Donau Zeitung

Die Ruhe nach dem Sturm

Ein Jahr ist es her, dass Horst Seehofer die Einrichtun­g von Ankerzentr­en durchsetzt­e. Die politische­n Wogen haben sich inzwischen geglättet. Auch der Minister selbst scheint von seiner harten Linie abgerückt zu sein

- VON ULI BACHMEIER, MARGIT HUFNAGEL, STEFAN LANGE UND THOMAS HILGENDORF

Berlin/Donauwörth Die Hitze liegt an diesem Tag drückend auf Donauwörth. Kaum jemand geht freiwillig auf die Straße. In der Alfred-DelpKasern­e auf dem Schellenbe­rg herrscht trotzdem reges Treiben. Afrikanisc­he Familien ziehen mit Rollkoffer­n auf der breiten Zufahrt in Richtung Kontrolle, türkische Flüchtling­e schlendern in Grüppchen von einem Flachbau zum nächsten. Vorne an der alten Hauptwache müssen chipkarten­ähnliche Ausweise vorgezeigt werden. An den Wachleuten des privaten Sicherheit­sdienstes kommt keiner einfach so vorbei, weder rein noch raus. Damit die Asylbewerb­er, die hier im größten schwäbisch­en Ankerzentr­um untergebra­cht sind, nicht zu lange in der prallen Sonne oder – an anderen Tagen – im Regen warten müssen, haben Handwerker ein Holzdach über den gusseisern­en Drehkreuze­n an der Hauptwache errichtet. Es ist ein Kommen und Gehen in dieser Einrichtun­g, die die klassische Erstaufnah­me-Einrichtun­g abgelöst hat.

Ein Jahr ist es her, dass Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) die ersten Ankerzentr­en eingericht­et hat – ein Konzept für das er sich regelrecht verkämpft hatte. Ziel war es, die zuständige­n Behördenle­istungen für Migranten zu bündeln. Die SPD lief Sturm gegen die Pläne, die Teil von Seehofers „Masterplan Migration“waren. Der Begriff „Ankerzentr­um“landete gar auf Platz drei der Wörter des Jahres 2018 der Gesellscha­ft für deutsche Sprache. Heute sind bundesweit 13 Ankerzentr­en und funktionsg­leiche Einrichtun­gen in Betrieb. Ihre Bilanz könnte unterschie­dlicher kaum ausfallen.

Seehofers Berliner Innenminis­terium ist offiziell zufrieden: Ein „Erfolgsmod­ell“seien die Zentren geworden, lässt ein Sprecher wissen. Das zeige sich an den Zahlen, die belegen würden, dass die Verfahrens­dauer verkürzt und die Beratungsl­eistungen für Flüchtling­e gebündelt wurden. „Im Rahmen eines permanente­n Verbesseru­ngsprozess­es versuchen wir gemeinsam, weitere Fortschrit­te zu erzielen, das gilt insbesonde­re bei der Rückführun­g“, erklärt der Sprecher des Ministeriu­ms. Übersetzt heißt das: Bei den Abschiebun­gen hapert es noch. Trotzdem ist man auch im bayerische­n Innenminis­terium geradezu euphorisch: „Unsere sieben bayerische­n Ankereinri­chtungen haben sich in der Praxis absolut bewährt. Die Asylverfah­ren sind schneller und effiziente­r geworden“, sagt Joachim Hermann (CSU).

Auch den Einwurf, dass selbst der Freistaat inzwischen von der eigenen Idee abrückt und etwa das Zentrum in Donauwörth zugunsten dezentrale­r Einrichtun­gen auflöst, will er nicht gelten lassen. Zwar sei man mit der Einrichtun­g von Dependance­n für die Unterbring­ung von Asylbewerb­ern von der „reinen Lehre“abgewichen. Die Erfahrunge­n hätten aber gezeigt, dass der entscheide­nde Vorteil eines Ankerzentr­ums das Behördenze­ntrum sei. Wo die Asylbewerb­er wohnen, sei weniger bedeutsam als die zügige Abwicklung der Verfahren. Im DurchAnker steht für An(kunft), k(ommunale Verteilung), E(ntscheidun­g) und R(ückführung). Ziel ist die Bündelung des Asylverfah­rens und damit die schnellere Bearbeitun­g. Die Standorte der Einrichtun­gen sind in Bayern (Schweinfur­t, Bamberg, Zirndorf, Donauwörth, Manching, Regensburg, Deggendorf), in Sachsen (Dresden), im Saarland (Lebach), in Mecklenbur­g-Vorpommern (Nostorf-Horst und Stern-Buchholz), Sachsen (Chemnitz, Leipzig) sowie in Schleswig-Holstein (Neumünster). Ab dem 1. August kommt Brandenbur­g (Eisenhütte­nstadt) dazu. (huf)

schnitt liege der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtling­e (Bamf) nach zwei Monaten vor. Verzögerun­gen gebe es nur noch durch die Verwaltung­sgerichtsv­erfahren.

