Die Sehnsucht nach Wandel
Es ist nur eine Frage der Zeit, wann in Italien wieder gewählt werden wird. Ob schon im Herbst oder erst im neuen Jahr: Der Chef der rechten Lega und starke Mann in Rom, Matteo Salvini, hat der Regierung von Ministerpräsident Giuseppe Conte das Vertrauen entzogen, das Parlament wird dem Innenminister früher oder später folgen. Salvini will nun sein politisches Kapital in bare Münze umwandeln. Bis zu 40 Prozent der italienischen Wähler geben laut Umfragen an, den Lega-Chef in seinen
radikalen Ansichten unterstützen zu wollen, sei es in der gnadenlosen Asylpolitik oder beim Schüren von Ressentiments gegen die EU.
Salvini hat den Wandel der ehemaligen Lega Nord von einer separatistischen Regionalpartei in die derzeit stärkste nationale politische Kraft fertiggebracht. Das sagt auch viel über den Zustand Italiens selbst aus. Ein Politiker, der glaubwürdig radikale Rezepte vertritt, wird in Italien nicht an seiner Vergangenheit gemessen, sondern an seinem Potenzial der Veränderung.
Bei vielen Wählern lautet die Gleichung gar: Je stärker und gravierender der Wandel, umso besser. Salvini ist also nur so radikal, wie es die Italiener selber ermöglichen. Italien ist ein zutiefst verunsichertes Land, das sich von den globalen Entwicklungen in die Ecke gedrängt fühlt. Da kommt Salvinis Art, sich als Kumpel zu präsentieren, gut an. Doch er ist ein verkappter Extremist.
Sind die italienischen Politiker so unqualifiziert, dass die Italiener gar keine konstruktive Entscheidung treffen können oder spiegelt das Personal schlicht den Zustand des Landes wieder? Dass unter diesen Bedingungen ein radikaler Menschenfänger so großen Erfolg hat, kann kaum verwundern. wieder kräftig mit und droht dabei, die Demokratische Partei (PD) zu spalten. „Renzi ist zurück“, schrieb der Corriere della Sera. Auch er sprach sich für die Bildung einer Übergangsregierung aus, die die bereits geplante Mehrwertsteuererhöhung verhindern und den Haushalt für 2020 verabschieden soll. PDParteichef Nicola Zingaretti hingegen strebt Neuwahlen an, nicht zuletzt, um seinen Führungsanspruch in der Partei auch mit ihm gewogenen Abgeordneten zu untermauern.
Wie Berlusconi hat auch der frühere PD-Chef Renzi im Parlament noch gehörigen Einfluss. Gemunkelt wird in Rom seit Monaten auch über seine Neugründung einer Partei der Mitte nach dem Vorbild von „En Marche!“des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Dafür braucht Renzi offenbar noch Zeit, baldige Neuwahlen kämen ihm ungelegen.
Über die Auflösung des Parlaments oder die Bildung einer neuen Regierung entscheidet Staatspräsident Sergio Mattarella. Der weilt derzeit noch in den Ferien auf Sardinien. Wie es heißt, verfolgt der 78-Jährige die römischen Ränkespiele mit größter Aufmerksamkeit.