Es geschah auf der Schultoilette
Ein Mann vergeht sich in einer Augsburger Grundschule an einem neunjährigen Mädchen. Nun musste das Landgericht beurteilen, ob der psychisch Kranke dafür bestraft werden kann
Augsburg Peter K.* lauscht dem Urteil, wie er nahezu den gesamten Prozess gegen sich verfolgt hat: ohne erkennbare Regung. Die Jugendkammer des Landgerichts Augsburg hat gerade angeordnet, dass der 21-Jährige in eine psychiatrische Einrichtung kommt, wohl für eine längere Zeit in einer bleiben muss, wenn man es genau nimmt. Denn Peter K., ein junger Mann mit polnischen Wurzeln, leidet an einer paranoiden Schizophrenie, er wird bereits seit Monaten in einer Klinik betreut. Ob er das Urteil annimmt? Ja, sagt er. Was in ihm vorgeht, ist für Außenstehende nicht zu deuten.
Was er getan hat und denkt, ist ohnehin schwer nachzuvollziehen. Im Oktober vergangenen Jahres betrat Peter K. eine Grundschule in Augsburg, sprach eine Schülerin vor der Mädchentoilette an, fragte die Neunjährige nach dem Weg zum Sekretariat, griff sie sich dann aber und trug sie in eine Toilettenkabine, wo er sie entkleidete und missbrauchte. Beim Übergriff wehrte sich das Mädchen und schrie laut. So wurde eine Mitschülerin aufmerksam; sie rief einen Lehrer. Dieser schritt ein und beendete den Übergriff. Womöglich wäre der Täter weiter gegangen, wenn der Lehrer ihn nicht gestoppt hätte.
Das Opfer wurde im Prozess von Lehrern als ausgesprochen kluges, aufmerksames Mädchen beschrieben. Natürlich habe die Tat Spuren hinterlassen, sagte ihre Mutter als Zeugin vor Gericht. Mittlerweile habe sich ihre Tochter aber stabilisiert, sie sei lebensfroh. Das Mädchen war ein Zufallsopfer, sie und der Täter kannten sich nicht.
Peter K. ist seit Jahren schwer psychisch krank. Der 21-Jährige sagte, Stimmen hätten mit ihm geredet und ihn zum Übergriff getrieben. Ein Gutachter sprach von einem „in sich geschlossenen Wahngebäude“, in dem der Betroffene lebte. Seit Jahren verunsicherte Peter K. sein Umfeld mit wirren Aussagen und Aktionen. In der Verhandlung wurde deutlich, dass er seinen Freunden und seiner Familie zunehmend unheimlich geworden war. So redete er davon, die Sonne zu sein, Gott zu sein, mit dem Teufel sprechen zu können. Er schlug einen Kumpel auf der Straße zusammen; einmal attackierte er auch einen Pfarrer, weil er dachte, er stehe dem Teufel gegenüber. Ein wildfremder Passant wurde vom 21-Jähmit dem Tod bedroht. Der Passant trug einen Koffer mit sich und Peter K. dachte, darin sei etwas Gefährliches aufbewahrt.
Ist ein Täter wegen einer psychischen Erkrankung nicht schuldfähig, kann er nicht bestraft werden. Das Gesetz sieht aber vor, dass das Gericht die Unterbringung im Maßregelvollzug anordnen kann, in einer klinischen Einrichtung für Straftäter. So ist es auch bei Peter K., der, davon waren alle Prozessbeteiligten überzeugt, in einem Zustand der Schuldunfähigkeit agiert hatte. Da sich Verteidiger Helmut Linck, Staatsanwältin Gudrun Wagner und Anwältin Mandana Mauss, die das missbrauchte Mädchen vertrat, einig waren, dass Peter K. in ein psychiatrisches Krankenhaus einzuweisen sei, war das Urteil der Kammer nicht überraschend. Die Vorwürfe hätten sich im Prozess vollumfänglich bestätigt, sagte der Vorsitzende Richter Lenart Hoesch in der Urteilsbegründung. Und der Prozess habe auch die Schuldunfähigkeit des 21-jährigen Mannes bestätigt, der vor der Tat zwar Medikamente erhalten, diese aber abgesetzt hatte.
In den Monaten vor dem Übergriff an der Schule, im April und im Mai, war Peter K. bereits zwei Mal ins Bezirkskrankenhaus eingewiesen worden. Die Unterbringung im Maßregelvollzug ist unbefristet, die Betroffenen werden dort behandelt. Wenn Gutachter feststellen, dass von einem Täter keine Gefahr mehr ausgeht, kommt er frei. Mindestens jährlich muss ein Gericht die Unterbringung überprüfen. Bei Peter K. könnte es lange dauern, ehe er entlassen wird, seine Behandlungsprognose ist laut dem Gutachter aufrigen grund einer Reihe von Faktoren eher schlecht: psychische Auffälligkeiten bereits im Kindergartenalter etwa, Drogenkonsum, kein stabiles soziales Umfeld. Richter Hoesch sagte bei der Urteilsverkündung, für den 21-Jährigen beginne der Weg erst richtig, wenn die Medikamente anschlügen, er müsse sie dann regelmäßig nehmen, eine Alltagsstruktur finden – und das möglicherweise in einer betreuten Einrichtung. Irgendwann sei Peter K. wieder für sich selbst verantwortlich.
In Augsburg hatte der Fall vergangenes Jahr eine Debatte über die Sicherheit an Schulen ausgelöst, größere Veränderungen dort gab es in der Folge aber nicht. Vertreter der Stadt betonten nach dem Vorfall, man wolle die Schulen nicht zu Hochsicherheitstrakten ausbauen. Der Fokus solle vor allem darauf liegen, Schüler und Lehrer durch Kurse auf entsprechende Situationen vorzubereiten. * Name geändert
Debatte über Sicherheit an Schulen