Das Plastik-Problem
Früher war Kunststoff ein Symbol für Wohlstand. Inzwischen sind Verpackungen ein globales Ärgernis, auch weil sie die Meere verschmutzen. Wohin also mit dem Abfall? Bislang wurde er oft exportiert. Aber das ist nicht mehr so leicht. Und jetzt?
Strände, vor denen so viele Kanister, Flaschen, Tüten und Plastikbecher schwimmen, dass man das Wasser nicht mehr sieht. Seevögel, die verendet sind, weil sie Plastikteile im Magen hatten. Eine Meeresschildkröte, in deren Nase ein zwölf Zentimeter langer Strohhalm steckt. Bilder wie diese gehen um die Welt. Die Folge: Plastik, das viele Menschen bisher bedenkenlos konsumiert haben, wird immer kritischer beäugt. Verbraucher fragen sich, wie es zu der Umweltverschmutzung kommen konnte und vielleicht auch, wie groß ihr Anteil daran ist? Wer versucht, diese Fragen zu beantworten, stößt auf eine Geschichte mit mehreren Erzählsträngen. Der erste beginnt im Supermarkt.
Plastik ist eine Erfolgsgeschichte. Die ersten Kunststoffe entstanden im 19. Jahrhundert, Zelluloid kam 1869 auf den Markt. Es folgten synthetische Kunststoffe. Im Jahr 1912 zum Beispiel Polyvinylchlorid, bekannt als PVC. Kunststoffe sind leicht, beständig, formbar und billig in der Herstellung. In den 60er Jahren setzte der Handel verstärkt auf Wegwerfverpackungen, ihr Siegeszug begann. Ende der 80er Jahre gab es in vielen westlichen Ländern kaum mehr wiederbefüllbare Limo- oder Milchflaschen, berichten die Heinrich-Böll-Stiftung und der Bund für Umwelt- und Naturschutz in Deutschland, kurz BUND. Die beiden Organisationen haben Fakten über Plastik gesammelt und in einem „Plastikatlas“gebündelt. Heute landen demzufolge 40 Prozent
der Plastikprodukte in weniger als einem Monat im Abfall. Es genügt ein Blick in die Supermarktregale: Käse, Wurst, Obst und Chips sind in Kunststoff verpackt. Ein Abendessen, ein Fernsehabend und die Verpackungen haben ihren Zweck erfüllt. Aber werden sie nicht wiederverwertet? Zumindest das, was in den Gelben Sack oder die Gelbe Tonne kommt?
Ernüchterung macht sich breit, wenn man die Zahlen der Fachleute ansieht: Offiziell, berichten die Autoren, seien die Recyclingquoten in Deutschland recht hoch. Im Jahr 2016 lagen sie bei 45 Prozent. Dies täusche aber darüber hinweg, dass diese sich nur auf die bei einem Recyclingunternehmen angelieferte Menge bezieht und nicht den wirklich recycelten Output darstellt. Nehme man die Gesamtmenge der anfallenden Kunststoffabfälle, würden in Deutschland nur 15,6 Prozent zu Rezyklat verarbeitet. 7,8 Prozent seien mit Neukunststoff vergleichbar. Dies entspreche 2,8 Prozent der in Deutschland verarbeiteten Kunststoffprodukte. „Von einer Kreislaufwirtschaft kann kaum gesprochen werden“, lautet das bittere Fazit der Autoren.
Ein Grund dafür ist, dass es die deutschen Recyclingunternehmen vor allem auf sortenreine Kunststoffe abgesehen haben, berichtet Rolf Buschmann, Umwelt-Experte des BUND in Berlin. Kunststoffe wie PET (Mineralwasserflaschen) oder PE (Shampooflaschen) seien wertvoll, mit ihnen werde ein gutes Geschäft gemacht, zum Teil könne man daraus sogar neue Lebensmittelverpackungen herstellen. Für Ballen aus diesem Material finden Sortieranlagen auch im Inland Abnehmer. Das Problem: Es gibt zahlreiche andere Kunststoffe und komplizierte Verpackungen aus mehreren Plastik-Arten. „Diese Mischkunststoffe können nicht ohne Weiteres wiederverwertet werden“, sagt Buschmann.
