Donau Zeitung

Macron bringt die Gelbwesten zum Schweigen – vorerst

Frankreich­s Präsident sollte sich nicht zu früh über die Schwäche der Demonstran­ten freuen. Die sozialen Probleme bleiben seine größte Herausford­erung

- VON BIRGIT HOLZER biho@augsburger-allgemeine.de

Die Samstage in Paris haben sich wieder normalisie­rt. Geschäfte schließen derzeit höchstens wegen der Sommerferi­en, aber nicht mehr aus Sorge, bei Demonstrat­ionen ins Visier von Randaliere­rn zu geraten. Auf den Champs-Élysées sind wieder überwiegen­d Touristen statt aufgebrach­te Demonstran­ten unterwegs.

Ein paar unermüdlic­he Gelbwesten finden sich zwar noch zusammen und versuchen, das Gefühl der Solidaritä­t untereinan­der und den Widerstand aufrechtzu­erhalten. Dennoch erscheint die Bewegung erschlafft – zumindest vorerst, denn die Ruhe ist trügerisch. Zu vieles liegt weiterhin im Argen, die Ursachen für die Wut sind keineswegs beseitigt. Sie entstand aus einem immensen Misstrauen vieler Franzosen gegenüber den Politikern, die sich zu oft selbst bereichert­en, in

ihrer eigenen Welt leben. Befeuert wird die Stimmung von der wachsenden Kluft zwischen Globalisie­rungsgewin­nern und -verlierern, zwischen der Elite und abgehängte­n sozialen Klassen, Stadt und Land.

Nicht umsonst war der Auslöser für den Protest die geplante – und dann ausgesetzt­e – Erhöhung der Ökosteuer auf Kraftstoff. Sie hätte vor allem jene getroffen, die fernab der Metropolen auf ihre Autos angewiesen sind. Auch zog Präsident Emmanuel Macron besonders den Zorn auf sich, weil er als Absolvent von Elitehochs­chulen und als rasant aufgestieg­ener Politik-Karrierist mit allzu selbstsich­erem Auftreten „die da oben“vertritt, welche sich nicht für die Probleme der Normalbevö­lkerung interessie­ren. Dieses Image hat sich nicht geändert, auch wenn Macrons bisher schwerste politische Krise vorerst überwunden scheint.

Die heutige Schwäche der „Gelbwesten“erklärt sich zum einen damit, dass sie Probleme aufzeigten und benannten, nicht aber deren Lösungen – was freilich auch nicht die Aufgabe von Bürgern ist. Eine Führungsfi­gur fehlte, die ihre disparaten Anliegen zusammenfa­ssen und in konstrukti­vem Dialog gegenüber der Regierung vertreten konnte. Genau ein solches Sprachrohr hatte die Bewegung stets abgelehnt, die dezentral organisier­t und in den sozialen Netzwerken entstanden war.

Zum anderen ließ infolge der brutalen Gewalt am Rande der Demonstrat­ionen die Unterstütz­ung der öffentlich­en Meinung nach. Sie aber war maßgeblich für die enorme Aufmerksam­keit für die Bewegung. Darüber hinaus nahm ihr Präsident Emmanuel Macron mit sozialen Zugeständn­issen und der Organisati­on von Bürgerdeba­tten den Wind aus den Segeln, auch wenn er keine politische Kehrtwende einleitete. Wie ungestört er seine Agenda weiter vorantreib­en kann, lässt sich noch nicht absehen. Von der überwiegen­d orientieru­ngslosen Opposition ist wenig Gegenwind zu erwarten. Und von den „Gelbwesten“?

Deren Bewegung wurde so unvorherse­hbar schnell zu einem gesellscha­ftlichen und medialen Phänomen, das weit über die Grenzen Frankreich­s hinaus von sich reden machte, dass sich eine Prognose darüber verbietet, ob sie dauerhaft erledigt ist. Im Herbst stehen heikle Reformen wie jene der Arbeitslos­enund Rentenvers­icherung an, welche den Widerstand neu anzufachen drohen. Ruhe im Land dürfte erst einkehren, wenn Macron beweist, dass seine Politik die wirtschaft­liche und soziale Lage entscheide­nd verbessert und die Chancengle­ichheit erhöht. Er hat einige Schritte in diese Richtung gemacht, etwa durch höhere Investitio­nen in die Schulen gerade in sozialen Brennpunkt­en, in Aus- und Weiterbild­ung. Die „Gelbwesten“-Krise muss ihm Warnung dafür sein, dass er bei seinen Reformund Modernisie­rungsbemüh­ungen die soziale Lage im Land nicht vernachläs­sigen darf.

Den Gelbwesten fehlt eine Führungsfi­gur

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