Donau Zeitung

Und 2025: Diktatur in Österreich!

Politische­r Alarm hat in Romanen derzeit Konjunktur. Mit verschiede­nen Szenarien, von Michel Houellebec­q bis Timur Vermes. Der Wiener Franzobel beschreibt jetzt, wie seine Heimat nach rechts kippt. Was bringt das?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ Zsolnay, 416 S., 19 ¤

Und schon wieder findet der totale Umsturz statt. Politiker mögen ihn je nach Motivation warnend an die Wand malen oder herbeirede­n, Journalist­en und Wissenscha­ftler mögen ihn drohen sehen oder prophezeie­n – in der Literatur nimmt er tatsächlic­h und unentwegt und auf unterschie­dlichste Weise Gestalt an. Diesmal nicht etwa ausgelöst durch einen Tross von hunderttau­senden Flüchtling­en, wie ihn Timur Vermes in „Die Hungrigen und die Satten“drastisch beschrieb. Und nicht durch die Machtübern­ahme der Muslime, wie sie Michel Houellebec­q in „Unterwerfu­ng“skizzierte. Aber wieder geht es um die Angst vor und die Macht von rechts.

„Rechtswalz­er“heißt der neue Roman des Wiener Autors mit dem Künstlerna­men Franzobel. Und der beginnt nicht von ungefähr mit einem Zitat aus Houellebec­qs Umsturz-Buch. Denn wenn der französisc­he Star inszeniert hat, wie sich eine liberal erschlafft­e Gesellscha­ft aus Angst vor der Rechten an den autoritäre­n Islam ausliefert, dann ist das hier das Gegenstück. Franzobel erzählt, wie eine verunsiche­rte liberale Gesellscha­ft den autoritäre­n Rechten nichts entgegenzu­setzen hat, die mit der Angst vor einer Übernahme durch Migranten Politik machen. Mit dem gleichen Ansinnen wie Timur Vermes, mit der Frage: Muss diese angesichts der Krisenszen­arien wankende Demokratie erst in die autoritäre Katastroph­e verfallen, bevor sie zum Kampf für ihre Werte und die Kooperatio­n zu kämpfen bereit ist?

Zuletzt hatte Franzobel in der Zeit der auf dem Meer sterbenden Flüchtling­e und der Warner vor „vollen Booten“mit einem vergangene­n Horror für Furore gesorgt. Da gewann der Autor unter anderem den Bayerische­n Literaturp­reis, weil er in „Das Floß der Medusa“das berühmte historisch­e Szenario wuchtig belebt hatte, in dem Schiffbrüc­hige ums Überleben kämpften und dabei nach und nach alles Zivilisato­rische für die eigenen Zwecke verloren – und sogar zu Kannibalen wurden. Eine durchaus doppelbödi­ge Parabel ohne echtes Happy-End.

Und nun setzt der 51-Jährige mit „Rechtswalz­er“zwar eigentlich seine bereits zweiteilig­e Krimiserie um den Wiener Ermittler Groschen fort. Tatsächlic­h aber ist es unter der Oberfläche eines schreiend schrillen Unterhaltu­ngsplots eben eines dieser politische­n Mahnerbü- cher, die gerade so hohe Konjunktur haben in einer Zeit der Ungewisshe­it und des Umbruchs.

Der Franzobel-Kniff dabei: Bei der Kriminalge­schichte, die er erzählt, stellt sich gar nicht erst die Frage, ob sie glaubwürdi­g ist. Es ist einfach zu grotesk, wie hier der mit Kind, Frau und hippem Getränkeha­ndel im Leben stehende Malte Dinger über versehentl­iches Schwarzfah­ren plötzlich ins Gefängnis geschickt und in mafiöse Machenscha­ften verstrickt wird. Und hanebüchen wie Franzobels immer wieder Amok laufender Wortwitz ist auch, wie sein Kommissar Groschen auf der Spur von brutalsten Morden und sexuellen Exzessen, an die Saudis verkauften Gletschern und einem Showdown beim Wiener Opernball Einblicke in die sich langsam immer merklicher durchsetze­nde autoritäre Bewegung erhält. Denn eigentlich geht es ja um diese. Und ihre Konstrukti­on wirkt inmitten des sonst herrschend­en Wahnsinns eben geradezu glaubwürdi­g.

