Gefährliche Wasser-Wilderei
Schon wieder Austern. Das billige Zeug gelangte massenhaft von den Bänken der Themse in die Blechnäpfe der armen Leute und sogar der Gefängnisinsassen. Charles Dickens, der Schriftsteller mit Blick fürs Soziale, erwähnt in seinem Roman „Die Pickwickier“den Austern-Überdruss. Das ist noch keine zweihundert Jahre her. Wie aber stand es damals um anderes Wassergetier? Die Fische lassen wir mal beiseite. Die wären ein Thema für sich. Nehmen wir lieber ihre mit Panzer und Scheren bewaffneten kulinarischen Kollegen aus den Gewässern Europas: die Flusskrebse. Sie wurden – anders als die Austern – schon in alten Zeiten als wahre Kostbarkeiten empfunden. Edelkrebse waren so gefragt, dass sie regelmäßig Wilderer anlockten.
Wilderer? Natürlich: Krebse fielen unter das Jagdrecht; ihre Aufenthaltsorte, die Gewässer, gehörten den jeweiligen Feudalherren. Und die ließen sich ihr Vorrecht nicht gerne nehmen, wie mancher Wilderer, auch Krebsfrevler genannt, bitter erfahren musste. Besonders hart erwischte es einen Jungbauern, der sich im Jahr 1494 an den Krebsen seines Herrn vergriff. Dieser Herr von Eppstein ergriff daraufhin den Frevler und übergab ihn dem Scharfrichter im benachbarten Frankfurt. Die gnädigen Frankfurter fanden den Frevel nicht todeswürdig. Aber Herr von Eppstein suchte und fand anderswo einen willfährigen Scharfrichter. So kosteten die Krebse den armen Wilderer am Ende doch noch Kopf und Kragen. Die Herren der Krebse waren unterschiedlich streng. Der österreichische Freiherr von Schönau ließ, als ihm 1758 gleich drei Frauen mit gewilderten Krebsen vorgeführt wurden, laut Gerichtsakten Gnade vor Recht ergehen. Üblicher waren weder Scharfrichter noch Freispruch, wohl aber saftige Geldstrafen, die dem Jahresgehalts eines Schulmeisters entsprachen. Die Strafwürdigkeit der Wilderei zeigt, wie wertvoll den Gourmets schon damals die Krebse waren. Seither sind sie weltweit ein wichtiger Wirtschaftsfaktor der gehobenen Ernährungsbranche geworden. Krebse schmücken in vielerlei Gestalt die Karten der feinsten Restaurants. Und die Austern? Sie sind aus bescheidenen Anfängen in ungeahnte kulinarische Höhen aufgestiegen. Von einem Dutzend frischer Austern können die Armen von heute nur träumen. Oder sie genießen sie bei Charles Dickens.