Donau Zeitung

„Pathos muss man nicht um jeden Preis brechen“

Übermorgen eröffnet das Opernfesti­val mit einem neuen „Tannhäuser“. Ein Gespräch mit Regisseur Tobias Kratzer über Wagners Frauenbild, die „schwarze Venus“und Schnitzele­ssen mit dem Dirigenten

- Interview: Christa Sigg

Herr Kratzer, man würde Sie als Regisseur nicht unbedingt mit dem Dirigenten Valery Gergiev zusammenst­ecken.

Tobias Kratzer: Warum denn nicht? Wir haben in Berlin schön Schnitzel gegessen im Borchardt, das verbindet schon mal. Aber im Ernst: Valery Gergiev hat doch nicht den Ruf eines Inszenieru­ngszerstör­ers, wir haben uns im Vorfeld sehr detailreic­h ausgetausc­ht – und seine Tempi befeuern unsere Inszenieru­ng aufs Trefflichs­te.

Und wie findet er den Auftritt des Londoner Drag-Stars Le Gateau Chocolat?

Kratzer: Das müssen Sie ihn schon selber fragen. Ich glaube, er findet die Inszenieru­ng sehr unterhalts­am. Wir haben ja auch noch eine zweite Figur neu eingeführt: den Blechtromm­ler Oskar. Das scheint mir seine persönlich­e Lieblingsf­igur.

Le Gateau Chocolat ist ein großer Opernfan und singt auf der Bühne regelmäßig Arien. Wie setzen Sie ihn ein? Als Wächter des Venushügel­s? Kratzer: Die „schwarze Venus“Grace Bumbry von 1961 ist ja eine Bayreuther Legende. Ich finde, auch 2019 steht dem „Tannhäuser“ein bisschen Diversity gut zu Gesicht! Auf Youtube können Sie übrigens schon mal seine Interpreta­tion der Hallenarie hören.

Den „Tannhäuser“haben Sie vor neun Jahren schon einmal in Bremen inszeniert. Wie gelingt es, einen neuen Dreh für Bayreuth zu finden?

Kratzer: Als die Anfrage kam, lag die Bremer Inszenieru­ng erst drei Jahre zurück. Deshalb habe ich erst gezögert und überlegt, ob ich mit diesem Stück gleich noch mal in die Manege will. Geholfen hat mir dann die Tatsache, dass es zwei „Tannhäuser“-Fassungen gibt. Und sie unterschei­den sich doch sehr in der Exposition und in der Venusbergs­zene.

Sie haben in Bremen die Pariser Fassung gewählt.

Kratzer: Und in Bayreuth ist es jetzt die Dresdner. Gewisse Grundgedan­ken bleiben natürlich, aber die Gefahr eines Remakes besteht sicher nicht. Bremen war eine sehr wichtige Station in meiner künstleris­chen Karriere, aber seit ich hier probe, ist das im Gedächtnis nach hinten gerückt. Man lebt in Bayreuth ja auch in einer ganz abgeschlos­senen Welt.

Inwiefern?

Kratzer: Der ganze Festspielb­ereich hat eine Art Campus-Atmosphäre und erinnert mit den vielen Probebühne­n auch eher an ein klassische­s Filmstudio als an ein normales Opernhaus. Ich wohne hier auch direkt über die Straße vom FestspielD­a ist man quasi rund um die Uhr in der Blase.

Was ist Ihr Tannhäuser für ein Mann? Ein Außenseite­r?

Kratzer: Vielleicht ist seine Tragik, gar nicht wirklich ein Außenseite­r zu sein, denn er kann immer wieder in den Schoß der Gesellscha­ft zurückkehr­en. Dieser Herkunft kann er aber auch nicht entkommen, sie ist ihm genauso eingeschri­eben wie einem echten Außenseite­r etwa die Hautfarbe oder die Geschlecht­lichkeit. Deshalb gibt es zwischen ihm und der Venuswelt auch diesen fundamenta­len Graben. Er zerbricht ja gerade daran, dass es für ihn jederzeit ein Zurück gibt.

Und egal, was passiert, wartet Elisabeth auf ihn. Ist das Frauenbild Wagners hier nicht besonders eindimensi­onal und realitätsf­ern?

Kratzer: Ich würde nicht sagen eindimensi­onal, aber sowohl Venus als auch Elisabeth tendieren in ihrer strengen Gegensätzl­ichkeit fast zum Allegorisc­hen. Gerade Elisabeth wird von Wagner sehr viel Heiligkeit aufgebürde­t. Und diese „Reinheit“ist einem heutigen Publikum nur schwer vermittelb­ar. Aus der Elisabeth eine nachvollzi­ehbare Figur zu formen, gehört sicher zu den größeren Herausford­erungen des „Tannhäuser“. Brünnhilde oder Kundry sind dagegen schon sehr viel selbstbest­immter, dagegen hängen die frühen Frauenfigu­ren Wagners noch sehr an den romantisch­en Klischees. Da muss man ein bisschen gegensteue­rn.

Wie schafft man das?

Kratzer: Wir etablieren die Elisabeth schon vor der Hallenarie. Sie und Tannhäuser hatten ja bereits eine Beziehung. Das wird nie erzählt, aber das erklärt einiges.

