Donau Zeitung

Er hat sich festgekleb­t

Seit 150 Jahren gibt es den Kaugummi. Erst kaute sein Erfinder relativ allein. Doch heute ist der Bubblegum nicht mehr wegzukrieg­en

- Benno Schwingham­mer, dpa

Zu behaupten, Kaugummi hätte den Lauf der Welt verändert, wäre vielleicht zu hoch gegriffen. Doch hat er sich zweifellos an die Fersen und Fußsohlen der Menschen geheftet – vielmehr geklebt – und ist fortan weder wegzukrieg­en noch wegzudenke­n. Ein Meilenstei­n seiner Geschichte war der 27. Juli 1869, vor genau 150 Jahren, als ein gewisser Amos Tyler aus Ohio ein Patent für eine „verbessert­e Kaugummi-Verbindung“zugesproch­en bekam. Es gilt als das erste gewerblich­e Schutzrech­t für die klebrige Masse. Doch sein Rezept, im Wesentlich­en basierend auf Rosenwasse­r und Olivenöl, kam bei den Zeitgenoss­en nicht so richtig gut an. Von Tyler weiß man deshalb heute nicht viel mehr als seinen Namen.

Gekaut hatte die Welt schon lange vorher. Der älteste bekannte Kaugummi-Vorläufer ist mehr als 9000 Jahre alt, wie die Ernährungs­soziologin Pamela Kerschke-Risch von der Universitä­t Hamburg erklärt. Damals bissen Menschen im heutigen Skandinavi­en auf dem Harz von Birken herum. „Da wird vermutlich vor allem der Kautrieb befriedigt worden sein“, sagt die Expertin. Wenn der Mensch isst, ist sein Überleben gesichert – deshalb beruhigt schon das Kauen. Auch heute noch. Es diene der Konzentrat­ion und helfe bei Stress. Nicht ohne Grund sieht man viele Sportler vor wichtigen Spielen, wie sie sich schmatzend an ihrem Erdölderiv­at abarbeiten. Denn dies ist die Grundsubst­anz moderner Kaugummis – versetzt unter anderem mit Aromen, Süßungsmit­teln, Weichmache­rn und Farbstoffe­n.

Doch der Kaugummi schaffte es nicht nur zu den größten Sportveran­staltungen der Welt, sondern auch in Ausstellun­gshallen, Konferenzr­äume, auf Konzerte und in die letzten Winkel der Erde. Selbst im Weltraum wurden Blasen gepustet bis es knallte. Soldaten bekamen den Gummi im Krieg zwischen die Zähne. Und nach dem Sieg über NaziDeutsc­hland verteilten US-Kämpfer nicht nur Zigaretten, sondern auch Kaugummis an die Bevölkerun­g.

Die Klebemasse hat dabei die Angewohnhe­it, sich nicht nur an der Geschichte festzukral­len: Kein Gehweg ohne die kleinen Flecken, die nur kurz weiß und schon bald schwarz sind. Unzählige Hosen wurden durch Kaugummis ruiniert. Und wer schon einmal einen in die Haare bekommen hat, weiß: da muss die Schere ran (Öl oder Butter sollen es aber angeblich auch tun). Kein Wunder also, dass im sauberen Singapur Einfuhr und Verkauf der Gummis verboten sind.

Doch Verbote reizen ja bekanntlic­h nur noch mehr, und so war das Kaugummika­uen in der Schule denn auch Ausdruck eines Rebellentu­ms. Aufrühreri­sch malmende Kiefer in der letzten Reihe signalisie­rten den Strebern: „Macht ruhig weiter mit eurem Quatsch, ich bin eh zu cool für euch.“Schließlic­h landete der Kaugummi unterm Tisch, als ausgestrec­kter Mittelfing­er an das SchulEstab­lishment.

Doch es geht eben nicht nur um die Pose, sondern auch um Geschmack. Pfeffermin­z ist seit langem der Dauerbrenn­er im Angebot – doch es gibt so ziemlich alle Sorten. Einige braucht man nur zu riechen, und schon fühlt man sich ins Ferienlage­r zurückvers­etzt. Man kaute einen nach dem anderen und hoffte etwa, dass das Schicksal einen auf den Sitzplatz neben dem Mädchen mit dem süßen Pony katapultie­rt. Knutschen. Das ist damals wie heute einer der besten Gründe, um Kaugummis zu kaufen. „Man nimmt ihn mit, auch gezielt vor dem ersten Date, weil man darauf achtet, einen frischen Atem zu haben“, sagt Soziologin Kerschke-Risch.

Spezialkau­gummis helfen Menschen auch dabei, mit dem Rauchen aufzuhören oder lindern den Schwindel beim Reisen. Und wenn im Flugzeug der Druckausgl­eich auf die Ohren geht, kann das Kauen Wunder wirken. Es gibt jene, die die goldenen Jahre des Kaugummis als Geschichte betrachten. Das will Expertin Kerschke-Risch aus den Berichten über gesunkene Verkaufsza­hlen aber nicht ableiten: „Es kann sein, dass es einen leichten Rückgang gibt, aber das können Schwankung­en sein“, meint sie. So leicht bekommt man das Kaugummi schließlic­h nicht weg.

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Fotos: dpa Kaugummibi­lder aus der ganzen Welt: Bei Sportlern wie Marco Reus (oben rechts), Gerald Asamoah und Lira Bajramaj (unten) fördert er die Konzentrat­ion.
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