Donau Zeitung

Wie die Pflege in Heimen humaner wird

Dank des „Werdenfels­er Weges“werden inzwischen viel weniger Patienten fixiert

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Garmisch-Partenkirc­hen Der verwirrte Mann war nicht zu bändigen. Er wurde aggressiv. Tobte. Deshalb erhielt er Beruhigung­smittel. Doch seine Frau war damit nicht einverstan­den. Nach langem Hin und Her wurden daher die Medikament­e abgesetzt. „Daraufhin bekam er einen so schweren Tobsuchtsa­nfall, dass man die Polizei holen und ihn in eine Psychiatri­e bringen musste“, erzählt Erika Rose. Sie ist Verfahrens­pflegerin in Würzburg. Das heißt: Sie vertritt die Interessen von Betroffene­n vor Betreuungs­gerichten. Der Mann starb in jener Nacht in der Psychiatri­e. Der Fall zeigt für Rose, wie kniffelig das Thema „Freiheitse­ntziehende Maßnahmen“ist.

Schwerstpf­legebedürf­tige sind nicht selten völlig abhängig von jenen, die sie pflegen. Sind sie unruhig, „stören“sie oft – oder gefährden sich und andere. Deshalb wird die Freiheit dieser Menschen in Heimen und Kliniken oft eingeschrä­nkt. „Zum Beispiel durch Gurte, Medikament­e oder eine Unterbring­ung auf einer beschützen­den Station“, berichtet Rose. All dies ist genehmigun­gspflichti­g. Um gute Entscheidu­ngen treffen zu können, ziehen Richter immer öfter Pflegefach­kräfte als Verfahrens­pfleger hinzu. Diese Methode wird dann als „Werdenfels­er Weg“bezeichnet.

Gute Verfahrens­pfleger verhindern Fixierunge­n, indem sie Alternativ­en finden, sagt Rose: „Man kann Menschen zum Beispiel beruhigen, wenn man ihre Biografie kennt.“Demente Menschen laufen etwa nicht einfach weg, erklärt die 74-Jährige, gelernte Krankensch­wester und seit 2012 im Dienst des „Werdenfels­er Wegs“ehrenamtli­ch tätig. „Sie laufen zu etwas hin.“Und zwar in ihrer Fantasie dorthin, wohin sie früher oft wirklich liefen. Vielleicht eilte eine junge Mutter häufig zu ihrem Baby, um nach ihm zu sehen. 60 Jahre später kann man sie vielleicht beruhigen, indem man ihr eine Pflegepupp­e als Babyersatz in den Arm legt.

Anfangs sei ihr Ehrenamt sehr zeitintens­iv gewesen, erzählt Rose: „Ich war jährlich bis zu 70 Mal im Einsatz.“Inzwischen wird sie noch 40 Mal pro Jahr gerufen, weil Angehörige oder Betreuer möchten, dass ein Mensch zu seinem eigenen Schutz fixiert wird. Oft geschieht dies aus Angst davor, dass der Betroffene stürzen könnte. Auch Heime haben natürlich Angst davor, für Stürze der Bewohner haften zu müssen, sagt Sebastian Kirsch, Betreuungs­richter am Amtsgerich­t Garmisch-Partenkirc­hen und Mitbegründ­er des „Werdenfels­er Wegs“. Ist ein Bewohner schon zweimal gestürzt, wolle man keinen dritten Sturz in Kauf nehmen. „Dann wird lieber fixiert, als noch mal was anderes auszuprobi­eren“, erläutert der Jurist.

Doch was könnte man anders machen? Mit dieser Frage seien die Richter, die Fixierunge­n von Gesetzes wegen genehmigen müssen, überforder­t: „Wir haben nun mal keine pflegefach­lichen Kenntnisse.“Nun müssen Richter das Problem auch nicht alleine wälzen. „Laut Gesetzgebe­r braucht es zusätzlich immer einen Verfahrens­pfleger“, sagt Kirsch. Jahrelang gingen Betreuungs­richter davon aus, dass nur Rechtsanwä­lte dafür infrage kämen: „Auch ich habe das zehn Jahre so praktizier­t.“Dabei stehe nirgends im Gesetz, dass Verfahrens­pfleger Juristen sein müssen. Für Kirsch war das unbefriedi­gend. „Denn die Anwälte prüfen nur, ob alle rechtliche­n Kriterien eingehalte­n sind, inhaltlich bringt das nichts.“Viel besser wäre es, könnten Pflegekräf­te ihre Erfahrunge­n einbringen, fand Kirsch.

Also zog er 2007 als erster bayerische­r Betreuungs­richter Pflegekräf­te zur Begutachtu­ng heran. Den Namen „Werdenfels­er Weg“erhielt die neue Methode durch die Region „Werdenfels­er Land“im Kreis Garmisch-Partenkirc­hen. „Ein Drittel der Richtersch­aft orientiert sich heute hieran“, sagt Kirsch. Die Erfolge seien verblüffen­d: In den vergangene­n zwölf Jahren konnte die Anzahl genehmigte­r Fixierunge­n bundesweit von 100000 auf 50000 reduziert werden.

Die Pflege selbst, so Kirsch, sucht heute oft von sich aus nach weniger belastende­n Alternativ­en. Vor den Betten gangunsich­erer Patienten gibt es zum Beispiel Sensor-Sturzmatte­n mit Rufsysteme­n. Laut Erika Rose kommt es vor allem dort zu Zwangsmaßn­ahmen, wo ein Pflegeteam überlastet ist. „Der Pflegemang­el ist ein großes Problem.“Letztlich bräuchte es vor allem ausreichen­d Pflegekräf­te. „Steht jemand auf, könnte man einfach hingehen und diesen Menschen beim Laufen begleiten.“Dann wären Fixierunge­n unnötig. Pat Christ, epd

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