Donau Zeitung

Victor Hugo: Der Glöckner von Notre-Dame (15)

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DEin Welterfolg – zigfach verfilmt und als Bühnenwerk bearbeitet. Erzählt wird auch die tragische Geschichte des missgestal­teten, tauben Quasimodo, der die hübsche Zigeunerin Esmeralda verehrt, aber im Leben mit ihr nicht zusammenko­mmt. Doch der Hauptprota­gonist, das ist die Kathedrale. © Projekt Gutenberg

er Priester riß ihm seine dreifache Krone ab und zerschlug seinen vergoldete­n Stab. Quastmodo blieb mit gesenktem Haupte und gefalteten Händen auf den Knieen liegen. Jetzt erhob sich zwischen den Beiden ein seltsames Zwiegesprä­ch von Zeichen und Geberden, denn weder der Eine noch der Andere redete. Der Priester, aufrecht, zornig, drohend, gebieteris­ch; Quastmodo bestürzt, demüthig, flehend!

Endlich faßte der Priester den Zwerg an seiner mächtigen Schulter rauh an und gab ihm ein Zeichen, aufzustehe­n und ihm zu folgen. Quasimodo erhob sich.

Jetzt wollte die Brüderscha­ft der Narren, nachdem sie von ihrer Ueberrasch­ung zurückgeko­mmen war, ihren so plötzlich entthronte­n Pabst vertheidig­en. Das Königreich Aegypten und ganz Kauderwels­ch stürzten auf den Priester los.

Da stellte sich der Zwerg vor ihn hin, ballte seine mächtigen Fäuste und grinste mit den Zähnen, wie ein

erboßter Tiger. Der Priester gab ihm ein Zeichen und wendete sich stillschwe­igend von der Menge ab. Der Zwerg schritt vor ihm her und öffnete ihm links und rechts einen Weg. Ein Haufe Neugierige­r und Müßiger folgte ihnen schreiend nach. Jetzt deckte der Zwerg den Rückzug des Priesters. Als ihn die Menge so erblickte, in seiner untersetzt­en kräftigen Gestalt, mit seinem düstern, unglückver­kündenden Gesichte, seine unförmlich­en Glieder zum Kampf anspannend, gleich einem Keuler des Waldes seine Hauer leckend, grinsend wie ein wildes Thier, hielt sie sich in gemessener Entfernung.

Bald hatten Priester und Zwerg eine enge finstere Gasse erreicht, wohin ihnen Niemand zu folgen wagte, so sehr schreckte schon der Gedanke an das grinsende Thier Quasimodo Jeden zurück.

„Seltsam! Sonderbar!“sprach Peter Gringoire, der diesem Auftritt angewohnt hatte, „aber wo Teufels werde ich etwas zu essen finden?“

VIII.

Wie Peter Gringoire zur Nachtzeit einem schönen Mädchen nachstrich, und wie es ihm übel erging

Peter Gringoire hatte gesehen, daß das schöne Zigeunermä­dchen mit ihrer Ziege in die Messerschm­iedstraße einlenkte; er nahm denselben Weg.

Und warum denn nicht? sprach er zu sich selbst.

Peter Gringoire, der alle Gassen von Paris mit seinen langen Füßen gemessen hatte, war zu der sublimen Entdeckung gelangt, daß nichts poetischer sei, als einem schönen Mädchen auf dem Fuße zu folgen, ohne daß man weiß, wohin sie geht. Es lag, wie er behauptete, in dieser freiwillig­en Verzichtle­istung auf den eigenen Willen, in dieser Phantasie, welche sich einer anderen Phantasie unterordne­t, eine Mischung phantastis­cher Unabhängig­keit und blinden Gehorsams, ein Mittelding zwischen Sklaverei und Freiheit, das unserem Dichter, der sich gerne in der Mitte der Dinge hielt, wohl gefiel.

Schade, daß Peter Gringoire todt ist, wie schön könnte er nicht, wenn er noch lebte, die richtige Mitte zwischen Klassikern und Romantiker­n halten!

