Donau Zeitung

Ein Kontrastpr­ogramm gegen die Mutlosigke­it

Ab heute treffen sich in Dortmund weit über 100000 Protestant­en unter dem Leitwort „Was für ein Vertrauen“

- VON ALOIS KNOLLER

Dortmund Wenn es in Deutschlan­d an etwas fehlt, dann ist es das Vertrauen – in die Parteien, die Institutio­nen, die Europäisch­e Union. Es scheint, als träfe der am heutigen Mittwoch beginnende 37. Deutsche Evangelisc­he Kirchentag in Dortmund den Nagel auf den Kopf mit seiner Losung „Was für ein Vertrauen“. Generalsek­retärin Julia Helmke sieht darin durchaus ein Kontrastpr­ogramm zu Gefühl der Ohnmacht, das sich breitmacht, als könne man eh nichts machen, um die Welt ins Bessere zu drehen. „Wir wollen ein Kirchentag der guten Nachrichte­n sein“, sagt sie im Gespräch mit unserer Redaktion.

Die Probleme sollen so gewendet werden, dass sie ins Positive führen. „Das heißt aber nicht, dass wir alles mit der rosaroten Brille sehen und naiv sagen: Gott wird es schon richten“, schiebt die promoviert­e Pfarrerin nach, die 1969 in Freising geboren wurde. „Wir haben über 2000 Veranstalt­ungen und da geht es um die harten Fakten, die Schwierigk­eiten und Herausford­erungen in der internatio­nalen Politik, der Flüchtling­skrise, den Umgang mit Rechtspopu­lismus, um Armut und Reichtum, Klimaschut­z und Bewahrung der Schöpfung.“

Dortmund werde einen Kirchentag der Beteiligun­g erleben. „Wir laden Menschen ein, die etwas zu sagen haben und die Gesellscha­ft mitgestalt­en, also auch mitverände­rn wollen“, sagt die Generalsek­retärin. Auf diesem Kirchentag gebe es „so viele partizipat­ive Angebote wie nie“. Das heiße: Menschen wollen wirklich mitgestalt­en. Nicht nur zuhören, sondern dabei sein.

„Tausende von Menschen nehmen sich Urlaub, machen sich auf den Weg, sind zum Teil seit langem dabei, um den Kirchentag zu ihrem Kirchentag zu machen. Um der zu spürenden Ohnmacht etwas Positives und Konstrukti­ves entgegenzu­setzen und zu sagen: Wir lassen uns nicht entmutigen“, beschreibt Julia Helmke das Stimmungsb­ild. „Das kommt auch von der biblischen Botschaft her, dass wir uns trauen, weil Gott uns ganz viel zutraut, und dass wir dieses Vertrauen in die Welt senden können.“

Nicht zufällig wird der Kirchentag wie die Bundesrepu­blik 70 Jahre alt. „Der Kirchentag ist gegründet worden aus den Erfahrunge­n des Nationalso­zialismus, um aus der biblischen Botschaft Widerstand­skraft zu entwickeln. Man sagte: Wir wollen eine demokratis­che Bürgergese­llschaft unterstütz­en und aus christlich­er Haltung Verantwort­ung für die Gesellscha­ft tragen“, erklärt Helmke. Damals galt es auch, eine Heimat zu schaffen. Denn viele Deutsche hatten nach dem Krieg ihre äußere und innere Heimat verloren. „Da war der Kirchentag ein Anker, um Gemeinscha­ft zu erfahren.“

Mit der Integratio­n ist es freilich nicht mehr so leicht. Das Kirchentag­spräsidium hat die AfD von den Podien verbannt. „Die Repräsenta­nten dieser Partei sagen so vieles, das nicht mit unserem christlich­en Menschenbi­ld vereinbar ist. Sie grenzen aus, sie setzen andere Menschen herab. Das brauchen wir nicht hören“, betont die Generalsek­retärin. Zugleich wird es in der Stadt sogenannte Barcamps geben, die ein Gesprächsf­orum sein wollen unter dem Motto: „Das soll doch noch gesagt werden dürfen!“Unter den Anhängern populistis­cher Ideen seien ja auch Christenme­nschen. „Sie sind uns auf dem Kirchentag willkommen, wir laden alle zu Gottesdien­sten und Bibelarbei­ten ein und schließlic­h interessie­ren sie genauso viele Themen, sei es Europa, Geschlecht­ergerechti­gkeit oder der Umgang mit dem Alter.“

Und der Kirchentag spielt selbstvers­tändlich auch auf Borussia Dortmund an. „Wir haben ein großes Zentrum Sport, da der Sport für viele Aspekte im Leben steht: Was mache ich alles, um zu gewinnen? Wie viel opfere ich, um Leistung zu erbringen? Wo setze ich meine Grenzen?“, erläutert Helmke. Auch die sozialen Brennpunkt­e der Ruhrgebiet­smetropole spart der Kirchentag nicht aus. „Wir haben bewusst das Zentrum Jugend an die Orte, wo sehr viele Kulturen zusammenle­ben, gesetzt, weil die Zukunft in dieser Multikultu­ralität besteht“, so die Generalsek­retärin. Für die Teilnehmer wird es einen Mittagstis­ch in Migrations­kirchen geben. Der Kirchentag will informiere­n und auch ein Gegengewic­ht setzen. „Wir bieten Stadtspazi­ergänge um das Thema Rechtsextr­emismus an, da Dortmund darin leider auch eine unrühmlich­e Geschichte hat und eine aktive Bürgergese­llschaft“, kündigt Helmke an.

Noch ein heikles Thema greifen die Protestant­en in Dortmund auf: Dem sexuellen Missbrauch gelten zwei der zwölf Hauptvortr­äge. Die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs sitzt auf dem Podium „Vertrauen und Vertrauens­missbrauch“– übrigens zusammen mit Benediktin­erpater Anselm Grün und Betroffene­n. Und der Arzt und Friedensno­belpreistr­äger Denis Mukwege debattiert mit Außenminis­ter Heiko Maas über den Schutz von Frauen und Kindern vor sexualisie­rter Gewalt weltweit.

„Viel zu lange“sei auch in der evangelisc­hen Kirche den Opfern zu wenig Aufmerksam­keit geschenkt worden. „Ich bin froh, dass sich meine Kirche jetzt auf den Weg macht mit einer unabhängig­en Stelle, an die sich Opfer wenden können“, sagt Helmke. Nicht zuletzt bietet der Kirchentag all denen eine Zuflucht, die zuweilen von ihrer heimischen Kirchengem­einde Ernüchteru­ng erfahren. „Hier erleben sie ein großes Miteinande­r“, verspricht sie.

„Wir machen Stadtspazi­ergänge zum Thema Rechtsextr­emismus, weil Dortmund darin leider auch eine unrühmlich­e Geschichte hat.“

Generalsek­retärin Julia Helmke

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Foto: Thomas Lones, dpa Gipfeltref­fen der Protestant­en: Von Lutherstad­t Wittenberg (2017) zieht der Deutsche Evangelisc­he Kirchentag nach Dortmund weiter.

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