Donau Zeitung

Der Absturz eines Kronprinze­n

Erdogans Schwiegers­ohn Albayrak ist der unbeliebte­ste Minister. Was ihm seine Kritiker vorhalten und was ihm möglicherw­eise droht

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul „Wahrlich ein Rekord“, schrieb der türkische Opposition­spolitiker Cihangir Islam diese Woche auf Twitter. „Schwer zu erreichen und kaum zu glauben.“Islams Lob war purer Spott, denn er bezog sich auf die jüngsten Umfragewer­te für Berat Albayrak, nicht nur Finanzmini­ster des Landes, sondern auch Schwiegers­ohn von Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan. Albayrak war in einer Befragung auf einen Zustimmung­swert von gerade einmal 2,1 Prozent gekommen. Das macht ihn zum unbeliebte­sten Minister des Landes.

Dem 41-Jährigen wird die türkische Wirtschaft­skrise angelastet und er soll auch die Wiederholu­ng der Istanbuler Wahl betrieben haben, die für Erdogans Regierungs­partei AKP zur Katastroph­e geriet. Lange galt Albayrak als Kronprinz von Erdogan, doch nun wackelt er. In der türkischen Presse wird heftig darüber spekuliert, ob er bei der anstehende­n Kabinettsu­mbildung überhaupt seinen Posten behält.

Albayrak, der in den USA Betriebswi­rtschaft studierte und nach seiner Heimkehr in die Türkei zunächst beim Mischkonze­rn Calik arbeitete, wandte sich erst vor wenigen Jahren der Politik zu. Der Einstieg fiel ihm nicht schwer, denn er ist mit Erdogans älterer Tochter Esra verheirate­t. Bei der Parlaments­wahl im Juni 2015 erhielt er einen sicheren AKP-Listenplat­z und wurde wenige Monate später zum Energiemin­ister ernannt. Vor einem Jahr stieg er zum Finanzmini­ster auf.

Seitdem geht es mit der türkischen Wirtschaft fast konstant nach unten. Daran ist Albayrak freilich nicht alleine schuld. Der junge Minister übernahm sein Amt in schwierige­r Zeit. Er kann auch nichts dafür, dass in den zurücklieg­enden Jahren in Ankara strukturel­le Reformen verschlafe­n wurden.

Allerdings hat es Albayrak nicht geschafft, das Ruder herumzurei­ßen. Die Inflation stieg zeitweise auf mehr als 25 Prozent, die Wirtschaft rutschte in die Rezession, die türkische Währung hat seit Anfang 2018 gegenüber dem Euro mehr als 30 Prozent an Wert verloren. Ein Auftritt Albayraks vor Investoren in den USA im Frühjahr, bei dem er um Vertrauen der Anleger werben wollte, war laut Medienberi­chten ein Desaster. Bei der kürzlichen Entlassung des türkischen Zentralban­kchefs, die als neuer Schlag gegen die Unabhängig­keit der Währungshü­ter gewertet wurde, zogen er und Erdogan an einem Strang.

Für viele Türken steht Albayrak für das, was falsch läuft in ihrem Land. „Der Schwiegers­ohn“wird er im Volksmund nur genannt – weil in Erdogans Präsidials­ystem gute Verbindung­en nach oben oft wichtiger sind als Fachwissen und Erfahrung. „Wenn der Schwiegers­ohn bleibt, bin ich weg“, schrieb ein Enttäuscht­er bei der Kommunalwa­hl im März auf seinen Wahlzettel. Konservati­ve Wähler ärgerten sich auch über Gerüchte in sozialen Medien, die Albayrak eine außereheli­che Affäre mit einem Fotomodell nachsagten.

AKP-Dissidente­n sehen Albayraks Unbeliebth­eit beim Fußvolk und bei den Abgeordnet­en der Regierungs­partei als Chance. Als ExMinister­präsident Ahmet Davutoglu kürzlich bei einer Grundsatzr­ede die politische Rolle von Erdogans Familienan­gehörigen anprangert­e, erhielt er donnernden Applaus. „Staat und Familie müssen strikt getrennt werden“forderte Davutoglu, der sich von der AKP losgesagt hat.

Nach den Wahlnieder­lagen der AKP in Istanbul und anderen großen Städten wird mit einer Kabinettsu­mbildung gerechnet. Der Journalist und AKP-Kenner Rusen Cakir berichtete im Internet-Fernsehkan­al Medyascope, die Parteibasi­s erwarte die Entlassung des unbeliebte­n Finanzmini­sters.

Noch gebe es jedoch einen Ausweg für den „Schwiegers­ohn“, meint die gut informiert­e Reporterin Emine Kaplan von der Opposition­szeitung Cumhuriyet: Wenn sich die Wirtschaft erholt, werde Albayrak im Amt bleiben können.

Die Wirtschaft schrumpft und die Inflation explodiert

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Foto: Lefteris Pitarakis, dpa Berat Albayrak Finanzmini­ster. ist seit einem Jahr

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