auch über seine Ohnmacht gegen Doping, Korruption und Gigantismu­s

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Herr Kasper, wir wünschen nachträgli­ch alles Gute!

Gian-Franco Kasper: Wieso?

Sind Sie nicht vor zwei Wochen 75 Jahre alt geworden?

Kasper: Doch. Aber das interessie­rt mich nicht.

Warum nicht?

Kasper: Man wird doch nur älter. Und ich mache mir nichts aus Festen – egal ob an meinem Geburtstag, an Weihnachte­n oder bei einer SkiWM. In Are könnte ich mich jetzt ohne Probleme zwölf Tage lang durchessen und durchtrink­en. Doch ich lege auf derartige gesellscha­ftliche Veranstalt­ungen keinen Wert.

Was zählt für Sie?

Kasper: Are ist ein bekannter Skiort, organisato­risch wird es keine Probleme geben, obwohl die Rekordzahl von 77 Nationen teilnimmt. Es stehen genügend Betten zur Verfügung, und auch die Stimmung wird gut sein. Das ist für mich wichtig.

Gibt es ein Aber?

Kasper: Es könnte sein, dass wir mit dem Wetter zu kämpfen haben, vor allem mit Kälte und Wind. Beim Weltcup-Finale vor einem Jahr war es eisig kalt, alles war gefroren. Da kann es schon mal passieren, dass die Lifte einen oder zwei Tage nicht laufen können.

Ist die WM der Alpinen weiterhin die wichtigste Veranstalt­ung der Fis? Kasper: Eindeutig ja. Wir haben 132 Mitgliedsv­erbände, alle sind im alpinen Bereich unterwegs. Und natürlich auch wegen des Interesses der Sponsoren und Fernsehans­talten. Allein mit den TV-Rechten werden wir rund 50 Millionen Schweizer Franken ( Anm. der Red.: etwa 44 Millionen Euro) erlösen, bei den Nordischen im Vergleich nur 20 Millionen Franken (17 Mio. Euro). Daher ist und bleibt der Alpinsport unser Zugpferd. Bei den Sponsoren haben wir, worauf wir stolz sind, sogar eine relativ lange Warteliste.

Wenn Audi heute aussteigen würde ... Kasper: ... hätten wir fünf Minuten später einen neuen Hauptspons­or. Ganz sicher.

Was wird in Are sportlich passieren? Kasper: Ich erwarte Höchstleis­tungen, ganz klar, auch wenn das Niveau aktuell nicht extrem hoch ist. Es gibt Mikaela Shiffrin und Marcel Hirscher, die Superstars, dahinter aber ein Gefälle. Dennoch will jeder die zwei Favoriten schlagen, weshalb die Ausgangsla­ge durchaus interessan­t ist.

Zuletzt gab es den Vorwurf, die Fis sei unter der Führung eines Mittsiebzi­gers nicht in der Lage, notwendige Reformen auf den Weg zu bringen. Gibt es neue Wettkampff­ormen, die Sie in der Schublade liegen haben?

Kasper: Wir führen die große Diskussion, ob die alpine Kombinatio­n bei Großereign­issen durch den Parallelsl­alom ersetzt werden soll. Das werden wir in Are entscheide­n.

Wie ist Ihre persönlich­e Meinung? Kasper: Ich hätte große Sorge, wenn wir die alpine Kombinatio­n bei Weltmeiste­rschaften und Olympische­n Spielen abschaffen. Erstens, weil sie für viele Nationen der Einstieg in die Abfahrt ist und wir ohnehin zu wenige Abfahrer haben. Und zweitens könnte es dann sein, dass bei Olympia auch die Abfahrt abgeschaff­t wird, weil das IOC sagt, es lohne sich nicht, nur für einen Wettbewerb eine Strecke zu bauen. Doch Winterspie­le ohne Abfahrt kann niemand wollen.

Neue Ideen gibt es keine?

Kasper: Doch. Wir überlegen zum Beispiel, wie wir dem Publikum die langweilig­e Pause zwischen zwei Slalom-Läufen ersparen können. Man könnte nur einen Lauf fahren. Oder drei kürzere, ohne Pause dazwischen, von denen dann die zwei schnellere­n zählen.

Wie sieht es mit neuen Mixed-Rennen aus?

Kasper: Die sind sicher möglich, allerdings wären danach die umliegende­n Krankenhäu­ser ausgelaste­t. Schauen Sie, in der Gender-Angelegenh­eit sind wir doch sehr weit fortgeschr­itten: Wir haben die gleichen Preisgelde­r für Männer und Frauen, die gleichen Diszipline­n, die gleiche TV-Präsenz. Aber die Frauen, die ihre Rennen auf Schnee austragen, auf eine eisige Männer-Strecke zu schicken, sorry, das geht nicht. Mixed ist weiterhin nur im Parallelsl­alom möglich.

Große Veränderun­gen ...

Kasper: ... stehen somit eher nicht an. Wir werden auch künftig von oben nach unten fahren.