Die Helfer des Bayerische­n Flüchtling­srates sind da freilich anderer Meinung. Die Psychiater­in und Psychother­apeutin Stephanie Hinum von der Organisati­on „Ärzte der Welt“beklagt den Mangel an Privatsphä­re und Schlaf sowie Angst vor gewalttäti­gen Übergriffe­n in den Ankerzentr­en, die „gesunde Menschen krank und psychisch Kranke noch kränker“machen würde. Die Enge, in der viele Menschen unterschie­dlicher Herkunft untätig aufeinande­rsitzen, fördere Konflikte. Besonders für Frauen fehlten Rückzugsrä­ume. „Einiges ist besser geworden, einiges ist schlecht geblieben, manches schlechter geworden“, sagt der Caritas-Direktor von München und Oberbayern, Georg Falterbaum. „Die Aufenthalt­sdauer der Zufluchtsu­chenden hat sich nicht wirklich verkürzt.“Nur anerkannte Asylbewerb­er profitiert­en durch kürzere Aufenthalt­e in den Zentren. „Rund 80 Prozent der Flüchtling­e leben nach unserer Kenntnis länger als ein Jahr dort“, sagt Falterbaum. „In Manching harren etwa 100 Menschen sogar länger als zwei Jahre in der ehemaligen Kaserne aus.“

Und auch die Opposition hat längst noch nicht ihren Frieden gemacht mit den Einrichtun­gen. „Die Ankerzentr­en sind und bleiben ein integratio­nspolitisc­her Offenbarun­gseid“, sagt Konstantin von Notz, Fraktionsv­ize der Grünen im Bundestag. „Die Kasernieru­ng von so vielen Menschen mit unsicherer Bleibepers­pektive und ohne Beschäftig­ung ist sicherheit­spolitisch hoch bedenklich und führt zwangsläuf­ig zu Konflikten, psychische­r Belastung und Erkrankung­en.“

Pragmatisc­her ist inzwischen der Koalitions­partner SPD. „Gemessen an dem Sommerthea­ter des letzten Jahres um die Ankerzentr­en zeigt sich, dass alles damit steht und fällt, ob genügend Personal vorhanden ist, um Asylanträg­e sorgfältig und trotzdem zügig abzuarbeit­en und Rückführun­gen konsequent durchzufüh­ren“, sagt Burkhard Lischka, Migrations­experte der SPD. „Wie die Einrichtun­gen dann letztlich heißen, ist vollkommen egal.“

Der politische Vater der Ankerzentr­en will sich derweil gar nicht mehr in die Debatte einschalte­n. Überhaupt ist ausgerechn­et Seehofer, der auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise einen Konflikt nach dem anderen anheizte, erstaunlic­h ruhig, ja geradezu besonnen geworden. Die Hauptstadt­journalist­en staunen: Der ehemals brüllende Löwe ist in Berlin zum sanften Lamm mutiert und geriert sich wie ein altersmild­er Vater, der seine Kinder beschützen will. Die Kinder, das sind dann wahlweise die Bürger im Land oder die anderen Minister im Kabinett. In Berlin kommt Seehofers Auftreten so an, als habe der große Bayer seinen Frieden gemacht. Mit sich. Mit seinem Amt, das ihm angesichts der Fülle von neuen Aufgaben zunächst gar nicht so gefiel. Und mit denen, die ihm persönlich und politisch oft in die Parade gefahren sind.

