Donau Zeitung

Ein närrischer Kopf zerbricht

Dieses Spektakel hat auch einen Sinn: Philipp Stölzl setzt Giuseppe Verdis tragische Oper „Rigoletto“auf dem Bodensee metaphernr­eich in Szene. Die Sänger müssen dabei unerschroc­ken sein

- VON INGRID GROHE

Bregenz Dieses Clownsgesi­cht wird man nicht vergessen. Weniger wegen der Größe des Kopfs und den bis zu 20 Metern, die er übers Wasser hinausragt. Es ist vielmehr sein Blick. Wie der schaut! Mit dem ersten Augenaufsc­hlag bannt er die Gäste der Bregenzer Festspiele und hält sie gefangen – bis zwei Stunden später das Drama des Hofnarren Rigoletto in wuchtigen Orchesterk­längen sein Ende findet. Dann allerdings ist längst jede Spur seines Lachens verschwund­en. Eine leere Fratze blickt ins Publikum, Donner und Lichtblitz­e fegen über sie hinweg. Regisseur Philipp Stölzl hatte für seine Bregenzer „Rigoletto“Inszenieru­ng ein Spektakel auf der Seebühne versproche­n – und dabei vermutlich gedacht: Wenn schon ein Spektakel, dann ein richtiges!

Anders lässt sich die kammerspie­lartige Oper von Giuseppe Verdi kaum auf Bregenz-Dimensione­n übertragen. Stölzl, der gemeinsam mit Heike Vollmer auch die Kulisse erdacht hat, zeigt keinerlei Scheu vor der Tiefe des Raums und den Erwartunge­n eines in der Mehrzahl wenig opernerfah­renen Publikums. Er liebt das Populäre und stellt sich die Frage nicht, ob ein Übermaß an Technik den Kunstgenus­s schmälert. Ganz im Gegenteil: Lustvoll greift er in die Wundertüte, die er mit Künstlern, Technikern und Artisten gefüllt hat, um bis 18. August den 190 000 Seebühnen-Besuchern den Atem zu rauben – und ihnen eine gute Geschichte zu erzählen.

Diese siedelt er in einem Zirkusumfe­ld an. Warum auch nicht? Einen Hofnarren als Clown zu präsentier­en und einen Herzog als autoritäre­n, selbstverl­iebten Zirkusdire­ktor – das funktionie­rt. Auch füllen Jongleure, Messerwerf­er, Dompteure und eine wilde Affenbande die Rollen von speichelle­ckenden Höflingen gut aus. Als kalte Handlanger rauben sie Frauen und führen sie dem Herzog zu; als zynische Beobachter parodieren sie ihren von Liebe säuselnden Herrn; als dienstfert­ige Pagen richten sie ihm Orgien aus; als schadenfro­he Kollegen verhöhnen sie den um die Tochter Gilda bangenden Rigoletto.

Neben Sängerdars­tellern, Chor und Statisten gehören 20 Stuntleute zu diesem schrillen Hofstaat, dem der Kragen des Riesenclow­ns als Arena dient. Wie billig der verführeri­sche Glitzer dieser Manege ist, zeigt sich, wenn ein Fluch den Herzog und Rigoletto trifft: Das Bretterrun­d bricht auseinande­r, Fragmente versinken im See. Diesem Auftakt folgt eine lange, schmerzhaf­te Dekonstruk­tion. Denn neben der Kopf-Funktion als Auftrittso­rt – gesungen und gespielt wird auf dem Haupt ebenso wie in Augenhöhle­n und Mund – dient die von schnaufend­er Hydraulik bewegte Bühnenskul­ptur als optischer Verstärker der Geschichte. Der Clownskopf erleidet selbst das Drama Rigolettos, der nicht verhindern kann, dass der Herzog seine Tochter Gilda entehrt. Wenn am Ende die Augenhöhle­n leer sind, die Nase abgefallen und Zähne ausgebroch­en, wird die Zerstörung fast körperlich spürbar.

Die Aufführung hält viele Metaphern bereit. Für die Vaterliebe Rigolettos findet Stölzl ein poetisches Bild: Wie ein fragiles Vögelchen hält die Clownshand schützend die Tochter Gilda – bis sich die Finger zum Gefängnis schließen. Fesselnd auch der Moment, als die von Liebe betörte Gilda mit dem Ballon abhebt, sich in 14 Metern Höhe auf den Korbrand setzt und ihre Sehnsucht besingt: Da bleibt dem Clown wie den Gästen vor Staunen der Mund offen stehen. Genial der Einfall zur Tenorarie „La donna è mobile“: Mit dem Text spielend, bastelt Stölzl ein Mobile aus vielbusige­n Frauenkörp­ern. An den Riesenfing­ern hängend, bewegen sich die Sexpuppen zur Ohrwurmmel­odie auf und ab, während der zynische Herzog über die Beliebigke­it seiner Eroberunge­n philosophi­ert.

Die Fülle an optischen Eindrücken könnte das Stück zerfledder­n, wären sie allein als Effekte gedacht. In Stölzls Regiekonze­pt jedoch dienen sie konsequent der Deutung. Er verweist auf die Me-too-Debatte, wenn Männer Mädchen wie Puppen aufziehen und – nach Gebrauch – fallen lassen. Er führt die Tragik des opportunis­tischen Narren vor Augen, der erst, breit lachend, als Rädchen im gnadenlose­n Machtappar­at funktionie­rt – bis er selbst dessen Grausamkei­t spürt.

Und die Musik? Mit ihrer Dramatik und Farbigkeit könnte Verdis Kompositio­n auch als Filmmusik funktionie­ren, was Stölzl ebenso zu nutzen versteht wie Dirigent Enrique Mazzola am Pult der Wiener Symphonike­r. Dieser baut Klangräume, lässt Musikern und Sängern viel Zeit für intime Momente. In Schlüssels­ituationen unterstrei­cht er Zeitlupenb­ewegungen der Darsteller mit starkem Ritardando, das die Szenerie auch mal zum Gemälde gefrieren lässt. Die hervorrage­nden Stimmen der Vokalsolis­ten werden dank der ausgeklüge­lten Bregenzer Tontechnik fein nuanciert übertragen. Abgesehen von ihrer Sangeskuns­t haben sie für ihre Unerschroc­kenheit Bewunderun­g verdient – auch in extremen Auftrittss­ituationen intonieren sie sicher und ausdruckss­tark.

Einmal greift Stölzl zu tief in die Trickkiste: In Kampf- und Klettersze­nen die Solisten durch Doubles zu ersetzen, ist üblich – beim Singen aber sollten sie sichtbar bleiben. Der Herzog, der am Ende in einer auf dem Clownskopf aufgespann­ten Hängematte „La donna...“trällert, bewegt nur die Lippen.

 ?? Foto: Matthias Becker ?? Das Bregenzer Seebühnenb­ild dieses Jahres macht besonders viel her – und eine Zirkustrup­pe inklusive Affenbande nimmt es in Besitz.
Foto: Matthias Becker Das Bregenzer Seebühnenb­ild dieses Jahres macht besonders viel her – und eine Zirkustrup­pe inklusive Affenbande nimmt es in Besitz.

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