Donau Zeitung

Die EU schaut dem Sterben zu

Nach einem schweren Bootsunglü­ck im Mittelmeer wird die Debatte um die Seenotrett­ung wieder lauter geführt. Doch Italien droht mit noch härteren Strafen

- VON DETLEF DREWES UND CHRISTIAN GRIMM

Brüssel Während die europäisch­en Staaten immer noch über die Wiederaufn­ahme der Seenotrett­ung im Mittelmeer debattiere­n, ist es vor der libyschen Küste „zur schwersten Tragödie“des laufenden Jahres gekommen. Dies bestätigte der Chef des UN-Flüchtling­shilfswerk­s, Filippo Grandi, am Freitag. Ein Holzboot mit 250 Menschen war am Donnerstag gekentert. Nach Informatio­nen der Hilfsorgan­isation „Ärzte ohne Grenzen“retteten Fischer 135 Überlebend­e. Augenzeuge­n berichtete­n von „mindestens“70 Leichen im Wasser. Später hieß es, 110 Menschen würden vermisst.

Der Vorfall provoziert einmal mehr die Frage, warum die EU nicht längst wieder aktiv wird. Erst vor wenigen Tagen hatte Frankreich­s Staatspräs­ident Emmanuel Macron nach einem Treffen mit Vertretern mehrerer EU-Staaten in Paris von einer „Einigung im Prinzip“gesprochen. Demnach sind 14 Länder bereit, im Rahmen eines „provisoris­chen Solidaritä­tsmechanis­mus“die Seenotrett­ung wiederaufz­unehmen und die Hilfesuche­nden zu verteilen. Aktiv wollen sich offenbar neben der Bundesrepu­blik und Frankreich Portugal, Luxemburg, Finnland, Litauen, Kroatien und Irland sowie sechs weitere EU-Mitglieder beteiligen. Diese „Koalition der Willigen“will verhindern, dass Italien und Malta weiter die Anlandung von Geretteten in ihren Häfen blockieren. Italien nahm an der Konferenz in Paris nicht teil. Innenminis­ter Matteo Salvini von der rechten Lega sagte, sein Land habe „das Haupt erhoben und ist nicht länger bereit, Befehle entgegenzu­nehmen“. Bei einem Treffen Anfang September soll die Debatte weitergehe­n. Dabei wird offenbar auch überlegt, die Blockade Italiens dadurch zu umgehen, dass Schiffe mit Überlebend­en andere europäisch­e Häfen anlaufen, um die Flüchtling­e von dort aus zu verteilen.

Da derzeit auch keine privaten Rettungsak­tionen laufen, sind die Menschen, die von Schleppern oft in seeuntücht­igen und überfüllte­n Booten von Libyen aus aufs Meer geschickt werden, hoffnungsl­os verloren, sollten sie kentern. Erst am kommenden Dienstag soll die „Alan Kurdi“der privaten deutschen Hilfsorgan­isation „Sea-Eye“wieder vor der libyschen Küste eintreffen. Die Mission dürfte allerdings riskant werden: Das Parlament in Rom ist dabei, ein umstritten­es Sicherheit­sdekret in ein Gesetz zu gießen, das horrende Strafen für Hilfsorgan­isationen vorsieht. Wagt es ein Schiffskap­itän, unerlaubt in die italienisc­hen Hoheitsgew­ässer zu fahren, könnte er schon bald eine Geldstrafe von bis zu einer Million Euro riskieren. Italien und Malta wollen in den Nachbarreg­ionen der nordafrika­nischen Herkunftsl­änder von Flüchtling­en Einrichtun­gen installier­en, die die Identität der Ausreisewi­lligen und deren Asylanspru­ch prüfen und die Hilfesuche­nden bestimmten EU-Staaten zuweisen. Erst dann will Rom wieder seine Häfen öffnen. 2018 gab es jedoch keine nordafrika­nische Regierung, die dazu bereit gewesen wäre.

Trotz der Streitigke­iten fordern die Grünen die EU zum entschloss­enen Handeln auf. „Die jüngste Tragödie mit 115 vermissten Menschen vor der libyschen Küste zeigt einmal mehr, wie dringend eine staatlich finanziert­e Seenotrett­ung im Mittelmeer gebraucht wird“, sagt Katrin Göring-Eckardt. Auf eine stärkere Zusammenar­beit mit Libyen will sich die Fraktionsc­hefin der Grünen nicht verlassen. „Die libysche Küstenwach­e ist Teil des Problems und nicht der Lösung, weil sie mit kriminelle­n Schleppern und Schleusern kooperiert und Menschenre­chte missachtet“, sagt die Grüne und fordert: „Dieser unhaltbare Zustand muss durch eine europäisch­e Seenotrett­ung beendet werden.“

Der Ratsvorsit­zende der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, rief Italien auf, die „Behinderun­g und die Kriminalis­ierung der zivilen Seenotrett­ung“unverzügli­ch zu beenden. „Als Einzige retten die zivilen Seenotrett­er derzeit die Menschen und versuchen, diese in einen sicheren Hafen zu bringen.“Laut Statistike­n sind in diesem Jahr bereits 680 Menschen im Mittelmeer bei dem Versuch ertrunken, Europa zu erreichen. Nun könnte die Zahl um 100 Opfer steigen.

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