„Aus Dillingen kam jeder Lehrer besser zurück“
Ludwig Häring hat einst als Direktor die Akademie für Lehrerfortbildung revolutioniert. Nach heftigen gesundheitlichen Rückschlägen freut sich der heute 85-Jährige über ganz andere Dinge
Guten Abend, Herr Häring. Am Samstag können Sie Ihren 85. Geburtstag feiern. Wie geht es Ihnen? Ludwig Häring: Ich hatte seit dem Jahr 2015 mehrere Schlaganfälle und Operationen. Und ich bin dankbar, dass ich noch lebe. Da bin ich noch einmal davongekommen.
Vermutlich ist das eine radikale Umstellung für Sie?
Häring: Ja, denn ich war es gewohnt, das zu tun, was ich mir vorgenommen habe. Mit einem Schlag war auf einmal alles anders. Ich konnte mir die Hose nicht mehr anziehen und keinen Verschluss auf die Zahnpastatube schrauben. Aus meiner geliebten Ehefrau Helena wurde eine Pflegerin. Ich bin so froh, dass ich sie habe. Was meine Frau tut, ist nicht zu toppen.
Ihr Leben läuft in anderen Bahnen? Häring: Ich hatte schon ein wenig resigniert. Aber jetzt hoffe ich, dass es aufwärts geht. Mir fallen inzwischen Kleinigkeiten auf, die blühenden Rosen im Garten. Früher hatte ich kaum Zeit für meine Familie, meine wunderbare Frau und meine drei Kinder. Ich freue mich auch über drei Enkel. Früher bin ich voll in meiner Arbeit aufgegangen, für mich war das ein Traumberuf.
Dillingen hat durch Ihr Tun sehr profitiert. Ohne Sie gäbe es die Akademie für Lehrerfortbildung wohl nicht. Häring: Falsch, die Akademie gab es schon vor mir. Hanns Ott war nach der Schließung der PhilosophischTheologischen Hochschule im Jahr 1971 der erste Direktor. Ich folgte ihm 1978 nach.
In den folgenden 22 Jahren haben Sie aber die Lehrerfortbildung in Dillingen revolutioniert.
Häring: Es ist schon so, dass wir in Dillingen etwas zusammengebracht haben. Wir haben die erste professionelle Lehrerfortbildung entwickelt, die es in Bayern gab. Mir war die Qualität der Dozenten sehr wichtig, und ich habe auch darauf geachtet, dass die Rückmeldungen positiv ausfielen. Es hieß damals: Nach Dillingen kann man jeden Lehrer schicken, er kommt besser wieder zurück. Und ich habe dann die ganze Zeit gebaut, damit die Lehrer auch angemessen untergebracht werden konnten. Das war ja in den Anfangsjahren nicht so. Montags gab es immer Streit, weil manche Lehrer Zimmer bekamen, die keine Nasszelle hatten. In Dillingen werden Lehrer aus ganz Bayern von allen Schularten und in allen Fächern unterrichtet. Die Lehrerakademie hat einen Bekanntheitsgrad bis hinter den Ural.
Weil Sie chinesischen Delegationen die Akademie gezeigt haben.
Häring: Ja, ich bin mit 67 in den Ruhestand getreten, nachdem ich noch zweimal verlängert hatte. Danach habe ich immer wieder Delegationen aus China betreut.
Sind die Pädagogen heute gescheiter als früher?
Häring: Der Beruf des Lehrers hat sich sehr gewandelt. Früher reichte das, was Lehrer im Studium gelernt sehr viel länger – und bei einigen, die sich nicht fortbilden wollten, ein ganzes Berufsleben lang. Heute sind die Lehrer mit sehr viel Neuem konfrontiert. Relevante Neuerungen kommen sehr viel schneller, deshalb wird auch die Fortbildung noch wichtiger.
Sie waren auch eine Periode lang im Dillinger Stadtrat.
