Eine Schreibhand zeichnet
Der berühmte Schriftsteller Peter Handke lässt gut hundert seiner mit Sorgfalt und Ernsthaftigkeit niedergelegten Bildnotate publizieren
Es sind kleine, ja winzige Zeichnungen. Sie sind geradezu umflochten von Handschrift, die ähnlich filigran anmutet wie die Bilder, die mit Kugelschreiber, Filzstift und Bleistift auf den Seiten von Notizbüchern entstanden sind. Tatsächlich sind diese kleinen Zeichnungen auch Notizen, gefertigt aus unmittelbarer Anschauung heraus. Die Motive: Sujets aus der Natur wie Reiher, eine verwundete Feldmaus, Löwenzahn, Pilze, Äpfel, Bäume, neugeborene Frösche. Gewöhnliches aus dem Lebensumfeld: eine Zwirnspule mit Nähnadel, Teerspuren auf der Landstraße, ein Hemd über einem Gartenstuhl, Bahngleise, ein Buch mit Kaffeetasse. Und selten auch Stimmungen wie den Abendhimmel, Baumschatten.
Ein Betrachter würdigt die Welt in Schrift und Bild, in den Notizbüchern ist sein Wahrnehmen verdichtet – in poetischer Präzision. Nun ist erstmals ein Buch des Schriftstellers Peter Handke erschienen, das ausschließlich sein zeichnerisches Mitschreiben zum Inhalt hat. Gut 100 Zeichnungen auf Notizbuchblättern versammelt der Bildband. Es sind jene Werke, die 2017 erstmals in einer Ausstellung gezeigt wurden – in der Galerie Klaus Gerrit Friese in Berlin. Handke (76) hatte die Bilder damals aus seinen Notizbüchern und Tagebüchern herausgetrennt und auf Papiere geklebt.
Peter Handke, der als Autodidakt Wert auf Anführungszeichen legt, wenn von seinen „Zeichnungen“gesprochen wird, ist ein sensibler Beobachter, der sich seinen Motiven zuwendet mit stiller Konzentration und nie versiegender Lust am Schauen und Staunen und Registrieren. Seit Mitte der 1970er Jahre hat der berühmte Autor, für den Reisen, Gehen, Wandern, Unterwegssein zur Lebensführung und zum Künstlerdasein gehören, immer ein Notizbuch in der Tasche. Seine Aufmerksamkeit gilt allen Erscheinungsformen. Menschen zeichnet er eher selten, aber er tut es gelegentlich: den Trinker in der Bar, einen Polizisten mit Maschinengewehr, seine schlafende Tochter im Zug.
Aufmerken, aufmerksam sein, ein fast meditatives Schauen und Gewahrwerden: Was das Schreiben Handkes bestimmt, kennzeichnet auch seine kleinen Zeichnungen, die von Wörtern und Schrift umrankt sind. Regenschlieren auf Zugfenstern, Eisnadeln am Flugzeugfenster, eine badende Amsel, eine Rosette in Notre-Dame: Peter Handke zeichnet mit der Schreibhand und schreibt mit der Zeichenhand.
Die Miniaturen, entstanden zwi2007 und 2017, zeigen, wie der Schriftsteller sich die Welt aneignet und ihre Erscheinungsformen erkundet mit kontemplativen Mitteln, die im Zeitalter der Handyfotos selten geworden sind. In seinem Buch „Versuch über den Pilznarren“schreibt Peter Handke: „Und statt bodenwärts zu suchen, zeichnete er, insbesonders Dinge in Augenhöhe; vorrangig die silbrigen, durchscheinenden in sich verschnörkelten Bäusche der Winterwäldchen, als sei in ihm doch ein Bedürfnis nach Schnörkeln, Wirbeln, Kringeln, Scheckigen, Gestreiftem, rundum Sphärischen geblieben!“
Das Bedürfnis, etwas zu würdigen und zu durchdringen mit dem Stift in der Hand, offenbart sich in diesen Zeichnungen. Der Betrachter sieht die Sorgfalt und Ernsthaftigkeit. Dass Handke kein ausgebildeter Zeichner ist, dass ihm manches mitunter naiv und ungelenk gerät – das gehört zur Aufrichtigkeit dieser Bildnotate, die oft changieren zwischen durchgearbeitet sein, Beiläufigkeit, Sorgfalt und Zartheit.
Peter Handke, dessen Notizbücher zentraler Bestandteil des Werkes sind, ist kein grafischer Künstler, wie es Günter Grass war. Als einer, der seine Notizbücher mit Skizschen zen anreichert, steht er aber nicht allein – das kennt man von Kafka, Puschkin, Dostojewski ... Das Einzelgängerische Handkes, seine poetische Überempfindlichkeit, seine Wahrnehmungskunst würdigt der italienische Philosoph Giorgio Agamben (wie Handke Jahrgang 1942) in dem Bildband. Er schreibt: „Auch die Welt von Handkes Zeichnungen ist eine verkleinerte und kindliche Welt, die ihr Heil im Kleinen gefunden hat.“
Peter Handke: Zeichnungen Schirmer Mosel Verlag, 144 Seiten, 104 Farbtafeln, 39,80 Euro