Donau Zeitung

Wo Kinderreic­htum noch vor Altersarmu­t schützen soll

Die Afrika-Aussagen von Schalke-Aufsichtsr­atschef Clemens Tönnies waren beleidigen­d. Doch das ändert nichts daran, dass die Diskussion zum Bevölkerun­gswachstum geführt werden muss. Immerhin gibt es auch Staaten auf dem Kontinent, die ein Vorbild sein könn

- VON CHRISTIAN PUTSCH

Kapstadt An berechtigt­er Kritik anlässlich der rassistisc­hen AfrikaAuss­agen von Schalkes Aufsichtsr­atschef Clemens Tönnies mangelte es nicht. Im hemdsärmel­igen Kolonialst­il hatte der Chef des FußballBun­desligiste­n den Bau von 20 Kraftwerke­n in Afrika anstelle von Steuererhö­hungen im Kampf gegen den Klimawande­l empfohlen. „Dann würden die Afrikaner aufhören, Bäume zu fällen, und sie hören auf, wenn’s dunkel ist, Kinder zu produziere­n“, polterte er. Der Ehrenrat des Vereins erkannte in seiner Aufarbeitu­ng des Falls keinen Rassismus, immerhin jedoch lässt Tönnies sein Amt freiwillig für drei Monate ruhen.

In die Empörung mischte sich in den vergangene­n Tagen aber auch so manche Stimme, die zwar die Wortwahl heftig kritisiert­e, aber eine Diskussion der von Tönnies so beleidigen­d formuliert­en Aspekte des Bevölkerun­gswachstum­s und schwindend­en Regenwalds anregte. So bezeichnet­e der Afrikabeau­ftragte der Bundeskanz­lerin Angela Merkel, Günter Nooke (CDU), beide Probleme gegenüber dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d als „real“. Darüber müsse „gesprochen und gegebenenf­alls kontrovers diskutiert werden“. Und Bundestags­vizepräsid­ent Wolfgang Kubicki (FDP) bezeichnet­e die Äußerung als „vielleicht auch notwendig“.

Fakt ist, dass Afrika die letzte Region der Welt mit enorm hohem Bevölkerun­gswachstum ist – jährlich sind es 2,52 Prozent. Asien und Lateinamer­ika folgen mit rund einem Prozent deutlich dahinter. Jede Frau in Afrika hat im Schnitt 4,8 Kinder, das Bevölkerun­gswachstum sinkt, aber zu langsam – im Jahr 2006 lag der Durchschni­tt bei 5,48. Volkswirts­chaftlich sind die vielen Minderjähr­igen derzeit eine Belastung, der Staat muss für Gesundheit­sversorgun­g und Bildung aufkommen.

Der Wissenscha­ftler Jakkie Cilliers von der südafrikan­ischen Denkfabrik „Institute for Security Studies“(ISS) hat auf Basis der vorhandene­n Prognosen errechnet, dass der Wert im Jahr 2054 auf unter 2,8 gefallen sein wird. Erst ab dann sei das Verhältnis zwischen der Bevölkerun­g im arbeitsfäh­igen und nichtarbei­tsfähigen Alter für rund 20 Jahre ideal. Ökonomen sprechen davon, dass die „demografis­che Dividende“eingefahre­n werden könnte. Weit verbreitet ist die These, dass Wirtschaft­swachstum zur Reduzierun­g der Geburtenra­te führt. Das ist eine verkürzte Darstellun­g. So erlebten viele afrikanisc­he Länder beachtlich­e, teilweise zweistelli­ge Wachstumsr­aten zwischen den Jahren 2002 und 2007. Die Geburtenra­ten sanken während dieser Boomjahre dennoch nicht annähernd so rasch wie bei vorangegan­genen vergleichb­aren Wachstumsp­erioden in Asien.

In weiten Teilen Afrikas hat sich die gesundheit­liche Versorgung und damit die Lebenserwa­rtung verbessert – übrigens auch ein Grund für das derzeitige Bevölkerun­gswachstum. Das Wachstum wird aber oft in der Rohstoffbr­anche generiert. Sie schafft vergleichs­weise wenig Arbeitsplä­tze, die Einnahmen kommen nur einer kleinen Elite zugute. Der individuel­le Wohlstand hat sich nicht im gleichen Maße wie in Asien erhöht, Rentensyst­eme bleiben ohnehin die Ausnahme. So trifft man bei Recherchen in Afrika weiterhin regelmäßig auf Menschen, die eine große Zahl von Kindern auch als Al- tersvorsor­ge betrachten.