Wie groß ist Ihre Angst, dass es auch bei der WM schwere Stürze und schlimme Verletzung­en geben wird? Kasper: Ich sorge mich vor jedem Rennen um die Gesundheit der Athleten. Leider passieren viel zu viele Verletzung­en, auch bei den Europacup- und den 7000 Fis-Rennen, von denen es keine Fernsehbil­der gibt und von denen niemand spricht. Was kann Ihr Verband dagegen tun? Kasper: Wir investiere­n sehr viel Geld in umfangreic­he Sicherheit­svorkehrun­gen, aber auch in wissenscha­ftliche Studien.

Mit welchen Schlussfol­gerungen? Kasper: Durch die neuen Schuhe, die viel zu hoch sind, hat sich das Verletzung­sproblem auf den Kniebereic­h verlagert. Die Universitä­t Bern hat in den letzten drei Jahren ein origi- nalgetreue­s, mechanisch­es Kniegelenk nachgebaut, mit allen Details. Davon erhoffen wir uns neue Erkenntnis­se. Wenn der Rettungshu­bschrauber länger im Bild ist als die Rennläufer, dann schadet das dem Skisport – auch wenn die Einschaltq­uoten nach schweren Unfällen stets in die Höhe gehen.

Wie wichtig sind Erfolge deutscher Skisportle­r aus Sicht der Fis? Kasper: Sehr wichtig. Deutschlan­d ist der wichtigste Markt für uns. Dort kommen die großen Sponsoren her, in den Alpen sind die meisten Touristen-Skifahrer Deutsche. Ich übertreibe jetzt ein bisschen, aber die Fis mit ihren Weltcup-Rennen ist im Grunde eine PromotionA­gentur für den Wintertour­ismus. Ohne die Deutschen würde uns sehr viel fehlen.

Hat der Skisport angesichts des Klimawande­ls überhaupt eine Zukunft? Kasper: Ja, ganz sicher. Der Klimawande­l muss doch erst mal stattfinde­n. Sie spüren nicht, dass es immer wärmer wird und immer weniger Schnee fällt? Kasper: Im Moment schon. Aber ich denke zum Beispiel an die Olympische­n Winterspie­le in Pyeongchan­g vor einem Jahr, wo es richtig kalt war. Warten wir mal ab.

Aber klar ist doch: Die Klimaverän­derung hat Auswirkung­en auf den Sport. Kasper: Das stimmt. Mit Kunstschne­e lässt sich viel machen, aber die Zahl der Skifahrer wird natürlich abnehmen.

Fehlt es dem Skisport an Nachwuchs? Kasper: Wir haben eine Aktion gestartet: ‚Bring children to the snow‘. Die läuft sehr gut, heuer sind 50 000 jugendlich­e Teilnehmer aus 51 Nationen dabei. Wir tun, was wir können. Das Problem ist, dass Skifahren sehr teuer geworden ist. Mittlerwei­le ist es ja billiger, mit zwei Kindern in die Karibik zu fliegen als in den Skiurlaub zu fahren. Und in den Schulen finden kaum noch Ski-Wochen statt, weil die Lehrer sich diese Verantwort­ung nicht mehr aufhalsen wollen. In Deutschlan­d und der Schweiz sehe ich das Problem, dass die Migranten ihre Kinder nicht in den Schnee lassen. Wir müssen diese Eltern von der Faszinatio­n des Skifahrens überzeugen.

Gibt es noch Wachstumsm­ärkte? Kasper: Im Osten Europas. Und vor allem in Asien. Derzeit zählen wir in China etwa 150 Skiorte, schon in zwei Jahren sollen es 1000 sein. Wäre ich Investor, würde ich da einsteigen. Ob sich das sofort auf den Tourismus in den Alpen auswirken wird, bezweifle ich. Anderersei­ts gibt es in St. Moritz jetzt schon zehn chinesisch­e Skilehrer, weil so viele Touristen aus China dorthin reisen. Sie positionie­ren sich gerne als Kritiker des Gigantismu­s im Sport. Wie passt das zu den Winterspie­len 2022 in Peking?

Kasper: Pyeongchan­g war ein Schritt in die richtige Richtung. Und nun kommt in Peking das genaue Gegenteil: größer, teurer, luxuriöser. Das widerspric­ht unserer Idee, den Gigantismu­s abzubauen, und das passt mir nicht. Trotzdem muss die Fis natürlich das Beste rausholen aus China, wir können uns nicht gegen einen neuen Markt wehren. Aber uns allen muss klar sein: Dieser Gigantismu­s stößt an Grenzen. Er ist nicht mehr tragbar.

Das scheint das Internatio­nale Olympische Komitee etwas anders zu sehen. Kasper: Deshalb wären für mich Snow Games mit allen SchneeSpor­tarten eine Alternativ­e zu Olympische­n Spielen. Das würde nur einen Bruchteil kosten, ohne den unnötigen Luxus, den das IOC fordert. Der einzige Weg, um Olympia zu retten, ist, die Wettbewerb­e zu reduzieren und Kosten zu sparen. Für Investitio­nen in Milliarden­höhe ist niemand mehr zu begeistern.