Häring: Ja, das war 1984, als HansJürgen Weigl Oberbürgermeister wurde. Ich war Mitglied der CSUFraktion, aber kein Mitglied bei den Christsozialen. Darauf habe ich Wert gelegt, ich wollte unabhängig sein. Nach einer Periode war mir die Konzentration auf meine Arbeit in der Akademie aber wichtiger.
Sie stammen aus dem Dorf Kirchenwinn in der Nähe von Neumarkt in der Oberpfalz. Inzwischen sind Sie längst in Dillingen heimisch geworden. Was gefällt Ihnen an dieser Stadt? Häring: Wir sind hier sehr gut aufgenommen worden und kennen sehr viele liebenswürdige Menschen. Diese Stadt ist einfach schön. Mein Lieblingsplatz ist die Akademie – der Innenhof mit dem ehemaligen Priesterseminar, der Goldene Saal. Ich bewundere das, was die Jesuiten geleistet haben.
Dillingen wird gerne wegen der vielen Kirchen und der einstigen Hochschule samt Priesterseminar als Schwäbisches Rom bezeichnet. Ist das wirklich noch eine Stadt des Geistes und der Geistlichkeit?
Häring: Da ist viel verlorengegangen. Die Schließung der Philosophisch-Theologischen Hochschule 1971 war wirklich ein Schnitt. Augenfällig war das bei der ersten Fronleichnamsprozession nach dem Ende der Hochschule. Als die Professoren und Studenten weg waren, hat das Katholikenvolk erst gemerkt, dass sie die Kirche sind. Unhaben, ter wirtschaftlichen Gesichtspunkten fällt das Urteil aber anders aus. Da ist die Akademie für Lehrerfortbildung ein viel bedeutenderer Faktor als die einstige PhilosophischTheologische Hochschule.
Sie waren von 1974 bis 1978 auch Direktor des Johann-Michael-SailerGymnasiums. Warum ist Sailer ein Vorbild?
Häring: Sailer war ein Mensch und Seelsorger, der denkend seiner Zeit sehr weit voraus war, gerade was die Toleranz gegenüber anderen betrifft. Er konnte die Philosophie und Theologie unter einen Hut bringen. Es gab ja auch eine Debatte, ob das Gymnasium nicht Kardinal-vonWaldburg-Gymnasium genannt werden sollte – nach dem Gründer der Dillinger Universität. Mir schien, dass Johann Michael Sailer die bessere Wahl war.
Wie sieht Ihr Tagesablauf aus? Häring: In vielen Punkten anders als früher. Aber nach wie vor beginne ich morgens mit der Lektüre der Donau-Zeitung. Ich lese viel, und ich sehe jetzt, entgegen früherer Gewohnheiten, auch fern. Beispielsweise Dokumentationen über Länder. Und ich versuche, mich ins Leben zurückzukämpfen. Da sind die Besuche im Therapiezentrum in Burgau mehrmals die Woche wichtig. Die Therapeuten scheinen mich zu mögen, denn ich kann ihnen erzählen, wie glücklich ich in meinem Beruf war.
Mit welchen Gefühlen blicken Sie in die Zukunft?
Häring: Ich war gesegnet mit Gesundheit und Schaffenskraft. Und da muss ich es jetzt annehmen, dass eine andere Zeit kommt. Anfangs war es schlimm, das zu akzeptieren. Aber auch jetzt gibt es schöne, erfüllte Momente.
Glauben Sie an ein Weiterleben nach dem Tod?
Häring: In Platons Phaidon ist ja, wie Sie bemerkt haben, davon die Rede, dass der Gedanke der Unsterblichkeit eine tröstliche Hoffnung ist. Und ich beschäftige mich auch damit, wie sich Größen der Geistesgeschichte mit dem eigenen Ende auseinandergesetzt haben. Ich glaube an ein Weiterleben nach dem Tod. Aber Wissen ist natürlich etwas anderes.