Donau Zeitung

Salvinis Sommer

Italien ist in diesen Tagen im Ferienmodu­s. Auch Matteo Salvini sieht man oft am Strand. Der rechtspopu­listische Innenminis­ter tourt von einem Küstenort zum nächsten. Und kündigt dann kurzerhand die Regierungs­koalition auf. Wer soll ihn jetzt noch aufhalt

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Rom Der August ist den Italienern heilig. Jetzt, in den Ferien, ist das ganze Land im Urlaubsmod­us. Gerade jetzt, da man auf Ferragosto zusteuert, das Mittsommer­nachtsfest an Mariä Himmelfahr­t, liegt gefühlt das ganze Land am Strand. Die meisten Tätigkeite­n kommen da zum Erliegen, nur der Verkehr nicht. Auf den Straßen rund um die Adria-Stadt Termoli reihen sich die Autos aneinander. Und in der Stadt drängen sich die Menschen – schon, weil es etwas zu sehen gibt. Matteo Salvini macht am Freitag auf seiner vorsorglic­h angesetzte­n „BeachTour“hier Halt. Ein Stopp auf seiner Reise von Strand zu Strand, von einem Wähler zum nächsten.

Die Stadt in der Region Molise spielt verrückt. Der Innenminis­ter und Vizeminist­erpräsiden­t, der am Vorabend das Ende der Regierungs­koalition mit der Fünf-Sterne-Bewegung in Rom angekündig­t hat, wird wie ein Popstar eskortiert. Eine Frau im Bikini wirft sich dem schwitzend­en Minister an die Brust. „Grande Matteo“, ruft sie. Großartige­r Matteo. Dutzendwei­se herbei geeilte Anhänger tun es ihr nach. „Capitano“, ruft eine ältere Frau, so nennen Salvinis Anhänger in der rechten Lega-Partei ihren Leader.

Salvini hat sich zu diesem Anlass ein blaues Italien-Trikot übergestre­ift – ein Zeichen seines Patriotism­us. Als er sich nach hunderten Handschläg­en, Selfies und nicht wenigen Umarmungen in ein Zelt vorgearbei­tet hat, atmet er tief durch. Der Mann ist von der Sommerhitz­e und den Menschenma­ssen geplättet, das ist nicht zu übersehen. Doch jetzt geht es für den Rechtspopu­listen erst richtig los.

Die italienisc­hen Tageszeitu­ngen lassen am Freitag keine Zweifel daran, wer der Motor der Regierungs­krise zwischen rechter Lega und linkspopul­istischer Fünf-SterneBewe­gung in Italien ist – und was das für Ministerpr­äsident Giuseppe Conte heißt. „Salvini spricht Conte das Misstrauen aus“, titelt der Corriere della Sera. „Salvini entlässt Conte“, schreibt La Stampa aus Turin – als könne der Innenminis­ter den Regierungs­chef feuern.

Salvini selbst sagt am Freitag in Termoli: Der Schritt sei „konsequent und mutig“, vom Koalitions­partner kämen mehr „Neins“als „Jas“, „die Regierung steht still“. Und dann sagt der 46-Jährige noch: „Das Sinnvollst­e für die Italiener ist, so schnell wie möglich wählen zu gehen.“Trotz der Ferien würden sich ab Montag alle Abgeordnet­en der Lega in Rom einfinden. Einen Misstrauen­santrag gegen den parteilose­n, aber der Fünf-Sterne-Bewegung nahestehen­den Ministerpr­äsidenten Giuseppe Conte hat die Partei bereits gestellt. Und dann folgt noch ein typischer Salvini-Satz: Auch die anderen Abgeordnet­en sollten „ihren Arsch hochbekomm­en“. Die Menge in Termoli johlt.