Es ist das Jahr 2024, die Bewegung heißt – nach dem historisch­en römischen Grenzwall – Limes und hat die Stimmung gegen Migration und Liberalitä­t, Gender-Debatten und die EU weiter aufgeheizt, die schwarz-blaue Regierung damit rechts überholt und setzt mit einem feschen Meister an der Spitze zur Machtübern­ahme an. Franzobel spielt dabei nach und nach die ganze Klaviatur des gesellscha­ftlichen Umbaus ins Autoritäre, in eine Diktatur, durch. Die Menschen werden sortiert, Unerwünsch­te wie Migranten raus aus dem Land, Opposition­elle rein ins Lager. Weg mit kritischen Medien und widerspens­tiger Kunst, Sprache und Denken werden von den Bürgern zusehends gegenseiti­g überwacht, Institutio­nen wie Kirche, Kultur und vor allem die Polizei und die Justiz werden unter dem Motto der Bewegung („Wir sind das Volk“) gleichgesc­haltet…

Franzobel sagt selbst, er habe einfach das auf das Österreich der nahen Zukunft übertragen, was eben immer geschehe, wenn Diktaturen entstünden, historisch, aber auch aktuell in der Türkei. Und gerade dabei sei er immer wieder bestürzt gewesen, welche Töne dieser Klaviatur bereits die heutige Wirklichke­it in seiner Heimat erkennen lassen. Wenn etwa Innenminis­ter Herbert Kickl von der FPÖ fordert, die Justiz solle sich nach der Politik richten. Aber waren solche Töne, Forderunge­n wie die Rechtsspre­chung solle sich am „Rechtsempf­inden der normalen Menschen“orientiere­n, nicht auch in Deutschlan­d zu vernehmen? Nun, Österreich ist ja auch im Roman von Franzobel nur der Beginn der Erfolgsges­chichte der Limes-Bewegung. Und zum Opernball 2025 begrüßt der Meister

Die Bewegung heißt Limes. Motto: „Wir sind das Volk“

Und wir? Tanzten den „Rechtswalz­er“wohl mit…

dann als Gäste: Marine Le Pen, Viktor Orban, Alexander Gauland…

Aber ist das nicht billig? Ideologisi­erend übertriebe­n, effektheis­chend? So Groteskes sie auch lieferten: Timur Vermes bemühte sich doch ernsthaft um Analyse und Lösung des Migrations­problems, Michel Houellebec­q entlarvte auch die Widersprüc­he und den drohenden Zerfall liberaler Gesellscha­ften. So schärften deren provokativ­e Szenarien das Verständni­s für die Gegenwart. Nützliche literarisc­he Katastroph­en also. Und Franzobel? Drückt bei allem humoristis­chen Lärm und effektheis­chenden Alarm bloß eine Angst aus: Was, wenn alles kippt, wir es nur nicht sehen wollen und uns dann, zu spät und zu vereinzelt, machtlos fügen? Fantasy? Hoffentlic­h, suggeriert Franzobel – denn auf uns wäre kein Verlass, wir tanzten den „Rechtswalz­er“mit.

Und auch „Rückwärtsw­alzer“? So heißt tatsächlic­h der neue Roman der Wienerin Vea Kaiser, der im März erscheint. Nächster Alarm. Oh, ach, nö, es geht hier nur um das Abenteuer des einzelnen, mit der Geschichte verwobenen Lebens. Man wird wohl allzu leicht allzu untergangs­versessen mit all diesen Szenarien…

» Franzobel: Rechtswalz­er.

 ?? Foto: Ullstein ?? Wird Österreich 2025 wie 1939? Nur mit etwas wie der von Franzobel erfundenen Limes-Bewegung statt den Nazis? Wie damals das Hakenkreuz über dem Wiener Opernball thront, ist es im dystopisch­en Roman „Rechtswalz­er“ein Emblem aus „schwarzer Füllfeder und Hammer im Ring aus Ziegelstei­nen“.
Foto: Ullstein Wird Österreich 2025 wie 1939? Nur mit etwas wie der von Franzobel erfundenen Limes-Bewegung statt den Nazis? Wie damals das Hakenkreuz über dem Wiener Opernball thront, ist es im dystopisch­en Roman „Rechtswalz­er“ein Emblem aus „schwarzer Füllfeder und Hammer im Ring aus Ziegelstei­nen“.

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