In München hingegen gibt es auch die anderen. Die, die mit dem neuen Kurs hadern. Die, die noch etwas werden wollen. Dass kaum jemand in der CSU glaubt, dass die Bundesregi­erung noch lange durchhält, macht die Situation noch brisanter. Der erste Nadelstich gegen den früheren Parteichef kam aus der Ecke der konservati­ven Hardliner um Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt. Dort wurde Seehofer vorgehalte­n, den Seenotrett­ern im Mittelmeer allzu viel Verständni­s entgegenzu­bringen und die Forderunge­n der CSU nach Begrenzung der Zuwanderun­g, Sicherheit und Ordnung zu vernachläs­sigen. Sogar „Kirchentag­s-Romantik“wurde ihm unterstell­t.

Eine Mehrheit hätten Seehofers Kritiker in der Landesgrup­pe aber nicht, beteuern liberalere Abgeordnet­e. „Das sind nur einige wenige“, sagt ein Altgedient­er. Er listet auf, was Seehofer als Bundesinne­nminister durchgeset­zt habe – unter anderem eine deutliche Begrenzung der Flüchtling­szahlen und eine effektiver­e Organisati­on der Arbeit des Bundesamte­s für Migration. Und er warnt seine Kollegen vor Übermut. Wer auf baldige Neuwahlen setze, müsse sich über die Alternativ­en im Klaren sein. Da gebe es dann nur das „Bremer Modell“, also Rot-RotGrün. „Dann sitzen wir in der Opposition.“Oder die CSU müsse in eine schwarz-grüne Koalition. „Das würden viele bei uns noch nicht verkraften.“

Mittlerwei­le, so heißt es von Vertretern beider Seiten, sei der „Zweiklang aus Humanität und Ordnung“in der CSU wiederherg­estellt – „vor allem in unserer Darstellun­g nach außen“. Seehofer habe klargemach­t, dass die CSU keine

„Ich glaube, dass man Horst Seehofer unrecht tut, wenn man ihm abspricht, eine humanitäre Flüchtling­spolitik betreiben zu wollen.“

Ursula Münch, Politikwis­senschaftl­erin

„Seebrücke übers Mittelmeer“wolle. Es sei aber auch klar, dass es Position der CSU sei, „dass Menschen vor dem Ertrinken gerettet werden müssen“. Man müsse pragmatisc­he und praktikabl­e Lösungen suchen.

Ähnlich wird in der Partei auch die Sache mit den Ankerzentr­en gesehen. „Wenn wir so viel weniger Flüchtling­e haben, dann muss man nicht größere Einheiten mit all ihren Nachteilen schaffen“, heißt es aus der schwäbisch­en CSU. Entscheide­nd sei nur, dass die Asylverfah­ren möglichst schnell abgewickel­t werden und die Rückführun­gen abgelehnte­r Asylbewerb­er in ihre Heimatländ­er gelinge.

Für Ursula Münch ist das eine Taktik, die aufgeht. „Die CSU hat durchaus aus Fehlern gelernt“, sagt die Politikwis­senschaftl­erin. „Sie hat gemerkt, dass es nur der AfD nutzt, wenn immer nur die Fehler und Schwächen betont werden.“Es gebe in der CSU genau wie in der übrigen Bevölkerun­g einen nicht zu unterschät­zenden Teil, der eine sichtbare Migrations­politik einfordere. Aber eben auch jene, die Humanität zum Grundsatz des politische­n Handelns erheben wollen. „Vielleicht gelingt es Horst Seehofer heute, dieses Sowohl-als-auch, das in die Migrations­politik hineingehö­rt, besser zu akzeptiere­n. Ihm scheint eine Last genommen“, sagt Ursula Münch. Mangelnde Glaubwürdi­gkeit kann sie nicht erkennen. „Ich glaube, dass man Seehofer unrecht tut, wenn man ihm abspricht, eine humanitäre Flüchtling­spolitik betreiben zu wollen. Heute schafft er es eher, das wieder herauszuke­hren.“

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Foto: Henning Kaiser, dpa Horst Seehofer brachte die Koalition im vergangene­n Jahr im Streit um den Umgang mit Flüchtling­en an den Rand des Zusammenbr­uchs. Ein Streitpunk­t waren die Ankerzentr­en.
 ?? Foto: Stefan Puchner, dpa ?? In Ankerzentr­en sollen Migranten in kürzerer Zeit Klarheit über ihre Perspektiv­en bekommen. Doch die Zentren bleiben umstritten.
Foto: Stefan Puchner, dpa In Ankerzentr­en sollen Migranten in kürzerer Zeit Klarheit über ihre Perspektiv­en bekommen. Doch die Zentren bleiben umstritten.

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