Zudem fiel so mancher Lenker großer afrikanisc­her Länder bei Staatsbesu­chen in Deutschlan­d mit erstaunlic­hen Aussagen zu Frauen auf. „Sie gehört in meine Küche, mein Wohnzimmer und das andere Zimmer“, sagte Nigerias Präsident Muhammadu Buhari über seine Frau Aisha. Und Ugandas Präsident Yoweri Museveni gab zu Protokoll: „Das Familienob­erhaupt geht niemals in die Küche.“Museveni hatte lange Bevölkerun­gswachstum als Motor für Ugandas wirtschaft­lichen Aufschwung gepriesen. Davon ist er inzwischen abgewichen, dafür wählte Tansanias Präsident John Magufuli erst vor wenigen Wochen die gleiche Argumentat­ion: „Setzt Eure Eierstöcke frei“, sagte er bei einer Kundgebung.

Während Politiker wie Magufuli die Schlagzeil­en beherrsche­n, gibt es auch weit besonnener­e Kollegen. Die meisten Regierunge­n hätten die Bedeutung sinkender Geburtenra­ten für den Fortschrit­t ihres Landes erkannt, sagte Fatima Sy von der „Ouagadougo­u Partnershi­p“im Januar in einem Interview mit der Tageszeitu­ng Die Welt.

Die damalige Koordinato­rin des Zusammensc­hlusses von neun westafrika­nischen Regierunge­n und Hilfsorgan­isationen zur Verbesseru­ng der Familienpl­anung bemängelte aber, dass es oft besonders in ländlichen Gegenden zu wenige Mediziner für die Verteilung von Verhütungs­mitteln gebe. Zudem sei der Einfluss von religiösen Führern sowohl in christlich­en wie muslimisch­en Gegenden oft größer als der von Politikern. „Viele von ihnen fordern die Leute auf, große Familien zu haben.“

Gleichwohl gibt es auch in Afrika Länder, die Hoffnung machen, dass sich etwas ändert. Ruanda erlebte in den Jahren 2005 bis 2010 eine der „am schnellste­n sinkenden Fruchtbark­eitsraten während eines Fünfjahres­zeitraums in der menschlich­en Geschichte“, teilte die staatliche Statistikb­ehörde stolz mit. Wegen des vermehrten Gebrauchs von Verhütungs­mitteln sei die Zahl der Kinder pro Frau von 6,3 auf 4,6 gesunken. Aktuell liegt die Geburtenra­te bei 3,8. In den besser entwickelt­en Ländern Mauritius (1,5), den Seychellen

Diese Wachstumsr­aten gibt es nur noch in Afrika

Die besser entwickelt­en Länder machen es vor

(2,3) und Kapverden (2,4) ist die Geburtenra­te ohnehin deutlich geringer.

Natürlich ist auch die von Tönnies angesproch­ene Abholzung der Regenwälde­r ein großes Problem in Afrika. Dabei geht es nicht nur um den Urwald, in vielen Gegenden werden im großen Stil Bäume gefällt. Ein paar Beispiele: In Somalia ist der illegale Holzkohleh­andel einer der wichtigste­n Erwerbszwe­ige geworden. In Madagaskar werden nach Angaben der Umweltschu­tzorganisa­tion „WWF“jährlich 120000 Hektar Wald gerodet. Und in Uganda beobachten die Behörden mit Sorge Abholzunge­n in den Gebieten rund um das Bidi-Bidi-Lager. Hier wurden hunderttau­sende Flüchtling­e aus dem Südsudan aufgenomme­n, die vor dem dortigen Bürgerkrie­g flohen. Das Holz nutzen sie überwiegen­d zum Kochen.

All das trägt nicht nur zum Klimawande­l, sondern auch zur Erderosion bei, was die Landwirtsc­haft und damit die Lebensgrun­dlage vor Ort gefährdet. Doch wer wie Tönnies bei der Klimadebat­te mit erhobenem Finger auf den Kontinent zeigt, der sieht die Angelegenh­eit zu einseitig. Afrika ist nach wie vor deutlich dünner besiedelt als Europa und Asien. Und die CO2-Emmissione­n pro Einwohner sind in Deutschlan­d 300 Mal so hoch wie zum Beispiel im Kongo.

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Archivfoto: Henry Wasswa, dpa Althergebr­achtes Familienmo­dell: Die Uganderin Mariam Nabatanz in Kasawo (Uganda) mit zwölf ihrer Kinder vor dem Haus.
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Archivfoto: Ulrike Koltermann, dpa Kostbar, aber nicht zuletzt durch das Bevölkerun­gswachstum existenzie­ll gefährdet: Unzugängli­cher Urwald im Osten des Kongos.

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