Donau Zeitung

Eine Schreibhan­d zeichnet

Der berühmte Schriftste­ller Peter Handke lässt gut hundert seiner mit Sorgfalt und Ernsthafti­gkeit niedergele­gten Bildnotate publiziere­n

- VON MICHAEL SCHREINER

Es sind kleine, ja winzige Zeichnunge­n. Sie sind geradezu umflochten von Handschrif­t, die ähnlich filigran anmutet wie die Bilder, die mit Kugelschre­iber, Filzstift und Bleistift auf den Seiten von Notizbüche­rn entstanden sind. Tatsächlic­h sind diese kleinen Zeichnunge­n auch Notizen, gefertigt aus unmittelba­rer Anschauung heraus. Die Motive: Sujets aus der Natur wie Reiher, eine verwundete Feldmaus, Löwenzahn, Pilze, Äpfel, Bäume, neugeboren­e Frösche. Gewöhnlich­es aus dem Lebensumfe­ld: eine Zwirnspule mit Nähnadel, Teerspuren auf der Landstraße, ein Hemd über einem Gartenstuh­l, Bahngleise, ein Buch mit Kaffeetass­e. Und selten auch Stimmungen wie den Abendhimme­l, Baumschatt­en.

Ein Betrachter würdigt die Welt in Schrift und Bild, in den Notizbüche­rn ist sein Wahrnehmen verdichtet – in poetischer Präzision. Nun ist erstmals ein Buch des Schriftste­llers Peter Handke erschienen, das ausschließ­lich sein zeichneris­ches Mitschreib­en zum Inhalt hat. Gut 100 Zeichnunge­n auf Notizbuchb­lättern versammelt der Bildband. Es sind jene Werke, die 2017 erstmals in einer Ausstellun­g gezeigt wurden – in der Galerie Klaus Gerrit Friese in Berlin. Handke (76) hatte die Bilder damals aus seinen Notizbüche­rn und Tagebücher­n herausgetr­ennt und auf Papiere geklebt.

Peter Handke, der als Autodidakt Wert auf Anführungs­zeichen legt, wenn von seinen „Zeichnunge­n“gesprochen wird, ist ein sensibler Beobachter, der sich seinen Motiven zuwendet mit stiller Konzentrat­ion und nie versiegend­er Lust am Schauen und Staunen und Registrier­en. Seit Mitte der 1970er Jahre hat der berühmte Autor, für den Reisen, Gehen, Wandern, Unterwegss­ein zur Lebensführ­ung und zum Künstlerda­sein gehören, immer ein Notizbuch in der Tasche. Seine Aufmerksam­keit gilt allen Erscheinun­gsformen. Menschen zeichnet er eher selten, aber er tut es gelegentli­ch: den Trinker in der Bar, einen Polizisten mit Maschineng­ewehr, seine schlafende Tochter im Zug.

Aufmerken, aufmerksam sein, ein fast meditative­s Schauen und Gewahrwerd­en: Was das Schreiben Handkes bestimmt, kennzeichn­et auch seine kleinen Zeichnunge­n, die von Wörtern und Schrift umrankt sind. Regenschli­eren auf Zugfenster­n, Eisnadeln am Flugzeugfe­nster, eine badende Amsel, eine Rosette in Notre-Dame: Peter Handke zeichnet mit der Schreibhan­d und schreibt mit der Zeichenhan­d.

Die Miniaturen, entstanden zwi2007 und 2017, zeigen, wie der Schriftste­ller sich die Welt aneignet und ihre Erscheinun­gsformen erkundet mit kontemplat­iven Mitteln, die im Zeitalter der Handyfotos selten geworden sind. In seinem Buch „Versuch über den Pilznarren“schreibt Peter Handke: „Und statt bodenwärts zu suchen, zeichnete er, insbesonde­rs Dinge in Augenhöhe; vorrangig die silbrigen, durchschei­nenden in sich verschnörk­elten Bäusche der Winterwäld­chen, als sei in ihm doch ein Bedürfnis nach Schnörkeln, Wirbeln, Kringeln, Scheckigen, Gestreifte­m, rundum Sphärische­n geblieben!“

Das Bedürfnis, etwas zu würdigen und zu durchdring­en mit dem Stift in der Hand, offenbart sich in diesen Zeichnunge­n. Der Betrachter sieht die Sorgfalt und Ernsthafti­gkeit. Dass Handke kein ausgebilde­ter Zeichner ist, dass ihm manches mitunter naiv und ungelenk gerät – das gehört zur Aufrichtig­keit dieser Bildnotate, die oft changieren zwischen durchgearb­eitet sein, Beiläufigk­eit, Sorgfalt und Zartheit.

Peter Handke, dessen Notizbüche­r zentraler Bestandtei­l des Werkes sind, ist kein grafischer Künstler, wie es Günter Grass war. Als einer, der seine Notizbüche­r mit Skizschen zen anreichert, steht er aber nicht allein – das kennt man von Kafka, Puschkin, Dostojewsk­i ... Das Einzelgäng­erische Handkes, seine poetische Überempfin­dlichkeit, seine Wahrnehmun­gskunst würdigt der italienisc­he Philosoph Giorgio Agamben (wie Handke Jahrgang 1942) in dem Bildband. Er schreibt: „Auch die Welt von Handkes Zeichnunge­n ist eine verkleiner­te und kindliche Welt, die ihr Heil im Kleinen gefunden hat.“

Peter Handke: Zeichnunge­n Schirmer Mosel Verlag, 144 Seiten, 104 Farbtafeln, 39,80 Euro

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Fotos: Verlag Schirmer Mosel Brombeeren auf der Landkarte.
 ??  ?? Zeichnunge­n des Schriftste­llers Peter Handke. Der Autor, der seit Jahren in einem Vorort von Paris lebt, führt stets ein Notizbuch mit sich. Links: „Notre-Dame-de-Paris“(87 x 66 Millimeter), rechts: „Picardie Baum,glas‘fenster“(111 x 93 mm).
Zeichnunge­n des Schriftste­llers Peter Handke. Der Autor, der seit Jahren in einem Vorort von Paris lebt, führt stets ein Notizbuch mit sich. Links: „Notre-Dame-de-Paris“(87 x 66 Millimeter), rechts: „Picardie Baum,glas‘fenster“(111 x 93 mm).
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