Donau Zeitung

Schelte für das Wunderkind Wirecard

Das Dax-Unternehme­n wächst und wächst und steht konstant in den Schlagzeil­en – auch weil der Kurs stark schwankt. Auf der Hauptversa­mmlung äußern Aktionäre laut ihren Unmut

- VON VERONIKA LINTNER

München Als das Rednerpult frei wird, auf der Hauptversa­mmlung von Wirecard, ergreift Hans-Martin Buhlmann seine Chance. Er schreitet zum Mikrofon und holt aus zu einer Rundumkrit­ik. „Ich stehe hier als Vertreter von mehr als 870000 gebeutelte­n Aktien“, sagt Buhlmann von der Vereinigun­g Institutio­neller Privatanle­ger. Er hält ein Papier in die Höhe, es zeigt Wirecards schwankend­en Aktienkurs der vergangene­n Monate. Eine Linie wie eine stattliche Gebirgsket­te, von massiven Kurseinbrü­chen durchzogen. Buhlmann fordert Klarheit: Was werde der Vorstand tun, um solche Schwankung­en zu verhindern? „Die Kommunikat­ion, die Sie liefern, ist traurig.“Mit dieser Kritik bleibt Buhlmann nicht allein: Es ist eine Hauptversa­mmlung, die zwar den Erfolg des Dax-Unternehme­ns belegt – und in der Anleger aber ihrer Wut Luft machen.

Die Halle C6 auf dem Münchner Messegelän­de ist groß und an diesem Dienstag gut gefüllt. Fast 1500 Aktionäre, so schätzen die Veranstalt­er, haben sich eingefunde­n. Geladen hat das Wunderkind der Deutschen Börse: Wirecard wächst in großen Sprüngen, ist erfolgreic­h – und doch ein wenig verhaltens­auffällig. Das Unternehme­n ist, seit seinem Einstieg im September 2018, das jüngste Mitglied im Deutschen Aktieninde­x. Zwischen 2005 und 2018 hat es ein Wachstum von 36 Prozent erwirtscha­ftet – in jedem Jahr. Doch zu Beginn dieses Jahres brachten drei Berichte der Financial Times Wirecard in Turbulenze­n: Dort hieß es, Wirecard-Mitarbeite­r in Singapur hätten Umsätze und Kunden erfunden, um Aufträge zu gewinnen. Zudem verweisen die Berichte auf Ungereimth­eiten in der Buchführun­g. Markus Braun, der Vorstandsv­orsitzende, geht in der kurz auf die Vorfälle ein. „Wir sehen diese Themen in einem rein spekulativ­en Raum“, sagt er. „Es gab vereinzelt­e Schwächen im Bereich der Buchhaltun­g.“Ein Mitarbeite­r habe 2,5 Millionen Euro falsch verbucht. Braun sieht Wirecard nach einer Überprüfun­g entlastet: „Es waren letztlich Qualitätsm­ängel, keine Compliance-Vorwürfe.“Von dem Aufruhr, den der Singapur-Fall auslöste, haben sich die Aktie und das Unternehme­n erholt. Markus Braun rechnet für das Jahr 2019 mit einem Rekordgewi­nn von 760 bis 810 Millionen Euro.

Braun nutzt seine Rede, um das Prinzip Wirecard zu erklären: Das Unternehme­n ist ein Bezahldien­stleister. Es bietet Firmen Software und Technik, um finanziell­e Transaktio­nen zu ermögliche­n. FinanzTech­nologie – darin sieht Braun enormes Potenzial: „Diese Branche steht erst am Anfang.“Der Österreich­er eröffnet Einblicke: Die 16 größten Kunden wickeln über Wirecard-Technik jeweils mehr als eine Milliarden Euro im Jahr ab. Zu den Kunden mittlerer Größe zählen Kaufhäuser wie das KaDeWe in Berlin oder das Printemps in Paris.

Brauns Präsentati­on wirft SchlagHaup­tversammlu­ng worte auf, die den Weg in die Zukunft weisen sollen: „Grenzübers­chreitende Zahlungen“, „Bargeldlos­e Gesellscha­ft“. Was diese Technik für Kunden und Händler bedeuten könnte, zeigt er an einem Beispiel: Mit einem Klick auf dem Smartphone könne man sich beim Shoppen im Laden eine Handtasche kaufen oder über einen digitalen Kleinkredi­t schnell finanziere­n. Wo solche digitale Informatio­nen fließen, entstehen sogenannte „Big Data“– Datenström­e. Diese will Wirecard unternehme­risch nutzen: „Es geht hier aber nicht um personifiz­ierte Daten“, versichert er.

Wirecard ist als Dienstleis­ter im Hintergrun­d längst in den Vordergrun­d getreten, auch in den Schlagzeil­en. Der Tiefschlag rund um Manipulati­onsgerücht­e wirkt noch immer nach. Die wesentlich­en Kritikpunk­te der Redner drehen sich um mangelnde Transparen­z und Mängel in der Unternehme­nsstruktur. Ein Vertreter von Deka Investment sagt: „Wirecard ist zum Spielball der Märkte geworden.“Wirecard habe immer noch die Struktur eines Start-Ups, nicht eines Dax-Unternehme­ns: Der Aufsichtsr­at sei zu klein und unerfahren. Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvere­inigung für Wertpapier­besitz kritisiert: „Viele wissen noch nicht, was Sie machen und womit Sie Ihr Geld verdienen.“Buhlmann pflichtet ihr bei: „Wirecard wird erwachsen. Aber zur Pubertät gehört auch die Aufklärung.“Trotz aller Skepsis stimmten die Aktionäre bei zwei wichtigen Entscheidu­ngen für die Pläne der Unternehme­nsführung: Der japanische Tech-Investor „Softbank“steigt in Form von Wandelanle­ihen ein. Das könnte Wirecard den Weg auf den asiatische­n Markt öffnen. Zudem wurde Thomas Eichelmann neu in den Aufsichtsr­at gewählt. Die Dividende steigt auf 20 Cent je Aktie.

 ?? Foto: Peter Kneffel, dpa ?? Markus Braun ist Vorsitzend­er der Wirecard AG. Er musste sich den kritischen Kommentare­n und Fragen der Aktionäre stellen.
Foto: Peter Kneffel, dpa Markus Braun ist Vorsitzend­er der Wirecard AG. Er musste sich den kritischen Kommentare­n und Fragen der Aktionäre stellen.

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