„Hier wohnt das Glück“
Die Wieskirche im Pfaffenwinkel zieht nicht nur Touristen an (Serie, Teil 2)
Die historische Augsburger Wasserversorgung ist nun Unesco-Welterbe. Wir stellen in einer Serie alle acht historischen Stätten in Bayern vor, die sich mit diesem Titel schmücken dürfen. Augsburg Jetzt im Sommer strömen sie wieder in die Wieskirche. In dieses Prachtstück der Rokokokunst. In dieses Juwel, eingebettet in eine oberbayerische Bilderbuchlandschaft. „Die üppige Innendekoration ist in ihrer Fülle und Feinheit unerreicht“, schreibt die Unesco. Die vergoldeten Stuckgirlanden und „das komplizierte Trompe-l’oeilFresko an der Kuppeldecke“, also die illusionistische Malerei, werden als Meisterwerke menschlicher Kreativität gelobt und sind „ein bewegendes Zeugnis tiefen Glaubens“. Bereits seit 1983 gehört die Wieskirche zum Welterbe.
Die durchschnittliche Verweildauer der Besucher beträgt nur zwölf Minuten. Für viele Touristen ist die Wieskirche bei Steingaden Teil ihres Pflichtprogramms. Vergleichbar mit Schloss Neuschwanstein. Für ein paar staunende Blicke und ein paar Selfies mögen zwölf Minuten reichen. Wer allerdings einmal einen Festgottesdienst mitfeiert oder eines der großartigen Konzerte besucht, kann die wahre Fülle dieses Kleinods erfassen, das der berühmte Architekt Dominikus Zimmermann ab 1745 erschaffen hat: „Die Wieskirche ist ein Vierklang“, bringt es ein Mitarbeiter auf den Punkt. Sie vereint Glaube, Kunst, Licht und Musik auf unvergleichbare Weise. Der Bauherr der Kirche, Abt Marianus II. Mayer, hat es so ausgedrückt: „Hier wohnt das Glück, hier findet das Herz Ruhe.“
Die vielen Wallfahrer und Pilger sehen das sicher noch heute so. Denn die Wies, wie sie im Volksmund genannt wird, ist nicht nur Kunstwerk, sondern vor allem eine lebendige Wallfahrtskirche. Ein Ort, an dem Menschen beten wollen. Ein Ort, an dem sie ihre Sorgen vorbringen können, an dem sie aber auch Gott danken wollen. Schließlich wird die Figur des Gegeißelten Heilands schon seit dem 18. Jahrhundert verehrt. Zeitgemäß ist es heute auch möglich, per Mail sein Anliegen vorzubringen. Bitten um Beistand bei Krankheiten sind ebenso zu finden wie ein Hilferuf für das bevorstehende Vorstellungsgespräch. Aber auch das schlechte Gewissen darf erleichtert werden: „Meine Neugier tut mir leid. Bitte beschütze die kleinen Amseln bei ihrem Start ins Leben. Amen.“
Dass es nicht immer leicht ist, in der Wieskirche selbst die Bedürfnisse der Gläubigen mit denen der Touristenmassen in Einklang zu bringen, lässt sich in dem Text „Was man in der Wies bei Führungen und sonst so erlebt“auf der Homepage nachlesen. Dass ein Sicherheitsdienst am Wochenende für einen ruhigen Ablauf der Gottesdienste sorgt, ist auch ein Indiz dafür, dass nicht jeder Besucher den erwartbaren Respekt, den sakrale Räume verdienen, mitbringt.
Doch wer wirklich Ruhe will, sollte nicht jetzt im Sommer die Wies besuchen. Sondern im Winter. Geeignet ist ein schneereicher, sonniger Tag, an dem man sich für den Kirchenbesuch aber warm anziehen sollte. Das Innere der Kirche verwandelt sich dann in ein wahres Lichtermeer, erzählt ein Mitarbeiter und ergänzt: Ein Geheimtipp ist auch der September. Ein Abend, an dem die Sonne hinter der Kirche untergeht und durch ein Fenster über der Orgel nur noch die Nische des Gegeißelten Heilands angestrahlt wird. „Das ist nur ein Moment, aber es ist ein überwältigender.“