Kann ein Linksruck die SPD retten?
Die Sozialdemokratie sucht einen Weg aus der Krise. Was ein Experte der Partei rät
Bremen/Berlin Wenn heute in Bremen das rot-grün-rote Bündnis seinen Koalitionsvertrag unterschreibt, werden die Blicke vor allem auf der SPD ruhen. Ist das Modell aus dem Norden der Republik ein Modell auch für den Bund? Können sich die gebeutelten Sozialdemokraten von der Union absetzen und ihr Heil in einer linken Koalition finden? Im aktuellen Insa-Meinungstrend verliert die Partei wieder einen Punkt und liegt jetzt nur noch bei 11,5 Prozent. Einen Wert über 20 Prozent konnte die SPD zuletzt Ende 2017 erzielen – seither geht es steil bergab.
Ausschließen will ein Linksbündnis auch der Generalsekretär der Sozialdemokraten, Lars Klingbeil, nicht. „Wir wollen eine starke SPD, dafür kämpfen wir und nach einer Wahl schauen wir, mit wem es die größten inhaltlichen Überschneidungen gibt“, sagt er unserer Redaktion. „Selbstverständlich gehört es dann auch dazu, zu prüfen, welche Gemeinsamkeiten es mit Grünen und Linkspartei gibt.“Andere sind in ihrer Wortwahl deutlich weniger vage. „Sollte es eine Mehrheit links von der Union geben, müssen wir das Gemeinsame suchen und das Trennende analysieren“, sagte die kommissarische SPD-Chefin Malu Dreyer kürzlich. Auf ihrem Parteitag im Dezember will die SPD eine Halbzeitbilanz zur Großen Koalition ziehen.
Für den Politikwissenschaftler Jürgen Falter wäre ein Linksruck der SPD zumindest mit Gefahren verbunden. Die SPD habe nämlich aus mindestens zwei sehr unterschiedlichen Gründen Wähler und Mitglieder verloren. Zum einen aufgrund der Agenda 2010 und der Hartz-IV-Reformen, was den Aderlass zugunsten der Linkspartei und die Abwanderung ins Nichtwählerlager erkläre. „Zum anderen wegen ihres Unvermögens, die Sicherheitssehnsucht und die Überfremdungsängste eines Teiles ihrer Mitglieder und Wähler in ihrer Politik und Programmatik zu berücksichtigen“, sagt Jürgen Falter. Das erkläre ihren Wählerabfluss an die AfD, der nicht zu unterschätzen ist.
„Würde sich nun die SPD weiter nach links wenden, könnte sie vielleicht den einen oder anderen Wähler, der zur Linken oder ins Nichtwählerlager abgewandert ist, zurückholen, würde aber gleichzeitig Gefahr laufen, noch mehr Wähler an die AfD zu verlieren“, betont Falter. „Das ist meines Erachtens ein Nullsummenspiel, aus dem die SPD nicht so leicht herauskommen kann.“Vielleicht könne eine Mischung aus beidem helfen: einer stärkeren sozialen Akzentuierung auf der einen Seite und eine stärkere nationale, heimatbezogene Rhetorik auf der anderen Seite. Vorgemacht haben dies die dänischen Sozialdemokraten. Trotzdem ist der Experte der Uni Mainz skeptisch. „Ich bezweifle aber, dass ein solcher Kurs in der SPD durchsetzbar wäre“, sagt Falter. „Von den Mitgliedern und insbesondere von den Funktionären wird nur eine stärkere Linksorientierung mitgetragen werden, nicht aber eine stärker auf eine Stärkung des National- und Heimatgefühls bezogene Politikwende.“
Die SPD wäre nicht die SPD, gäbe es nicht auch gegen einen möglichen Linksruck erbitterten Widerstand. Er kommt etwa von Ex-Parteichef Sigmar Gabriel und dem früheren nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden Mike Groschek. Um sie hat sich jüngst eine bislang eher lose Gruppe namens „SPD pur“formiert. Nach eigenen Angaben will sich die wieder stärker um die „leistungsbereiten Arbeitnehmer“kümmern. Und mehr Konsequenz in der Sicherheits- und Migrationspolitik durchsetzen. Der Konfliktstoff dürfte den Genossen jedenfalls so schnell nicht ausgehen.
Das ausführliche Interview mit Lars Klingbeil: