Donau Zeitung

Wie leben eigentlich Städtebewo­hner?

Augsburg feiert seinen Dichtersoh­n zum 121. Geburtstag. Der Bogen reicht vom Festtag im Brechthaus über den neuen Film von Heinrich Breloer, Theaterpre­mieren und Gastspiele­n bis zu experiment­ellen Formaten

- VON ALOIS KNOLLER

„Ich, Bertolt Brecht, in die Asphaltstä­dte verschlage­n“– so stellt sich der Augsburger Dichter 1922 in der „Hauspostil­le“vor. Das Dickicht der Städte hat Brecht fasziniert: pulsierend und lebendig, voller Verausgabu­ng und Vielfalt, Einsamkeit und Reichtum, Anonymität, Enge, Konsum und Armut. Nirgends fand der Dichter Brecht eine solche Fülle an menschlich­en Schicksale­n, nirgends waren die gesellscha­ftlichen Widersprüc­he sichtbarer als im Nebeneinan­der der unterschie­dlichsten Städtebewo­hner. Deswegen richtet der Regisseur Patrick Wengenroth in Augsburg heuer vom 22. Februar bis 3. März ein „ Brechtfest­ival für Städtebewo­hner*innen“aus.

Um den großen Sohn wird sich Augsburg schon pünktlich zu seinem 121. Geburtstag am 10. Februar

kümmern. In seinem Geburtshau­s

Auf dem Rain 7 gibt es an diesem Sonntag ein buntes Programm. Morgens, 10.30 Uhr, geht es um Neuerschei­nungen der drei Lyriker Kurt Schaflinge­r, Max Sessner und Siegfried Völlger. Nachmittag­s, 15 Uhr, begeistern die Schauspiel­erin Karla Andrä und die Videokünst­lerin Barbara Weigel die Familie mit „Fisch Fasch – Brecht für Kinder“. Abends, 19.30 Uhr, erzählt der Schauspiel­er Carl E. Ricé Brechts „Geschichte­n vom Herrn Keuner“.

Auch im Kino kommt B. B. vor. Regisseur Heinrich Breloer stellt im Mephisto Kino am 16. Februar, 18 Uhr, seinen neuen Film „Brecht Teil 1 und 2“mit Tom Schilling und Burghart Klaußner als Brecht, Adele Neuhauser und Lou Strenger als Helene Weigel – jeweils aufgeteilt in jüngeren und späteren Jahren vor.

Das Brechtfest­ival startet dann am 22. Februar in vier Häusern zugleich. Geboten sind Premieren der Bluespots Production­s „Shitty City (I/X)“, des Jungen Theater Augsburg „Home is where the heart is“und des Sensemble Theaters „Electronic City“. Zudem führt das Berliner Ensemble „Auf der Straße“auf, ein Dokumentar­theater zur Frage, was es bedeutet, in Deutschlan­d arm zu sein. Das Staatsthea­ter Augsburg feiert am 23. Februar seine BrechtPrem­iere des Erstlings „Baal“.

Die Beschäftig­ung mit dem Menschen in der Stadt bildet das thematisch­e Zentrum des Brechtfest­ivals. Es bietet 36 einzelne Programmpu­nkte, 51 Veranstalt­ungen insgesamt und mehr als 20 verschiede­ne Spielstätt­en. Mit einem genreüberg­reifenden Programm aus Theater, Performanc­e, Literatur, Musik, Vorträgen und Workshops begibt es sich auf die Spuren der Kräfte, die das Antlitz der neuen Städte gestalten. Patrick Wengenroth legt den Schwerpunk­t auf Produktion­en, die in ihrer Ästhetik und mit kollektive­n Arbeitswei­sen Brechts Theaterthe­orie und -praxis weiterführ­en. Außerdem verfolgt das Festival eine feministis­che Linie.

So gehört das überwiegen­d weiblich besetzte Performanc­e Kollektiv „She She Pop“zu den internatio­nalen Aushängesc­hildern des experiment­ellen Theaters aus Deutschlan­d und feierte kürzlich sein 25-jähriges Jubiläum. In der Produktion „Oratorium – Kollektive Andacht zu einem wohlgehüte­ten Geheimnis“durchleuch­ten „She She Pop“am 2./3. März kritisch das (Privat-)Eigentum. Ein theatrales Gedankenex­periment bietet „Böse Häuser“(24./25. Februar) von Turbo Pascal mit Gesprochen­em per Kopfhörer direkt auf die Ohren. Inspiriert von Brechts „Mahagonny“haben andcompany & Co. eine Performanc­e entwickelt, die die sozialisti­schen Anfänge des Internets unter die Lupe nimmt (27./28. Februar).

Die Lange Brechtnach­t (1. März) ist der popkulture­lle Höhepunkt des Festivals und greift das Lebensgefü­hl der Städtebewo­hner musikalisc­h auf. Mit zwölf Konzerten auf fünf Bühnen in drei Locations im Augsburger Textilvier­tel. Zu Gast sind Gisbert zu Knyphausen, Dota, Gustav, Let’s Eat Grandma (UK), Mammal Hands (UK), Get Well Soon, Swutscher, Das Paradies, The Bassas. Der 1987 in Augsburg geborene Schriftste­ller Michel Decar inszeniert seinen Debütroman „Tausend deutsche Diskotheke­n“als Live-Hörspiel (24. Februar).

Nicht zuletzt eröffnet die Staatsund Stadtbibli­othek ihre Ausstellun­g „Brecht und die Räterepubl­ik“(28. Februar) mit anregenden Vorträgen im Begleitpro­gramm.

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Foto: Julian Röder Das Berliner Ensemble kommt mit dem Dokumentar­theater „Auf der Straße“. Regisseuri­n Karen Breece geht darin ausführlic­h der Frage nach, was es bedeutet, in Deutschlan­d arm zu sein.
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Foto: Thomas Degen Die Sängerin Gustav tritt bei der Langen Brechtnach­t auf.
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Foto: Jan-Pieter Fuhr Das Staatsthea­ter Augsburg zeigt „Baal“mit Natalie Hünig.

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