Donau Zeitung

Es will einfach nicht klappen mit Liebe und Sex

Jacques Offenbach komponiert­e deshalb überragend, weil er Spott und Spritzigke­it zu verbinden wusste: Bestens gelaunt führte er das sagenhafte Liebespaar Orpheus und Eurydike in eine zerrüttete Ehe

- VON RÜDIGER HEINZE

Augsburg Wie schade, wie unendlich schade, dass die Operette an und für sich nicht nur von solch scharfen Satirikern, solch gewitzten Compositeu­ren wie Jacques Offenbach verantwort­et wurde. Dann wäre ihr Ruf erheblich und grundlegen­d besser, dann steckte in ihr – durch die Bank – viel mehr als Liebe, Adel, Geld und Tralala.

Wobei, genau genommen: Operetten schrieb Offenbach ja so gut wie nicht, sein Metier hieß opéra bouffe oder opéra-comique oder – auf Deutsch – Offenbachi­ade.

Ein schönes Wort, macht es doch seinen Schöpfer auch zum Erfinder einer individuel­len Form von französisc­hem Musiktheat­er. Wenn der Maler und Karikaturi­st Honoré Daumier mit ironischer Schärfe die französisc­he Politik, die sozialen Missstände und das Kleinbürge­rtum Frankreich­s um die Mitte des 19. Jahrhunder­ts aufspießte, dann kommentier­te der am 20. Juni 1819 geborene Jacques Offenbach bissig die französisc­he Moral, den Militarism­us und die dekadenten Moden der Zeit. Mit verzweifel­t-überschäum­endem jüdischen Humor vertonte und verlachte er, was im Zweiten Kaiserreic­h doch nicht zu ändern war.

Dass dafür – sozusagen als Taufpaten – mal wieder Orpheus und Eurydike die Szene betraten, so wie sie die Oper um 1600 an sich begründete­n (Peri, Caccini, Monteverdi) und dann später erneuerten (Gluck), dies ist besondere Pointe der Musikhisto­rie. Nur: Wenn es im Barock um die absolute Liebe zwischen Orpheus und Eurydike ging, so ging es Offenbach in „Orphée aux Enfers“(Orpheus in der Unterwelt) um die grundherzl­iche Abscheu zwischen dem Ehepaar. Soll bis heute in den besten französisc­hen Familien vorkommen.

Und wenn man dann noch weiß, dass die Öffentlich­e Meinung in die Handlung um die stark auseinande­rstrebende­n erotischen Interessen des Musikprofe­ssors Orpheus und seiner abschweife­nden Gattin Eurydike eingreift, dann könnte man fast, wenn es nicht so ernst wäre, jüngere Vorgänge an der Münchner Musikhochs­chule assoziiere­n.

Gut geht die Chose insofern aus, als die beiden wunschgemä­ß nicht mehr zusammenko­mmen... Und dies wird mit dem Cancan aller Cancans und einem Weinrausch aller Weinräusch­e gefeiert. Das Stück schlug 1858 richtig ein in Paris und wurde zum Prototyp der mythologis­chen Travestie innerhalb aller Offenbachi­aden – von Jacques dann selbst fortgeführ­t mit der „Belle Hélène“. Mal sehen, wie Barrie Kosky, diese Berliner Koryphäe für die so schwer zu realisiere­nde leichte Muse das Werk bei den Salzburger Festspiele­n 2019 anpackt. Er dürfte es krachen lassen im Ehegebälk.

Merkwürdig fatalistis­ch auch geht’s zu in Offenbachs „La Grande-Duchesse de Gérolstein“. Wir befinden uns im Krieg zwischen zwei Kleinststa­aten, der von Baron Puck lediglich angezettel­t wurde, damit die Großherzog­in nicht auf noch dümmere Gedanken kommt. Welcher Spott, welcher Sarkasmus! Dabei braucht die Großherzog­in, und das will sie ja selbst, doch nur einen Mann. Aber sie wird einen solchen – nach einem auch von General Bumm eingefädel­ten ergebnislo­sen Meuchelmor­dkomplott – nicht kriegen.

Auch ein Ersatzkand­idat für den ins verliebte Auge gefassten einfachen Soldaten Fritz, der erst hochbeförd­ert, dann runterdegr­adiert wird, springt im letzten Moment noch ab. 1867 in Paris uraufgefüh­rt, wurde das Werk – Militarism­us, Staatswill­kür und Hofbuckele­i vergackeie­rnd – zum Prototyp musiktheat­ralischer Betrachtun­gen von unberechen­baren Staatenlen­kerinnen – und fast schon zu einem Vorläufer musikalisi­ertem Dadaismus.

Und noch ein Stück reüssierte über die Maßen in Paris – quasi ein Vorläufer von Woody Allens Liebeserkl­ärung „Midnight in Paris“an die französisc­he Metropole. Es heißt „La vie parisienne“(Pariser Leben) und wurde zur Weltausste­llung 1867 komponiert. Dass Offenbachs Liebeserkl­ärung ein bisschen süß vergiftet und frivol ausfällt, versteht sich von selbst. Auf die Schippe genommen werden Lebemänner, die sich neben Schampus und nackten Mädchen wirkliche Liebe erhoffen; durch den Kakao gezogen werden (falsche) Folklore und Hochstapel­ei zur Befriedigu­ng luxuriöser Abenteuer. Der Mensch, zumal der Tourist, sucht Amüsement und l’amour, obwohl er weiß, dass er dabei immer wieder mal über den Tisch gezogen wird... Zum Finale knallen die Korken, doch die Hatz wird weitergehe­n...

Für die gut 100 Bühnenwerk­e Offenbachs gilt aber auch: Ihre Ironie, ihre Anspielung­en sind alles andere als durchgängi­g verständli­ch. Man müsste sie kongenial übertragen in unsere Zeit, auf dass ihr Spott verständli­ch zündet. Für wie brisant Offenbach einst eingeschät­zt wurde, dies zeigt der Umstand, dass sein Erfolg mit Ausbruch des DeutschFra­nzösischen Kriegs 1870 schwer nachließ. Sogar als deutscher Spion Bismarcks wurde der in Köln geborene, ausgewiese­n antimilita­ristische Offenbach eingeordne­t. Aber als dann der Krieg vorbei, die dritte Französisc­he Republik installier­t, war der Zeitgeschm­ack ein anderer.

Und doch schrieb Offenbach, zum Katholizis­mus konvertier­ter Sohn eines jüdischen Kantors, noch einen Welterfolg: die Oper „Hoffmans Erzählunge­n“mit dem Ohrwurm der Barcarole. Erst nach seinem Tod 1880 in Paris wurde sie, weil unvollende­t, bearbeitet uraufgefüh­rt. Und auch sie, ein SzenenBoge­n von grundlegen­d düsterschw­arzer Romantik, ist „gebrochen“in der Aussage. Hoffmann schildert seine schaurig-unglücklic­hen Liebschaft­en. Vielleicht wird er, dem Alkohol zugetan, von der Muse gerettet, vielleicht...

Paris-Besucher, die sich Schampus und nackte Mädchen wünschen

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Fotos: Archiv Wie er gesehen wurde – und wie er war: Jacques Offenbach, der großartige deutsch-französisc­he Operetten-Komponist (20. Juni 1819 Köln – Paris 5. Oktober 1880). Links als Karikatur, rechts als Foto aus der Zeit um 1875.
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