Raketenmann ohne Skrupel
Ein Deutscher baute die Mondrakete: Wernher von Brauns Weg von Hitlers Konstrukteur zum amerikanischen Helden
Die Mondlandung war nicht nur ein Triumph der USA, sondern auch die größte Stunde im Leben des deutschen Raketenbauers Wernher von Braun (1912–1977). Schon mit 17 Jahren schrieb der eine Science-FictionGeschichte: „Lunetta“. Für die Verwirklichung dieses Jugendtraums war ihm jedes Mittel recht. „Wissenschaft an sich besitzt keine moralische Dimension“, behauptete er.
Von Brauns Leben ist zweigeteilt. Fotos zeigen ihn bis 1945 mit Adolf Hitler und anderen Nazi-Größen. Und dann steht er plötzlich neben US-Präsidenten wie Dwight D. Eisenhower und John F. Kennedy oder dem Trickfilmer Walt Disney. Ob von Braun selbst dies als starken Bruch empfunden hat, ist fraglich. Er baute sein ganzes Leben lang Raketen. Für wen, war zweitrangig.
Mit nur 25 Jahren wurde der Aristokrat aus Ostpreußen 1937 Technischer Direktor der Heeresversuchsanstalt Peenemünde auf der Insel Usedom. Er leitete die Entwicklung der V2-Rakete, der „Wunderwaffe“, von der sich Hitler in der Endphase des Zweiten Weltkriegs noch die Wende erhoffte. Als ihm von Braun einmal einen Film von einem Raketenstart vorführte, zeigte er sich so begeistert, dass er „geräuschvoll Explosionen imitierte“, wie sich von Braun erinnerte.
1943 wurde die Raketenproduktion zum Schutz vor Luftangriffen in ein Tunnelsystem in Thüringen, das KZ Mittelbau-Dora, verlegt. Für die Arbeit wurden Häftlinge aus dem KZ Buchenwald eingesetzt, die von Braun teils selbst auswählte. Täglich starben Menschen und landeten auf Leichenbergen. „Professor von Braun ging daran vorbei, so nahe, dass er die Leichen fast berührte“, sagte ein Überlebender aus.
Als sich 1944 die Niederlage Nazi-Deutschlands abzeichnete, widersetzte sich von Braun dem Zugriff Himmlers und kam kurzzeitig in Gestapo-Haft. Noch vor Kriegsende aber brachte er die wichtigsten Dokumente zur Raketenforschung in Sicherheit – ein Faustpfand für Verhandlungen mit den Amerikanern, die mit den Sowjets einen Wettlauf um die von den Nazis entwickelten Technologien führten.
In einem im Mai/Juni 1945 verfassten Bericht stellte von Braun den
Amerikanern bereits den Flug zum Mond in Aussicht. Sie bissen an. Am 18. September 1945 flog er in die USA und bekam eine Erste-KlasseBehandlung. Als er kurz für seine Hochzeit nach Deutschland zurückkehrte, wurde er von den Amerikanern streng bewacht, aus Angst vor einer Entführung durch Sowjets.
115 Mitglieder seines Peenemünde-Teams wurden in die USA geholt. Noch Anfang der 60er waren alle Abteilungsleiter im Raketenforschungszentrum Deutsche. In der texanischen Wüste, später in Huntsville/Alabama setzte von Braun seine Arbeit so nahtlos fort, dass das Zentrum inoffiziell „Peenemünde Süd“genannt wurde. Er entwickelte jetzt die erste Mittelstreckenrakete für den Transport von Atombomben. Biograf Johannes Weyer: „Wie schon in Nazi-Deutschland platzierte er seinen Traum, eine Superrakete zu bauen, geschickt in den politischmilitärischen Kontext.“Das war nun der Kalte Krieg.
Um Fördermittel und politische Unterstützung für sein Forschungszentrum zu gewinnen, startete von Braun eine aktive Öffentlichkeitsarbeit. Seine Eloquenz, sein Charme und sein blendendes Aussehen ließen ihn schnell zur Berühmtheit werden. Dazu kam, dass er 1958 vier Monate nach dem SputnikSchock den ersten US-Satelliten in die Erdumlaufbahn schoss und damit in den Augen der Amerikaner ihre nationale Ehre wiederherstellte.
Auch an Sputnik waren deutsche Forscher beteiligt: Eine Gruppe um von Brauns Ex-Kollegen Helmut Gröttrup (1916–1981) arbeitete zunächst in der sowjetischen Besatzungszone, wurde 1946 in die Sowjetunion deportiert. Auch sie entwickelten nun die V2-Raketen weiter. In den USA formte von Braun daraus die für die Raumfahrtbehörde nötige Saturn-Trägerrakete. Gern hätte er auch die Apollo-Kapsel gebaut, doch dieser Auftrag ging an das Manned Spacecraft Center in Houston. Bald nach der Mondlandung strich die Regierung die teure Raumfahrt radikal zusammen, das politische Ziel war erreicht, das Interesse der Öffentlichkeit deutlich erlahmt. Von Braun wechselte enttäuscht in die Privatwirtschaft. Mit 65 Jahren starb er 1977 an Krebs.