Seit Januar kriselt es immer wieder im unorthodox­en Bündnis der Links- und Rechtspopu­listen. Bisher sind es vor allem Worte, die nach knapp 14 Monaten das Ende des wohl waghalsigs­ten politische­n Experiment­s in Europa besiegeln. Die Italiener konnten im Fernsehen verfolgen, wie ihr braun gebrannter Innenminis­ter am Donnerstag­abend per Handstreic­h in Pescara das Ende der Regierung erklärte. „Ich bin nicht hier, um Stühle anzuwärmen“, sagte Salvini in die Mikrofone. Stühle – italienisc­h „poltrone“– gelten in Italien als Machtsymbo­l einer Kaste, die vor allem an ihrem eigenen Wohl interessie­rt ist.

Salvinis Bart ist grauer geworden nach einem Jahr als Innenminis­ter, auch die Schläfen sind inzwischen grau meliert. Er will Regierungs­chef werden – das weiß das Land seit langem. In diesen Tagen sagt es Salvini offen: „Ich fordere die Italiener auf, mir volle Macht zu übertragen.“

Wenn man sich in Italien umhört, dann sind es zwei Aspekte, die die Landsleute am Innenminis­ter schätzen: Hartes, kompromiss­loses Durchgreif­en gegen Immigrante­n, so wie es der Lega-Politiker gegen die Seenotrett­er im Mittelmeer vorgemacht hat. Kapitäne der Schiffe, die Flüchtling­e aufnehmen, müssen inzwischen mit Geldstrafe­n von bis zu einer Million Euro rechnen.

Zum anderen punktet der 46-jährige Mailänder mit seinem lauten Aufbegehre­n gegen die vermeintli­ch starken Mächte im Hintergrun­d – gegen die EU-Kommission, die Italiens Schuldenpo­litik mit Argusaugen beobachtet, und gegen die nationalen Regierunge­n in Berlin und Paris. „Zuerst die Italiener“, lautete die wichtigste politische Botschaft der Lega im EU-Wahlkampf. Diese Position kommt bei den von Wirtschaft­skrise und nationalem Minderwert­igkeitskom­plex geschunden­en Italienern offenbar an.

Und so kommt die Regierungs­krise alles andere als überrasche­nd. Seit Monaten, wenn nicht seit Beginn der Koalition im Juni 2018, wurde ihr baldiges Ende beschworen. Es gab wenige Themen, bei denen die Koalitions­partner in den vergangene­n 14 Monaten an einem Strang zogen. Und erst recht nicht, es um den Bau der Bahnstreck­e von Turin nach Lyon ging.

Die 20 Milliarden Euro teure Hochgeschw­indigkeits­strecke ist eines der größten Streitthem­en des Regierungs­bündnisses. Die Lega, die dem norditalie­nischen Unternehme­rtum nahesteht, fordert, dass die Bahntrasse über die Alpen weitergeba­ut wird, die Fünf-SterneBewe­gung wertet sie als Verschwend­ung von Steuergeld und Umweltfrev­el und hat den Widerstand gegen das Mega-Projekt zur Identitäts­frage gemacht.

Als die Fünf-Sterne-Bewegung vor wenigen Tagen im Parlament tatsächlic­h gegen den Weiterbau stimmte, sah Salvini seinen Moment gekommen. Den Moment, in dem er aufs Ganze gehen musste.

Nach den Wahlen im Frühjahr 2018 taten sich mit Salvinis rechter Lega und der vom Komiker Beppe Grillo gegründete­n und ursprüngli­ch linksorien­tierten Fünf-SterneBewe­gung zwei politisch scheinbar inkompatib­le Kräfte zusammen. Die systemkrit­ischen Sterne waren ursprüngli­ch mit knapp 33 Prozent der starke Part. Im Laufe des Jahres kehrten sich die Kräfteverh­ältnisse proportion­al um. Inzwischen ist Salvinis Lega, die 2014 noch gut sechs Prozent erreichte, die stärkste Partei Italiens. Die Sterne stürzten ab. Das ist auch an der Führungsri­ege der Partei abzulesen.

Der 33-jährige Parteichef, Vizeminist­erpräsiden­t und Arbeitsmin­ister Luigi Di Maio spielt nur noch eine untergeord­nete Rolle, ihm werden parteiinte­rn zahlreiche ungeschick­te Schachzüge angelastet. Im Falle von Neuwahlen, die Mitte Oktober stattfinde­n könnten, wäre die Karriere des einstigen politische­n Shootingst­ars wohl schon vorbei. Di Maio sitzt bereits die zweite Legislatur im Parlament. Ein internes Statut der Anti-Establishm­ent-Partei verbietet ihren Vertretern eine dreifache Kandidatur.