Hier beginnt der zweite Strang der Plastik-Geschichte. Er handelt vom Müllexport in ferne Länder. Dabei spielt auch eine Rolle, dass neues Plastik recht billig ist. Der niedrige Preis für Neukunststoffe und das teure Aussortieren und Aufarbeiten von Gebrauchtkunststoff habe in Europa dazu geführt, dass ein Großteil des Plastikabfalls nach Übersee verschifft wurde, berichten Heinrich-Böll-Stiftung und BUND. Buschmann geht davon aus, dass es nicht die besten Kunststoffe waren, die ihren Weg vor allem nach Asien antraten. Eher die Reste aus den Sortieranlagen. Man könnte auch sagen: der Dreck.
Und dann? Was passierte mit dem Plastik aus dem Westen in den Ländern? Lange Zeit waren in Asien die Lohnkosten niedrig, in vielen Ländern sind sie es bis heute. Man könne es sich so vorstellen, dass Männer und Frauen aus den Bündeln aus Europa die letzten wertvollen Kunststoffe herauspicken, beschreibt es Buschmann. Damit lassen sich durchaus sinnvolle Produkte herstellen. Aus PET-Flaschen zum Beispiel Fleece-Pullis. Das Problem ist, dass auch viele nicht-recycelbare oder verschmutzte Kunststoffe mitgeliefert werden. Auf diesen bleiben die asia schen Länder sitzen. Für sie bleibt nichts anderes die Deponie oder die Verbrennung. Im schlimms Fall landen die Reste auf wilden Müllkippen, s Buschmann. Und von dort irgendwann im Meer.
Lange Zeit war China das Abnahmeland Numm eins für Altkunststoffe. Doch angesichts der U weltverschmutzung schob die Regierung den Imp ten im Jahr 2018 einen Riegel vor. China nimmt se her nur Plastik-Ballen mit weniger als 0,5 Proz Verunreinigung durch nicht-recycelbare Material an. Nur noch hochwertiges, sortenreines Mate darf nach China. Das Land macht dicht, doch globale Kunststoff-Abfall sucht sich neue Wege.
Für China sprangen Staaten wie Thailand, Vi nam, Malaysia und Indonesien ein. „Das Probl war, dass diese Länder die Kapazitäten für das R cycling teilweise nicht hatten“, sagt Buschmann. wurde mehr Kunststoff angeliefert, als die Anlag verarbeiten konnten. „Dazu kommen vielleicht no mafiöse Strukturen, sodass am Ende zum Leidwe der Bevölkerung Kunststoff im Hafen stehen bli auf Deponien landete oder illegal verbrannt wurd Jetzt wehren sich auch diese Länder: Im Mai 20 kündigte Malaysia an, 3000 Tonnen Plastikmüll na Australien, Kanada, die USA und andere Staaten z rückzuschicken. Malaysias Umweltministerin Y Bee Yin sagte, ihr Land wolle nicht „die Müllkip der entwickelten Länder“sein. Was also tun?
Ein Ziel: Alles Plastik, das in Deutschland anfä sollte im eigenen Land wiederverwertet werden, s Buschmann. Der Müll muss als Rohstoff geseh werden, nicht als Abfall. Noch aber sei Altkunstst ein globales Handelsgut. „Dabei kann man bis nicht sicherstellen, dass das Recycling, das im A land stattfinden sollte, dort wirklich passiert“, kr siert er. Ein erster Schritt wäre eine stärkere Ko trolle in den Zielländern. „Statt freiwilliger Aussag sollten die Handelspartner Nachweise vorlegen m sen, dass das zugesagte Recycling wirklich erfolgt
Es gibt eigentlich nur eine Lösung: Plastik so gut es geht, zu vermeiden
Und immerhin in Deutschland tut sich etwas: Seit uar diesen Jahres gilt in Deutschland eine neue packungsverordnung. Sie schreibt vor: Jeder, Verpackungen in Umlauf bringt, muss sich regisren lassen. Jeder, der registriert ist, zahlt auch für Entsorgung des Plastikmülls mit. Widersetzen Verpackungshersteller, drohen Bußgelder. Und Verordnung schreibt noch etwas anderes vor: Bis 2 sollen die Recycling-Quoten ansteigen – auf 63 zent. Und diesmal soll nicht das zählen, was zu Recyclinganlagen angeliefert wird. Sondern der tput. Wie gut das in den vergangenen sieben Moen schon funktioniert hat, lässt sich bislang nur wer sagen. Aktuelle Zahlen liegen wohl erst Mitte 0 vor, schätzt das Umweltbundesamt.
