Was die Wahl Boris Johnsons für Europa bedeutet
Großbritannien bekommt einen neuen Premier – und die EU ein Problem mehr
London Zumindest Donald Trump ist sich sicher: „Glückwunsch an Boris Johnson, dass er neuer Premierminister des Vereinigten Königreichs geworden ist. Er wird großartig sein!“, schrieb der USPräsident auf Twitter. Boris Johnson, ehemaliger britischer Außenminister, hat das Rennen um die Nachfolge von Premierministerin Theresa May haushoch gewonnen. Er setzte sich bei der innerparteilichen Wahl deutlich gegen seinen Rivalen Jeremy Hunt durch. Johnson ist damit Chef der Konservativen Partei und soll am heutigen Mittwoch von Königin Elizabeth II. zum Premierminister ernannt werden. Doch was bedeutet das eigentlich für die EU?
1. Mit Boris Johnson an der Spitze wächst die Gefahr eines harten Brexits: Johnson will das Abkommen über den EU-Austritt seines Landes mit Brüssel neu verhandeln. Die Europäische Union lehnt aber jegliche Änderung ab. Johnson will daher notfalls ohne Austrittsvertrag ausscheiden. „Ein ungeregelter EUAustritt Großbritanniens am 31. Oktober wäre aber definitiv die schlechteste Option“, warnt Rainer Dulger, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall. Dieser hätte gravierende Folgen für die Wirtschaft in Großbritannien und im Rest Europas. Die Effekte des andauernden Brexit-Dramas seien bereits jetzt zu spüren. „Die deutsche Metall- und Elektro-Industrie exportierte 2018 nur noch Waren im Wert von rund 53 Milliarden Euro nach Großbritannien“, erklärt Dulger. „Das ist immer noch Platz 4 aller Exportländer, aber bereits ein Rückgang um 4,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.“
2. Die künftige Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wird einen schwierigen Start haben: Der Brexit soll am 31. Oktober vollzogen werden, von der Leyen übernimmt ihr Amt Anfang November. Es erwartet sie also eine unsanfte Landung in Brüssel. Denn sie muss die Folgen des Brexits managen – oder dessen erneute Verschiebung. Johnson kündigte bereits an, die vereinbarte Schlussrechnung für den EU-Ausstieg in Höhe von 39 Milliarden Pfund (rund 44 Milliarden Euro) vorerst zurückzuhalten. Brüssel glaubt, da am längeren Hebel zu sitzen. Denn zum einen zahlt die Gemeinschaft bei dieser Summe sogar noch drauf – die Rechnung über alle ausstehenden Positionen liegt nämlich bei 100 Milliarden Euro. Viel gravierender für London dürfte zum anderen die Tatsache sein, dass im Falle einer Zahlungsverweigerung die EU laufende Subventionen mit sofortiger Wirkung einstellen würde. Ein französischer Regierungsbeamter sagte, dies „käme einem Staatsbankrott gleich“.
3. Johnson wird auch in Großbritannien für Enttäuschungen sorgen: In seinen Versprechungen ist der Premier nicht bescheiden: „Wie ein schlummernder Riese werden wir uns erheben und die Halteseile von Selbstzweifel und Negativität von uns streifen – mit besserer Bildung, besserer Infrastruktur, mehr Polizei, fantastischem Breitband in jedem Haushalt.“Doch wie er all dies herbeiführen wird, ist fraglich – vor allem, wenn es zu einem harten Brexit kommt. Dann nämlich wäre aus der Sicht Brüssels auch die zweijährige Übergangs- und Anpassungsphase obsolet. Für die Wirtschaft des Vereinigten Königreichs wären die Konsequenzen schwerwiegend, da sie von heute auf morgen ohne Geschäfte auf dem europäischen Binnenmarkt klarkommen müsste. „Vermutlich wird Johnson seinen harten Kurs aufweichen müssen“, sagt Chefvolkswirt Thomas Gitzel von der liechtensteinischen VP Bank. Nach seiner Einschätzung sind Neuwahlen oder ein zweites Brexit-Referendum wohl unausweichlich.