In Wagners Konzept sind Sünde, Buße und Gnade zentrale Begriffe. Die nimmt man heute nicht mehr so gerne in den Mund.

Kratzer: Diese großen abstrakten Begriffe sind aber keineswegs veraltet. Wenn man das aus dem Kalendersp­ruchartige­n herauslöst und auf eine konkrete Situation herunterfü­hrt, dann sind das alles nachvollzi­ehbare Regungen, die man heute nur anders bezeichnet. Es gibt immer Dinge, die ein schlechtes Gehaus. wissen machen, die einen martern – und genauso gibt es die Entlastung von all dem.

Der Aufenthalt Tannhäuser­s im Venusberg schockiert ja nicht nur die Wartburg-Gesellscha­ft. Was könnte heute ein adäquates Vergehen sein? Kratzer: Es macht keinen Sinn, das in eine schlimmstm­ögliche Verfehlung der Gegenwart zu übersetzen, das würde die Figur des Tannhäuser und seinen Spielraum zerstören. Vielmehr muss man den gesellscha­ftlichen Rahmen definieren, in dem etwas zum Fehltritt wird. Es gibt Kreise, in denen es schon ein Vergehen ist, den Teebeutel in der Tasse zu lassen. Das kann ein Erregungsp­otenzial auslösen wie in anderen Umgebungen nur ein Mord.

Wie behagt Ihnen Wagners Pathos? Kratzer: Ich gehöre nicht mehr zur Generation, die das Pathos um jeden Preis brechen muss. Im Gegenteil. Oper ist ein Medium, in dem man Emotionen und Pathos auch mal ungebremst zulassen kann. Schon weil es das in anderen Lebensbere­ichen kaum noch gibt. Problemati­scher finde ich bei Wagner das Tautologin­och sche. Auf allen Ebenen wird dasselbe vermittelt: Was in der Musik zum Ausdruck kommt, wird im Text gesagt und gleich noch in der szenischen Geste eingeforde­rt. Da muss man gegensteue­rn, aber nicht, um zu ironisiere­n, sondern um die Vielschich­tigkeit des Werks auch erlebbar zu machen.

Sie haben Kunstgesch­ichte studiert. Inwiefern beeinfluss­t das Ihre Arbeit auf der Bühne?

Kratzer: Das hat meinen Blick sehr stark geschult. Ich ziehe nicht ständig kunsthisto­rische Referenzen heran, es geht vielmehr um die Präzision des Blickes und die Geschwindi­gkeit der Wahrnehmun­g. Und natürlich hilft auch die Auseinande­rsetzung mit ästhetisch­en Grundfrage­n. Meine Arbeit hat das auf jeden Fall sehr befruchtet.

Wie sind Sie zur Oper gekommen? Kratzer: Relativ früh sogar. Meine Eltern haben uns Kinder mit allem Möglichen konfrontie­rt und bei der Oper blieb ich einfach hängen. Von Moosburg, um genau zu sein, von Mauern nach München war’s nicht weit. Das liegt alles noch im MVV (Anm.: Münchner Verkehrsve­rbund). Also bin ich nach der Vorstellun­g problemlos mit dem Opernticke­t heimgekomm­en.

Sie arbeiten in Ihren Inszenieru­ngen häufig mit Video. Könnten Sie sich auch vorstellen fürs Fernsehen zu arbeiten? Im „Tatort“Regie zu führen? Kratzer: Der „Tatort“interessie­rt mich gar nicht. Allerdings würde ich gerne eine Büchertalk­show moderieren!

Thomas Gottschalk kommt doch immer zur Premiere nach Bayreuth. Kratzer: Da könnte man gleich den Austausch machen.

„Gottschalk liest“aber bestimmt weiter, Sie müssen also noch eine Weile Opern inszeniere­n. Was kommt als Nächstes?

Kratzer: „Fidelio“am Royal Opera House in London, davor noch Rossinis „Guillaume Tell“in Lyon. Aber wenn das Literarisc­he Quartett anruft, würde ich ausnahmswe­ise auch mal eine Probe ausfallen lassen.

Tobias Kratzer stammt aus München. Der 39-Jährige war Absolvent der Bayerische­n Theateraka­demie August Everding und inszeniert mittlerwei­le an großen Opernhäuse­rn zwischen Berlin und Brüssel, London und Luzern. Für seine Deutung von Wagners „Götterdämm­erung“in Karlsruhe erhielt er im vergangene­n Jahr den Deutschen Theaterpre­is „Faust“.

 ?? Foto: Enrico Nawrath, Bayreuther Festspiele ?? Bayreuth, wir kommen: Regisseur Tobias Kratz (links) mit Bühnen- und Kostümbild­ner Rainer Sellmeier sowie Videospezi­alist Manuel Braun vor dem Festspielh­aus. Zusammen richtet das Trio in diesem Jahr Wagners „Tannhäuser“neu für die Bühne ein, am 25. Juli ist Premiere.
Foto: Enrico Nawrath, Bayreuther Festspiele Bayreuth, wir kommen: Regisseur Tobias Kratz (links) mit Bühnen- und Kostümbild­ner Rainer Sellmeier sowie Videospezi­alist Manuel Braun vor dem Festspielh­aus. Zusammen richtet das Trio in diesem Jahr Wagners „Tannhäuser“neu für die Bühne ein, am 25. Juli ist Premiere.

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