Dazu kommt: Die Verwertung von Plastikverpangen sei nicht wirklich transparent, kritisiert fessor Wolfgang Rommel. Er leitet das Umweltitut Bifa in Augsburg und weiß, wie die Altkunstf-Sammlung hierzulande organisiert ist: Die mmunen schließen dafür Verträge mit einem von t dualen Systemen in Deutschland. Das sind Unnehmen, welche die Gelben Tonnen und Gelben ke einsammeln. In welche Sortieranlagen die stikverpackungen dann gebracht werden, sei nur h schwer nachvollziehbar. „Das zuständige duale tem schreibt dies aus, zum Zuge kommt der stigste Anbieter“, berichtet Rommel. So wolle es Bundeskartellamt. Die Sortieranlage, die zum ge kommt, muss nicht in der Region stehen. Und nach den Sortieranlagen mit den gebündelten nststoffen passiere, sei noch weniger transparent. s hänge von den Verträgen der Unternehmen ab. d diese seien meist Geschäftsgeheimnis.
Wir kennen die Mengen Kunststoff, die in unseRegion bei den Haushalten eingesammelt wer“, sagt Rommel. In der Stadt Augsburg waren es m Beispiel 2017 pro Einwohner 31,9 Kilo, in mmingen 27,1 Kilo. „Wo diese Mengen aber hinßen, weiß man nicht.“
Dabei will Rommel Plastikverpackungen nicht verteufeln. „Wir müssen immer die gesamte Ökobilanz eines Produkts betrachten“, sagt er. Plastikverpackungen können ihren Sinn haben. Wichtig sei es aber, bereits mit dem Design der Verpackung darauf zu achten, dass diese später recycelbar ist. „Es gibt heute Verbundmaterialien aus bis zu elf Schichten, diese sind kaum wiederzuverwerten“, kritisiert er.
Hier beginnt der dritte Strang der Plastik-Geschichte. Er handelt von der Verpackungsindustrie selbst. Auf die Betriebe, die Verpackungen für Fleisch, Käse und Gemüse herstellen, schaut zurzeit die Öffentlichkeit. Verbraucher sind sensibilisiert, immer mehr Menschen entschließen sich, lieber gar kein Plastik zu verwenden. Discounter wie Aldi und Lidl kündigen an, die Menge ihrer Verpackungen zu reduzieren. Viele Unternehmen haben zumindest ein
Produkt oder eine Verpackung aus Recyclingplastik im Sortiment. Drogeriemärkte wie dm und Rossmann machen in ihren Regalreihen deutlich, welche Hersteller mit besonders wenig Verpackung auskommen, oder die Teile ihrer Flaschen und Tüten aus altem Kunststoff herstellen.