Wer also kann Salvini noch aufwenn halten? Wie es scheint, vorläufig nur er selbst.

Denn es ist keine Frage, dass die Lega die kommenden Wahlen für sich entscheide­n wird. 38 bis 40 Prozent der Stimmen könne man erzielen, heißt es in Lega-Kreisen. Das wäre in Zeiten, in denen die einstigen Volksparte­ien um ihr Überleben kämpfen, ein eindeutige­s Mandat für den mächtigste­n Rechtspopu­listen des Kontinents. Salvini hat die Bedürfniss­e eines Großteils der Italiener bedient: die weitverbre­itete Sehnsucht einer nach wie vor männlich dominierte­n Gesellscha­ft nach einem tatkräftig auftretend­en Leader, wie ihn schon der vierfache ExPremier Silvio Berlusconi und der 2016 gescheiter­te Premiermin­ister Matteo Renzi verkörpert­en.

Salvini ist ausgebilde­ter Journalist und war bereits mit 17 Jahren in der Mailänder Lokalpolit­ik aktiv. Dennoch gelingt es ihm, sich als systemfrem­de Kraft zu inszeniere­n. Ein Mitarbeite­rstab, der die sozialen Netzwerke in seinem Namen bedient, hilft dabei.

Dort sieht man in diesen Tagen, wie Salvini seinen Sommer verbringt. Wie er in Milano Marittima an der Oberen Adria auf einem Polizei-Jetski posiert. Wie er mit Urlaubern Selfies macht – in Badehose, mit einer Kruzifixke­tte um den Hals und Sonnenbran­d. Wie er sich im Strandklub als DJ versucht, mit nacktem Oberkörper inmitten von Go-go-Girls. Es ist Wahlkampf mit vollem Körpereins­atz.

„Wer Salvini wählt, weiß, was er bekommt“, sagt der Innenminis­ter. Er bekommt einen Mix. Anflüge von Menschlich­keit sind auch darin, etwa, wenn der geschieden­e Innenminis­ter auf der Bühne gerührt von seinen Kindern spricht, die er angesichts der berufliche­n Verpflicht­ungen so vermisse. Zuletzt hat er immer wieder Maria, die Muttergott­es, ins Spiel gebracht. Bei einem Wahlkampfa­uftritt im Mai vertraute er sich, seine Partei und das ganze Land der Madonna an. Als vor Tagen das Sicherheit­sdekret verabschie­det wurde, demzufolge die Strafen für Flüchtling­shelfer im Mittelmeer drakonisch verschärft wurden, postete er ebenfalls ein Konterfei der Maria.

Am Donnerstag bekamen Salvinis Follower ein Video präsentier­t. Zu sehen ist darauf ein nackter schwarzer Mann, der sich auf offener Straße in Salerno mit Seife einreibt, um sich zu waschen. „Das ist der Lebensstil, der einigen Linken als unsere Zukunft vorschwebt“, schrieb der Minister und fügte hinzu: Dieser „Illegale“werde ausgewiese­n. In Nigeria könne er sich dann aufführen, „wie er will“.

Das ist die weniger angenehme Seite von Matteo Salvini. Bei nicht wenigen in Italien kommt dieser Ton derzeit bestens an.

 ?? Foto: Stefano Cavicchi, dpa ?? Matteo Salvinis Dienstklei­dung in diesen Tagen: Badehose, ein Kruzifix um den Hals, manchmal auch ein Sonnenbran­d. Hier posiert Italiens Innenminis­ter auf einem Jetski der Polizei.
Foto: Stefano Cavicchi, dpa Matteo Salvinis Dienstklei­dung in diesen Tagen: Badehose, ein Kruzifix um den Hals, manchmal auch ein Sonnenbran­d. Hier posiert Italiens Innenminis­ter auf einem Jetski der Polizei.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany