Merkels Zittern und das Tomatenmark
Was die Kanzlerin über ihre Gesundheit sagt und mit welchen Einblicken in den Alltag der DDR sie überrascht. Auch zu ihren Urlaubsplänen wird sie gefragt
Berlin Bei einer Frage leuchtet das Gesicht der Bundeskanzlerin regelrecht auf: Nein, dass sie den CDUParteivorsitz abgegeben hat, das bereue sie nicht. Die Inbrunst, mit der sie das beteuert, wirkt nicht einstudiert. Gerade weil Angela Merkel weite Teile ihrer Sommerpressekonferenz so routiniert und sachlich wie immer abspult, stechen einige wenige Antworten heraus.
Bei manchen Themen wird die 65-Jährige ungewohnt emotional. Etwa wenn es um ihren Abschied aus der Politik geht, der mit dem Ende dieser Legislaturperiode und damit 2021 erfolgen soll. Wenn nicht die SPD schon vorher die Große Koalition mit der Union platzen lässt. An Merkel, das ist ihre Botschaft am Freitag im Haus der Bundespressekonferenz am Spreeufer, wird es nicht liegen. Sie ist, das zeigt sich in vielen Antworten auf Fragen der Journalisten, bereit, die volle Distanz zu gehen. Auf der Zielgeraden zwar, aber nicht amtsmüde. Vor allem aber nicht amtsunfähig.
Nach wochenlangen Diskussionen um mehrere Zitteranfälle der Regierungschefin bei öffentlichen Auftritten will sie klarstellen, dass sie, die kaum einmal krank war, seit sie 2005 Kanzlerin wurde, sich auch jetzt auf ihre robuste Gesundheit verlassen kann. Auf die simple Frage, wie es ihr denn jetzt gehe, antwortet sie schlicht: „Gut“– mit einem hörbaren Ausrufezeichen. „Ich die Fragen nach meiner Gesundheit“, sagt sie. Und sie bekenne sich zur besonderen Verantwortung des Amtes. Eine Kanzlerin müsse stets handlungsfähig sein. Um dann auf die bekannte Weise zu beruhigen: „Sie kennen mich ja nun schon eine Weile. Ich kann diese Funktion ausüben.“Mit ihrem Abschied als Kanzlerin spätestens 2021 ende ja schließlich nicht ihr Leben. Sie habe ein hohes Interesse daran, auch in der Zeit nach der Politik noch gesund zu sein.
Bis ihre Kanzlerschaft endet, will sie die Dinge selbstbestimmt gestalten, das ist ihr wichtig. Auch in der letzten Phase ihrer Amtszeit möchte sie auf das setzen, was sie schon durch die knapp 14 KanzlerinnenJahre zuvor getragen hat: auf „realistischen Optimismus und die Freude an dem, was man macht.“Das Wichtigste in der Politik, sagt Merkel, sei, „dass man neugierig auf Menschen bleibt“. Mit Krisen, ob nun ihrer angeblichen gesundheitlichen Schwäche oder dem Dauerstreit in der Großen Koalition, hält sie sich nicht lange auf. Lieber redet Merkel darüber, wie gut es doch aus ihrer Sicht im Moment eigentlich läuft.
Dass Deutschland mit ihrer Vertrauten Ursula von der Leyen zum ersten Mal seit Walter Hallstein wieder die Spitze der EU-Kommission stellt, sei doch ein großer Erfolg, sagt Merkel. Und kein Grund, „jetzt in Europa griesgrämig rumzurennen“. In der Koalition von Union und SPD gebe es zwar viele Konflikte, es sei aber eben auch schon viel gemeinsam erreicht worden, sagt sie. „Da, wo ein guter Wille ist, haben sich auch immer Wege gefunden.“Mit den drei Interimsvorsitzenden der SPD und Vizekanzler Olaf Scholz sei die Zusammenarbeit jedenfalls sehr gut.
Auch über zwei ihrer schärfsten unionsinternen Kritiker äußert sie sich lobend. Sie teile die Ansichten von Innenminister Horst Seehofer (CSU) zur Seenotrettung, sagt sie. Und ihrem ehrgeizigen Parteifreund Jens Spahn attestiert sie: „Er schafft ’ne Menge weg.“Sie arbeite sehr gerne mit dem Bundesgesundheitsminister zusammen.
Ein regelrechtes Ritual in der Sommerpressekonferenz der Kanzlerin ist die Frage nach ihren Urlaubsplänen. Über die sie stets, so auch in diesem Jahr, keine Auskunft gibt. Privates kommentiert sie generell nicht. Bis auf die Sondersitzung des Bundestags zur Vereidigung von Annegret Kramp-Karrenbauer als Verteidigungsministerin habe sie aber in der kommenden Woche keine Termine. Allzu viele Rätsel geben die Aktivitäten der Kanzlerin in ihrer kargen Freizeit ohnehin nicht auf. Im Frühjahr sucht sie regelmäßig etwas Entspannung auf der Insel Ischia. Während ihres meist dreiwöverstehe chigen Sommerurlaubs wird sie oft beim Wandern in Südtirol gesichtet. Auch Opernbesuche, etwa bei den Bayreuther Festspielen, stehen bei Merkel und ihrem Ehemann Joachim Sauer regelmäßig auf dem Ferienprogramm.
Über ein anderes Thema, das ihre persönliche Geschichte betrifft, spricht die Kanzlerin dagegen für ihre Verhältnisse ausschweifend. Die Unzufriedenheit vieler Menschen im Osten treibt Merkel, die als Pfarrerstochter im brandenburgischen Templin aufwuchs, spürbar um. Dass sich viele Menschen, die nach der Wende arbeitslos geworden seien, heute zurückgesetzt fühlten, könne sie verstehen: „Man war ja fleißig in der DDR.“Vielerorts seien junge Menschen in Scharen in den Westen gezogen, der Arbeit hinterher. Zurückgeblieben seien ältere Menschen mit ihrem Frust. Typische Fähigkeiten, die in der DDR wichtig waren, zählten heute nichts mehr. „Tomatenmark hamstern, im Winter Sommersachen kaufen, Tauschgemeinschaften bilden“, zählt sie auf. Kontakte zwischen Ost- und Westdeutschen seien nicht in ausreichendem Maß entstanden. Fast leidenschaftlich wirkt sie, als sie an die Deutschen appelliert: „Man muss sich mehr füreinander interessieren.“
Viele Konflikte mit der SPD, aber auch viel erreicht
Nur ein einziger Termin in der kommenden Woche