Der Druck kommt bei der Verpackungsindustrie an. Sie experimentiert mit Kunststoffen, die nicht aus Erdöl, sondern aus nachwachsenden Rohstoffen wie Holz bestehen. Und sie versucht, verstärkt alten Kunststoff wieder zu verwenden. Die Industrievereinigung Kunststoffverpackungen hat sich selbst das Ziel gesteckt, dass bis 2025 mindestens 90 Prozent aller Haushaltsverpackungen recyclingfähig sind oder wiederverwendet werden können. Zudem wollen die Unternehmen bis dahin eine Million Tonnen Recyclingmaterial für ihre Verpackungen verwenden. „Und glauben Sie mir, wir werden diese Ziele einhalten“, sagt Mara Hancker, Sprecherin der Vereinigung. Sie schiebt aber noch etwas hinterher: „Es ist unsinnig, Plastikverpackungen per se zu verdammen.“Natürlich muss sie das sagen, doch ganz unrecht hat sie nicht. Plastik erfüllt viele Voraussetzungen, die der moderne Handel braucht. Die Kunststoffverpackungen halten die Produkte im Inneren frisch und keimfrei. Sie geben keine giftigen Stoffe an den Inhalt ab und sie verhindern, dass die Lebensmittel verderben. An dieser Stelle passt ein gern zitiertes Beispiel: die Salatgurke. In vielen Supermärkten liegt sie immer noch eingeschweißt im Gemüseregal. Plastikgegner bringt das auf die Palme. Doch die Händler wissen sich nicht zu helfen. Gerade wenn die Früchte von weither nach Deutschland transportiert werden, ist der Kunststoff fast unerlässlich. „Alle Plastikverpackungen durch andere Materialien wie Papier, Glas oder Alu zu ersetzen ist erstens unmöglich und zweitens ökologisch überhaupt nicht sinnvoll“, sagt Hancker. Auch sie räumt aber ein, dass es unnötige Verpackungen gibt. Aber ansonsten: „Würde ich mir in der Diskussion manchmal wünschen, dass man die gesamte Energiebilanz einer Verpackung betrachtet und nicht einfach Plastik verteufelt“, sagt Hancker.
Das Thema hat noch eine andere Dimension: Wenn es um die Verpackung geht, sind viele Firmen eitel. Anders kann man es nicht beschreiben. Schon anhand der Verpackung soll der Kunde ein Produkt der jeweiligen Marke zuordnen können. Die Farbe muss stimmen, die Form sowieso. Nur: Wird statt neuem Rohmaterial altes wiederverwendet, dann sieht der Kunststoff oft nicht mehr so schön aus. Manche Farben kann er gar nicht mehr annehmen, weil das Rezyklat – wie das Rohmaterial, das aus altem Plastik besteht, genannt wird – immer etwas gräulich ist.
An einem Punkt laufen die drei Erzählstränge zusammen: zu der Frage danach, wie das Plastik-Problem gelöst werden könnte. Eigentlich gibt es nämlich nur einen Weg. Es darf gar nicht erst so viel Müll entstehen. Vermeiden ist das oberste Gebot. Die Frage ist nur wie?
Eine gute Adresse, um eine Antwort darauf zu finden, ist der Outdoor-Bekleidungs-Spezialist Schöffel. Die Firma aus Schwabmünchen ist Teil eines Forschungsprojekts, das sich fragt: Wie können wir weniger Plastik produzieren? VerPlaPos heißt es und wird von der Stadt Straubing koordiniert. Verschiedene Forschungseinrichtungen, Händler und Hersteller beteiligten sich. Als Unternehmen, das Menschen, die sich gerne in der Natur bewegen als Kunden hat, setzt Schöffel auf Nachhaltigkeit. Überwacht wird das Thema von Johanna Winterhalder. Sie betreut auch die Zusammenarbeit mit dem Forschungsprojekt. Doch so einfach, wie man von außen denken könnte, ist es nicht Verpackung zu vermeiden. „Wir versuchen natürlich überall zu sparen“, sagt Winterhalder. „Doch wir werden selbst mit verpackter Ware beliefert oder schicken sie an Kunden. Um in der gesamten Lieferkette Plastik einzusparen, ist eine sehr gute Planung nötig.“Die Managerin nennt ein Beispiel: Daunenjacke können nicht liegend geliefert werden. Die Daunen zerknautschen, die Jacken sehen nicht mehr schön aus. Also werden sie hängend zum Kunden gebracht. Doch wenn die Jacken hängen, muss jede einzeln verpackt werden. Nur so ist sicher, dass sie unbeschadet beim Einzelhändler ankommen. „Natürlich denken wir darüber nach, ein Mehrwegsystem für diese Verpackungen einzuführen“, sagt sie. Aber auch da stellt sich die Frage: Wie bekommt man seine Hülle wieder zurück?. Entstehen dann nicht wieder höhere Transportkosten, die die Umweltbilanz verhageln? „Das Thema ist sehr komplex“, sagt Winterhalder. Und dennoch: „Neben der Einsparung suchen auch wir aktuell nach Alternativen für Plastik.“