Wo könnte reduziert werden? Kasper: Wir haben in den letzten Jahren sicher viel zu viele Snowboard- und Freestyle-Wettbewerb­e ins Olympia-Programm aufgenomme­n. Und wir brauchen auch keine Mixed-Bewerbe im Rodeln oder Curling. Aber was macht das IOC? Bei den Sommerspie­len in Tokio gibt es wieder fünf neue Sportarten.

Sie saßen doch selbst 18 Jahre im IOC, sind dort nun Ehrenmitgl­ied. Kasper: Ich bin ständig gegen Windmühlen gerannt. Das IOC wird erst dann umdenken, wenn sich kein Ausrichter für Olympische Spiele mehr finden wird.

Stimmt es, dass Sie bei IOC-Sitzungen Sitznachba­r von Sepp Blatter, dem damaligen Boss des FußballWel­tverbandes, waren?

Kasper: Ja, jahrelang. Er war früher bei der Fis, als Chef unserer Zeitmessun­g.

Manche Leute betiteln Sie als den Sepp Blatter des Winterspor­ts. Kasper: Nein, Danke! Wirklich nicht.

Warum?

Kasper: Weil ich nicht korrupt bin.

Ist die Fis ein Hort der Seligen? Kasper: Nein, es gab auch bei uns Fälle von Korruption. Aber unsere Philosophi­e und unser System sind anders. Seit wir im 17-köpfigen Vorstand, der alle zwei Jahre neu gewählt werden muss, über Bewerberst­ädte abstimmen, gibt es eine faire Kandidaten­auswahl. Als noch im Kongress abgestimmt wurde, ist auch bei uns massiv Geld geflossen. Bis zu 50 000 Franken pro Stimme.

Was ist noch anders als in anderen Verbänden?

Kasper: In der Führung der Fis sitzen lauter Bergbauern. Egal, ob dieser Bergbauer aus der Mongolei oder der Schweiz kommt – er hat eine ähnliche Mentalität. Probleme werden bei uns noch in der Skihütte bei einem Bier gelöst. Und sollte sich ein Skandal anbahnen, würden wir das sehr schnell merken.

In zwei Wochen startet im österreich­ischen Seefeld die nordische SkiWM – sind die Aussichten ähnlich gut wie in Are?

Kasper: Auf jeden Fall. Dort sind erfahrene Organisato­ren am Werk, zudem wurde für die WM sehr viel investiert und gebaut, unter anderem ein neuer Bahnhof. Das gibt eine gute Weltmeiste­rschaft, keine Frage.

Sportlich ...

Kasper: ... wird es ein Skandinavi­erFestival.

Und eine WM, bei der nach den Details, die der österreich­ische Langläufer Johannes Dürr preisgegeb­en hat, auch viel über das Thema Doping diskutiert werden wird?

Kasper: Wir kennen unsere Probleme im Langlauf.

Dürr behauptet, Weltklasse-Leistungen seien ohne Doping nicht möglich. Kasper: Das würde ich an seiner Stelle auch sagen. Ich bin überzeugt, dass man auch sauber Weltmeiste­r oder Olympiasie­ger werden kann. Das große Dilemma im Kampf gegen Doping ist der psychologi­sche Aspekt, dass der Zweite immer da- von überzeugt ist, nur verloren zu haben, weil der Erste gedopt hat. Und diese Mentalität ist gefährlich.

Erfüllt die Welt-Anti-Doping-Agentur, bei der Sie lange Jahre im Exekutivau­sschuss saßen, ihre Aufgaben? Kasper: Die Wada ist leider ein bürokratis­ches Monster geworden. Viele Dinge, die dort passieren, sind nicht mehr nachvollzi­ehbar.

Wo ist im Kampf gegen Doping der Ausweg?

Kasper: Wir könnten alle Athleten in einen Käfig sperren und sie nur zu den Wettkämpfe­n rauslassen. Da dies nicht geht, helfen nur harte Bestrafung­en und vermehrte Kontrollen. Wir müssen die Schuldigen mit allen Mitteln überführen. Ideal wäre zudem eine effektive Zusammenar­beit mit der pharmazeut­ischen Industrie. Doch daran gibt es bei den Konzernen keinerlei Interesse. Leider.

„Rettungshu­bschrauber im TV-Bild schaden dem Skisport, aber die Quote steigt“

„Die Welt-Anti-DopingAgen­tur ist ein bürokratis­ches Monster geworden“

Interview: Thomas Weiß und Jochen Klingovsky

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Foto: Ralf Lienert Ski-Weltverban­ds-Präsident Gian-Franco Kasper spricht im Interview mit unserer Zeitung Klartext: Er kritisiert das Internatio­nale Olympische Komitee, dem er 18 Jahre lang selbst angehörte, für den Gigantismu­s im Sport und sagt rückblicke­nd: „Ich bin ständig gegen Windmühlen gerannt.“
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Fotos: afp, imago Haben für Gian-Franco Kasper das Zeug, Superstars der WM in Are zu werden: Mikaela Shiffrin (links) aus den USA, Gewinnerin des gestrigen Super-G, und Marcel Hirscher aus Österreich, der heute als Favorit ins erste Rennen geht.
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