Selbstsicher in brenzlige Situationen
Impulse Kriminalhauptmeisterin Sandra Gartner hat in Buttenwiesen ein Heimspiel. Sie ermutigt dazu, Zivilcourage zu zeigen
Buttenwiesen „Leider sind Sie etwas unpassend angezogen.“Erst grübelt Sandra Gartner etwas. Dann beschließt die Kriminalhauptmeisterin, dass sie ihre Übungen heute ausnahmsweise auch mal in Alltagsstatt Sportkleidung durchziehen werde. Auf manchem Gesicht bilden sich Stirnfalten. Was hat die 37-Jährige vor? Auf jeden Fall animiert sie die Besucher zum Wahrnehmen – was im Außen und in ihrem Inneren passiert. Ganz bewusst erzeugt Sandra Gartner wie bei ihren einleitenden Worten an dem Abend immer wieder Stress. Denn auch in Situationen, die ein couragiertes Eintreten erfordern, entsteht erst mal Stress.
Ein „Schema F“kann sie den Besuchern im Buttenwiesener Gasthaus Grüner Baum nicht bieten. Dafür vielerlei Impulse, um sich selbst
Wer etwas innerlich durchspielt, kann im Notfall besser reagieren
besser kennenzulernen. „Sie sollten in sich reinhorchen, was bin ich für ein Typ, was würde ich mir zutrauen.“Wer etwas innerlich durchspielt, könne im Notfall besser reagieren. Und genau darum ging es am Freitagabend bei der gemeinsamen öffentlichen Veranstaltung von VdK und Gemeinde.
„Vor was haben Sie Angst?“Gartner bekommt vielfältige Anworten: Dunkelheit, Gruppen, fremde Umgebung, dunkle Haltestellen und leere Zugabteils. Das Opfer einer Straftat oder eines sexuellen Übergriffs zu werden steht ebenso im Raum wie die Angst, das Falsche zu tun. Die Referentin kann vieles nachvollziehen, erzählt von sich selbst: „Wenn ich ehrlich bin, will ich nachts als Frau nicht mehr mit dem Zug alleine von München nach Hause fahren.“Gleichzeitig macht sie klar: „Sexuelle Übergriffe passieren die allermeisten im häuslichen Bereich.“Zum einen sei es wichtig, kritische Situationen wenn möglich zu vermeiden. Zum anderen gehe es darum, die eigenen Beschränkungen zu überwinden.
Ein Film zeigt eine realistische Si- tuation an einer U-Bahn-Station. Eine Frau wird von zwei angetrunkenen Männern angepöbelt. Einzelne andere Menschen bekommen die Situation mit. Doch keiner schreitet ein. „Warum helfen wir nicht?“Gartner spricht die Angst vor dem Kontakt an. „Die ist typisch für uns Deutschen und Europäer.“In solch einer Situation allerdings brauche es ein Miteinander. „Andere konkret ansprechen, die Hand reichen, kommen’s mit, Sie mit dem roten Pulli, wir helfen zusammen.“Die 37-Jährige zeigt, wie’s gehen kann, geht auf den einen oder die andere zu und spricht sie ganz direkt an.
Und sie fordert sechs Menschen zu einer weiteren Übung auf. Alle strecken sie ihre Zeigefinger aus und balancieren gemeinsam – ohne sich gegenseitig zu berühren – einen Stock. „Ziel ist, gemeinsam das Stöckchen auf den Boden zu legen!“So klar die Ansage der Polizistin ist, so konträr bewegt sich das Stöck- chen. Statt nach unten geht es immer weiter nach oben. Wie kommt’s? „Einer muss die Verantwortung und Initiative übernehmen“, fordert die Referentin. – Auf geht’s in den zweiten Versuch. Wer wagt es, aus dem Moment heraus klare Ansagen zu machen und das Kommando zu ergreifen? Hundertprozent klappt es auch diesmal nicht. Doch immerhin starten manche den Versuch. Und tatsächlich wandert der Stock dieses Mal eher nach unten statt nach oben.
Immer wieder macht Sandra Gartner klar: „Hilf, aber bring dich nicht in Gefahr.“Von Gesetzes wegen seien wir alle verpflichtet, bei einer Straftat nach unseren Möglichkeiten einzugreifen. Um eigene Gefahr zu reduzieren, sei es wichtig, andere Menschen zu bitten, einen aktiv zu unterstützen. „Raus aus der Anonymität, Verdrängung und Passivität“, fasst die 37-Jährige für potenzielle Helfer zusammen.
Ebenso lenkt sie den Blick auf das Opferverhalten. Ein Täter suche nie einen Gegner. Ein Täter suche immer ein Opfer, das ängstlich reagiert und sich nicht wehrt. „Wie steht jemand da, wie klingt seine Stimme?“– allein das sage schon viel aus. Daher fordert sie bei ihrem Vortrag alle auf, sich satt hinzusetzen, die Beine standfest am Boden, der Rücken gerade, tief einzuatmen und mit klarer deutlicher Stimme zu sprechen. Hilfreich sei es, dem Täter kurz in die Augen zu schauen, ohne zu provozieren. „Wie ich etwas sage, meine Körperhaltung, Stimme und Ausstrahlung machen 80 Prozent aus, was ich letztendlich sage nur 20 Prozent“, weiß die Polizeibeamtin durch Untersuchungen und Beobachtungen. Sollte der Täter dennoch nicht von einem ablassen, gelte es zu handeln, zu schreien und zu flüchten. Wer eine Waffe mit sich trage, müsse sich überlegen, wie sicher er damit umgehen könne. Schrillalarm, Trillerpfeife, Schlüssel, Haar- und Deospray sieht Sandra Gartner als sinnvoll an. „Unsere größte Waffe ist unsere Stimme und die haben wir immer dabei“, erinnert sie. Doch die müsse man trainieren. „Stellen Sie sich daheim vor den Spiegel, selbstbewusst, Schultern zurück. Dann treten Sie einen Schritt zurück und schreien so laut sie können: Stopp!“Oftmals versage in dem Moment die Stimme – wenn sie nicht geübt ist.
Ein Patentrezept hatte die 37-jährige Unterthürheimerin wie gesagt nicht dabei, doch viele Impulse, die zum Nachdenken und Nachmachen anregen.