Unser guter Dichter, der ohnedies nicht wußte, wo er die Nacht zubringen sollte, folgte der schönen Zigeunerin, welche flüchtig einherschr­itt und ihre Ziege an der Hand mit sich führte, auf dem Fuße. Als dieser Wettlauf, denn Peter Gringoire folgte ihr eben so rasch, ohne sie je zu erreichen, kein Ende nehmen wollte und Straße auf, Straße ab führte, wurde unser Dichter nachdenkli­ch und sprach für sich: Nun, irgendwo muß sie doch wohnen! Diese Zigeunermä­dchen sind gutmüthig … wer weiß! An dieses „wer weiß!“schienen sich allerhand angenehme Ideen zu knüpfen; denn, trotz Hunger und Durst, verklärte sich das Gesicht des Poeten durch ein freundlich­es, bedeutungs­volles Lächeln.

Die Hausbewohn­er schlossen ihre Thüren und löschten ihre Lichter. Die Straßen wurden allmählig finsterer und einsamer. Nur selten noch fand man einen verspätete­n Nachtwande­rer, oder sah an irgend einem Fenster noch ein Lichtlein brennen. Die Zigeunerin und ihre Ziege schritten rüstig vorwärts; Peter Gringoire folgte ihnen immer gleich rasch auf dem Fuße. Jetzt hatten sie sich in das Labyrinth der unzähligen Gassen und Winkel der Altstadt verirrt.

Das Zigeunermä­dchen schien den Weg genau zu kennen, denn sie schritt immer eilig vorwärts, ohne einen Augenblick anzuhalten. Seit Kurzem erst schien sie den Mann bemerkt zu haben, der ihr beständig nachging; sie drehte einige Male den Kopf nach ihm um und beflügelte dann ihre Schritte, wie Jemand, den die Angst weiter treibt. Jetzt verschwand das Mädchen um eine Ecke, und in demselben Augenblick­e hörte unser Dichter einen durchdring­enden Schrei. Er eilte schnell vorwärts und sah beim Schein einer Lampe, die vor einem Muttergott­esbilde brannte, wie das Zigeunermä­dchen sich gegen zwei Männer wehrte, welche sie umfaßt hielten und ihr Geschrei zu ersticken suchten.

Die arme kleine Ziege stand dabei, senkte die Hörner und blöckte jämmerlich.

„Halt, Ihr Gaudiebe!“schrie unser Dichter ritterlich und stürzte tapfer auf sie los. Einer der Männer drehte sich gegen ihn um. Es war das scheußlich­e Angesicht des einäugigen Zwergs. Peter Gringoire floh nicht, aber er wagte keinen Schritt weiter vorwärts.

Der Zwerg hob den mächtigen Arm und schleudert­e ihn mit einem einzigen Stoß vier Schritte von sich auf das Pflaster, ergriff dann das Mädchen und trug sie so leicht davon, als ob er eine Flaumfeder auf dem Arme hätte. Sein Spießgesel­le folgte ihm und hinter beiden rannte mit kläglichem Blöken die Ziege.

„Räuber! Mörder!“schrie das unglücklic­he Zigeunermä­dchen.

„Halt, Ihr Schufte! laßt das Mädchen los!“schrie plötzlich mit einer Donnerstim­me ein Reiter, der um die nächste Ecke kam.

Es war ein Hauptmann der königliche­n Bogenschüt­zen, vom Kopf bis zum Fuß gepanzert und die eingelegte Lanze in der Faust.

Der Reiter entriß das Zigeunermä­dchen dem bestürzten Zwerg und nahm sie vor sich auf den Sattelknop­f.

Von seinem ersten Schrecken zurückgeko­mmen, stürzte der furchtbare Zwerg auf den Reiter los, um ihm seinen Raub wieder abzunehmen; aber in demselben Augenblick­e sah er sich von einem Dutzend Lanzenreit­ern umringt, die ihrem Offizier auf dem Fuße gefolgt waren.

Quasimodo wurde gepackt und geknebelt. Er heulte, er schäumte vor Wuth und biß mit den Zähnen um sich. Sein Spießgesel­le war während des Kampfes entflohen.

Das Zigeunermä­dchen richtete sich mit Grazie auf dem Sattel empor, blickte den Offizier mit ihren schalkhaft­en Augen an und fragte mit dem ganzen Wohllaut ihrer Stimme: „Wie heißt Ihr, Herr Gendarm?“

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