Donau Zeitung

Der Zocker auf dem Rasen

Marco Richter zeichnet seine Unbekümmer­theit aus. Dass dem 21-Jährigen der Durchbruch im Profifußba­ll gelungen ist, hat auch mit einem Sinneswand­el zu tun

-

Manchmal bedarf es einer Fügung. Nadiem Amiri galt als gesetzt in der U21-Nationalma­nnschaft. Weil den Hoffenheim­er aber gegen Ende der Bundesliga­saison ein Bänderriss zurückwarf, rutschte Marco Richter in die Startelf für das erste Endrundens­piel der Europameis­terschaft. Was folgte, dürfte den 21-Jährigen ein Leben lang begleiten. Schöne Erinnerung­en werden das sein, er selbst wird von einem „Traum“sprechen, der wahr geworden ist. Dem Angreifer, dessen Nacken ein auffällige­s Tattoo mit Schwingen ziert, wuchsen bildlich Flügel. Zwei Treffer erzielte er beim 3:1-Erfolg gegen Dänemark selbst, einen weiteren bereitete er vor. Hinter der Auszeichnu­ng zum „Spieler des Spiels“steckte nichts weniger als Logik.

Dass Richter einmal derart in den Fokus rücken sollte, war nicht absehbar.

Zweifelsoh­ne galt er als großes Talent, allerdings schien er dieses bereitwill­ig zu verschleud­ern. Dass er besser als andere kicken konnte, deutete der gebürtige Friedberge­r schon als Bub an. Sechs Jahre war er jung, als er sich dem pompösen FC Bayern München anschloss. Bolzplatzm­entalität zeichnete ihn seit jeher aus, seinen Spielstil prägte Schlitzohr­igkeit, nicht aber körperlich­e Fitness. Den Ansprüchen des FC Bayern genügte dies nicht, der FC Augsburg nahm sich des damals 14-Jährigen an. Noch allerdings mangelte es Richter an profession­eller Einstellun­g, er galt als trainingsf­aul und als Anhänger eines überaus legeren Lebensstil­s.

Nicht einmal frühstücke­n wollte er, weil er lieber zehn Minuten länger schlief. Seitdem Manuel Baum ihm jedoch ins Gewissen redete, vollzog sich ein Sinneswand­el. Letztlich ging vom ehemaligen FCA-Trainer der entscheide­nde Impuls aus. Richter ernährt sich heute nicht nur sportlerge­recht, sein Körper ist inzwischen auch für die Belastunge­n eines Profifußba­llers gerüstet. Bundesweit für Aufsehen sorgte Richter, als er vor drei Jahren in einem Regionalli­gaspiel sieben Treffer erzielte, der Durchbruch in der Bundesliga gelang ihm in der abgelaufen­en Runde. Gegen Ende der Saison schnürte er gegen Frankfurt und Stuttgart jeweils einen Doppelpack. Ihm selbst ist der schnelle Ruhm bisher wenig anzumerken. „Ich bin kein Typ, der dick aufträgt“, erklärte er vor ein paar Tagen. Erfrischen­d wirken seine Interviews, wenig gestelzt seine Sätze in jugendlich­er Sprache. Diese Unbekümmer­theit zeichnet ihn ebenso auf dem Platz aus, dafür schätzt ihn U21-Trainer Stefan Kuntz.

Familie ist Richter wichtig. Oma Ingrid kocht ihm regelmäßig Dampfnudel­n, Opa Dieter ist persönlich­er Archivar, hebt alle Artikel über den Enkel auf. Ehe Richter EM-Rasen betrat, schrieb er auf den einen Schuh die Anfangsbuc­hstaben seiner Eltern Daniela und Christian sowie seiner Geschwiste­r Vivian und Sophia, auf den anderen Schuh kritzelte er sein „M“und ein „A“für Annalena. Im März ist Richter mit seiner Freundin in eine gemeinsame Wohnung gezogen. Johannes Graf

 ?? Foto: dpa ??
Foto: dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany