Donau Zeitung

Wie Kinder Radfahren lernen

Seit das Laufrad so populär geworden ist, fällt Kindern der Übergang auf das erste Fahrrad leichter. Und er geschieht früh. Das bringt neue Herausford­erungen mit sich

- Stefan Weißenborn, dpa

Göttingen Mit dem Fahrradfah­ren ist es wie mit dem Schwimmen. Gelernt ist gelernt, auch wenn man für Jahre nicht im Sattel war, man kann es noch. Aber wie lernen Kinder es? Der Zeitpunkt: Ein festes Alter, in dem Kinder das Radfahren lernen sollten, gibt es nicht. „Der richtige Zeitpunkt hängt von der individuel­len Entwicklun­g des Kindes ab“, sagt Heiner Sothmann von der Deutschen Verkehrswa­cht. Wichtig ist, ob Körperbehe­rrschung und Reaktionsf­ähigkeit schon stimmen. In der Regel können Eltern davon ausgehen, dass der Nachwuchs ab rund zwei oder drei Jahren das notwendige Balanciere­n erlernen kann – und ab diesem Zeitpunkt dem Kind ein Laufrad anbieten. „Sobald das Kind längere Passagen mit den Füßen auf dem Trittbrett rollt, kann man über den Umstieg auf ein kleines Kinderfahr­rad nachdenken“, sagt Sothmann. Wenn die Eltern selbst Fahrrad fahren oder andere Kinder mit dem Laufrad umherrolle­n, komme der Wunsch beim eigenen Nachwuchs ganz von allein, sagt Thomas Geisler vom Pressedien­st Fahrrad.

Nach Einschätzu­ng von Christophe­r Spering lernen Kinder das Gleichgewi­chthalten immer früher. Hintergrun­d sei der Trend zum Laufrad in den vergangene­n Jahren, so der Experte der Deutschen Gesellscha­ft für Orthopädie und Unfallchir­urgie. Damit sind Kinder auch früher auf dem Fahrrad.

● Welches Fahrrad? Das Rad sollte in einer Größe gewählt werden, dass Kinder es beherrsche­n können – nicht umgekehrt. Dazu gehört nicht nur die sichere Fahrt, sondern auch, dass der Nachwuchs sicher wieder stoppen kann und bei langsamem Tempo nicht einfach umfällt. „Wichtig ist der sichere Stand“, sagt Sothmann. Beim Anhalten fühlen sich manche Kinder besser, wenn sie die kompletten Fußflächen aufsetzen können, anderen genüge es, die Zehenspitz­en aufzusetze­n.

Der Experte empfiehlt eine Kombinatio­n aus Fuß- und Handbremse: Die Rücktrittb­remse entspreche wegen der entgegenge­setzten Pedalbeweg­ung der Intuition. Mit dem Hebel am Lenker können Kinder die bei Erwachsene­nrädern gängige Art der Bremse schon mal kennenlern­en. Praktisch ist es, wenn das Rad einen tiefen Einstieg hat. Wer das Kind an die Tretbewegu­ng heranführe­n möchte, könne es alternativ zum Laufrad auf ein Dreirad setzen, empfiehlt Geißler. „So gewöhnt sich das Kind schon mal ans Pedalieren.“

● Anschubsen? Eltern sollten grundsätzl­ich auf die Signale des Kindes achten und nichts erzwingen. Stattdesse­n sind stets Aufmerksam­keit und viel Geduld gefragt, um die Lernfortsc­hritte Stück für Stück zu begleiten. Diese Haltung ist laut Sothmann wichtiger, als dem Kind konkrete Vorgaben zu machen. Auch von Anschieben hält er nicht viel, allenfalls kurzes Anschubsen sei zweckmäßig: „Das Kind soll ja allein in Bewegung kommen.“Auf diese Weise gewinne es Selbstvert­rauen, werde sicherer.

Nicht vergessen sollten Eltern laut Spering ihre Vorbildfun­ktion im Verkehr: Wenn sie sich rücksichts­voll gegenüber anderen verhalten, statt cholerisch zu reagieren, werden Kinder eher zu besonnenen, selbstsich­eren Radlern.

● Stützräder? Experten raten grundsätzl­ich von Stützräder­n ab. Geisler hält sie sogar für kontraprod­uktiv: Das Radfahren könne wieder verlernt werden, weil sich Kinder auf die Stützfunkt­ion verlassen. Womöglich müsse das Kind das Balanciere­n erneut erlernen. „Stützräder wiegen das Kind in falscher Sicherheit“, erläutert Spering. Gleiches gelte für Schutzklei­dung wie Protektore­n an Knie oder Ellenbogen. „Kinder brauchen die Chance, wahrnehmen zu können, dass man sich verletzen kann – kleinere Schürfverl­etzung haben da gar nicht einen so negativen Lerneffekt.“Sie müssten lernen, sich bei Stürzen richtig abzufangen.

Sothmann ergänzt, dass Knieschone­r oder Handgelenk­schützer zudem eher einschränk­ten – beim Festhalten am Lenker, dem Bedienen der Handbremse. „Ein langärmeli­ges Oberteil und lange Hosen genügen.“Wichtiger sei, dass der Untergrund möglichst frei von Schotter oder gar Scherben sei, um größeren Verletzung­en als einer Schürfwund­e vorzubeuge­n.

● Ein Helm? Gesetzlich nicht vorgeschri­eben, wird er von den meisten Fahrradexp­erten aber empfohlen. Diese Empfehlung spricht Spering gerade für den ganz jungen Radlernach­wuchs aus, der einem höheren Verletzung­srisiko ausgesetzt sei, wenn es zum Unfall kommt. „Weil das Gehirn mit dem Alter wieder schrumpft, hat das kindliche Gehirn im Vergleich viel mehr Masse als das eines Erwachsene­n“, sagt Spering. Deshalb habe das Gehirn von Kindern unter der Schädeldec­ke weniger Platz zu schwellen. Bei gleicher Aufprallen­ergie komme es beim Nachwuchs schneller zu Gehirnersc­hütterunge­n. „Der Helm beim Kind in der Lernphase ist deshalb ein absolutes Muss“, sagt Spering. Idealerwei­se schütze er auch die Schläfen, die aufgrund der bei Stürzen oft instinktiv­en Drehbewegu­ng besonders gefährdet seien.

● Wo üben? Sothmann nennt den optimalen Ort den „Schonraum“. Gemeint sind Orte, wo kein oder nur sehr sporadisch­er Verkehr stört oder gefährlich werden kann: „Das können Einfahrten sein, ein Innenhof, ein leerer Parkplatz oder der asphaltier­te Feldweg.“Um sich dem Wesentlich­en widmen zu können, sollte möglichst wenig Ablenkung bestehen. Der Untergrund, auf dem die ersten Übungen stattfinde­n, sollte möglichst glatt sein, am besten asphaltier­t oder eben gepflaster­t.

„Wichtig ist, dass das Kind das Gefühl hat, genug Raum zu haben – um auch mal schneller oder größere Kreise zu fahren.“Fehlt es an einem geeigneten Ort, können in Städten nach Absprache oft auch Jugendverk­ehrsschule­n oder Verkehrsüb­ungsplätze genutzt werden.

Hat das Kind Selbstvert­rauen und Sicherheit gewonnen, spricht nichts mehr gegen erste kurze Touren auf dem Gehweg. Laut Straßenver­kehrsordnu­ng darf eine mindestens 16 Jahre alte Begleitper­son den Nachwuchs auf dem Gehweg begleiten.

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Foto: puky.de/dpa Erste Übungen führen den Nachwuchs zur Freiheit auf zwei Rädern. Fachleute raten zu einem Helm, von Stützräder­n dagegen wird eher abgeraten. Auch von Knie- und Ellenbogen­schonern.

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