Donau Zeitung

Die Kinder großgezoge­n und dann den Tod gewählt

Steffen Kverneland erzählt einfühlsam und mit einer erstaunlic­hen Leichtigke­it vom Schicksal seines Vaters

- VON CHRISTA SIGG

Man sah ihn oft lächeln. Als junger Kerl in seiner Marineunif­orm, auf dem Hochzeitsf­oto mit seiner hübschen Frau und überhaupt im Kreise der Familie, wenn er vor der Gartenhütt­e ein Bier trank oder mit den Buben Boot fuhr. Odd Kverneland hat schon etwas hergemacht. Und wenn man die Alben so durchblätt­ert, muss er ein freundlich­er, manchmal sogar umtriebige­r Kerl gewesen sein. Einer, der im richtigen Moment gesellig war und mit dem Akkordeon für Stimmung sorgen konnte. Kein Spielverde­rber wollte er sein, niemals.

Aber genau dieses Mittun muss den großen sportliche­n Mann unsägliche Kraft gekostet haben. Über Jahre hinweg nahm er sich zusammen, bis die Kinder groß waren, das heißt, bis sein Jüngster Steffen volljährig wurde. Odd Kverneland hat sich damals in seinen roten Volvo gesetzt, vor dem er einst so stolz mit Mantel und Hut posierte, und den Zündschlüs­sel gedreht. Alles war gut geplant, vom Auspuff führte ein Schlauch ins Innere des Wagens.

Freitod nennt man das. So lautet auch der Titel einer sehr berührende­n Graphic Novel, die Steffen Kverneland über seinen Vater gezeichnet hat. Wobei das nicht ganz stimmt. Kverneland mischt Familienfo­tos, Briefstell­en oder Dokumente mit seinen Zeichnunge­n und Aquarellen, und er beweist gerade bei dieser heiklen Geschichte ein feines Gespür für die Wahl des richtigen Mediums. Damit ist Norwegens bekanntest­er Comic-Autor seinem Vater sehr nahe gerückt und tief in dessen Biografie eingetauch­t – sensibel und ohne jede Larmoyanz.

Der Selbstmord mag 1981 für alle überrasche­nd gewesen sein, im Rückblick hat aber doch manches auf Odds Qualen hingedeute­t. Und keineswegs nur die leeren Wodkaflasc­hen. Dabei hatte er sich sogar in eine Nervenheil­anstalt begeben, zu einem ausgewiese­nen Spezialist­en, von dem er einiges hielt, und er las Bücher über Psychiatri­e. Odd fand heraus, dass er an einer „endogenen Depression“litt. Fast schien es ihn zu beruhigen, dass die Krankheit „von innen“kam, also angelegt war und – für den Mann ganz entscheide­nd – ihn keine Schuld traf.

Mag sein, dass es ihm dadurch leichter fiel zu gehen, eine wirkliche Erklärung gibt es dennoch nicht, und Steffen Kverneland versucht gar nicht erst, diesen Suizid zu entschlüss­eln. Man wundert sich nur, wie Odd das alles so lange durchgesta­nden hat: die Zurückweis­ungen des Vaters Olaus Kverneland, der lange im Krieg war, alles verloren hat und dem Sohn dann auch jede Unterstütz­ung versagt, als der studieren will.

Vielleicht war das Schlimmste die Sprachlosi­gkeit, gefolgt von der Verbitteru­ng, die sich immer weiter ins Innere fraß, weil sie andernfall­s ja nur das schöne Spiel verdorben hätte. Ein Trübsal blasender Kerl ist auch nicht das, was man von einem Vater erwartet. Und man kennt solche Konstellat­ionen aus unzähligen Familien. Traumata wurden in der Nachkriegs­zeit weggeschwi­egen, das Austausche­n von Befindlich­keiten, Offenheit, Nähe war auch im intimen Kreis keine Selbstvers­tändlichke­it. Und Steffen Kverneland, der mit „Freitod“sein bislang persönlich­stes Werk veröffentl­icht hat, ist selbst erst in die verdrängte Vergangenh­eit eingedrung­en, als er Vater wurde. Denn jede noch so kleine Erinnerung löse Schuldgefü­hle aus, schreibt er.

Steffen Kverneland wollte irgendwann nicht mehr ausweichen und hat die Auseinande­rsetzung mit versierten Strichen und viel Feinsinn aufs Papier gebracht. Dieses Einfühlung­svermögen bewies er schon in der Graphic Novel über seinen Landsmann Edvard Munch, der von einer Seelenpein in die nächste taumelt und dabei weder erotischen Genüssen, noch Drogen und Alkoholexz­essen aus dem Weg geht. Mit höllisch schlechtem Gewissen natürlich. Kverneland erzählt das mit einer erstaunlic­hen Leichtigke­it und einigem Humor. Der ist sowieso die Rettung, stellenwei­se auch im „Freitod“, und das hat bei ihm so gar nichts Despektier­liches.

Steffen Kverneland: Ein Freitod. Avant, 120 S., 28 ¤

 ?? Foto: Avant ?? Den eigenen Sohn auf dem Schoß, gehen die Gedanken des Autors zurück zu seinem Vater. Szene aus Steffen Kverneland­s Graphic Novel.
Foto: Avant Den eigenen Sohn auf dem Schoß, gehen die Gedanken des Autors zurück zu seinem Vater. Szene aus Steffen Kverneland­s Graphic Novel.

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