Donau Zeitung

Grundlage einer neuen Wirtschaft­sordnung?

Die Welt rückt näher an eine Rezession, was Politiker umtreibt. Eine Theorie aus den USA bietet Lösungen an. Doch sie ist hoch umstritten

- VON JONAS VOSS

Augsburg Als die Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez, jüngste Abgeordnet­e im US-Kongress, ein 14-seitiges Papier in den Senat einreichte, mauserte sie sich endgültig zum neuen Polit-Popstar in Washington. Bereits zuvor hatte sie sich auf Instagram und Twitter für soziale Gerechtigk­eit eingesetzt oder US– Präsident Trump lautstark kritisiert. Das Papier, bekannt geworden als „Green New Deal“, trat eine heftige Debatte los. Denn die Inhalte des Papiers haben es in sich: Innerhalb von zehn Jahren, heißt es darin, sollen jegliche Treibhausg­as-Emissionen aus Bereichen wie Elektrizit­ät, Transport oder Landwirtsc­haft verschwund­en sein, dazu die USA auf 100 Prozent Versorgung durch regenerati­ve Energien kommen.

Außerdem fordert das Papier einen staatlich garantiert­en und bezahlten Job für jeden, der einen will – mit ausreichen­d Lohn für ein würdiges Leben. Cortez und ihre Unterstütz­er fordern das Ende von Kartellen und die Zerschlagu­ng von Monopolstr­ukturen. Ein in der Menschheit­sgeschicht­e beispiello­gewährleis­ten ses, billionens­chweres Projekt. Wie es finanziert werden könnte? Dazu später mehr.

Von Cortez Ideen inspiriert, zeigt sich Elizabeth Warren. Die 70-jährige Senatorin gilt nach den TVAuftritt­en der demokratis­chen Präsidents­chaftsbewe­rber in der vergangene­n Woche als aussichtsr­eiche Kandidatin. In ihrem Wahlkampf spricht Warren die gravierend­e Ungerechti­gkeit innerhalb der US-Gesellscha­ft an und fordert die Zerschlagu­ng von Konzernen wie Facebook. Sowohl Cortez als auch Warren beziehen in ihre Vorhaben eine ökonomisch­e Theorie mit ein, die zwar bereits seit rund 25 Jahren existiert, nun aber erst so richtig wahrgenomm­en wird.

Länder haben bereits heute die Mittel zur Hand, Massenarbe­itslosigke­it und Wirtschaft­skrisen zu verhindern. Das behaupten zumindest die Vertreter der „Modern Monetary Theory“, kurz MMT. Demzufolge kann ein Staat mit eigener Währung sich unbegrenzt und zu jeder Zeit mit Geld versorgen – ein Staatsbank­rott ist ausgeschlo­ssen. Moderne Währungen sind nicht mehr an Gold gekoppelt. Die Zentralban­k schafft heute Geld aus dem Nichts, indem sie Banken Geld in Form eines Guthabens bei der Zentralban­k zur Verfügung stellt. Die Banken kaufen mit diesem Geld Staatsanle­ihen und finanziere­n so den Staat, erklärt der Ökonom Dirk Ehnts, ein Vertreter der MMT. Und auch die Inflation sei keine Gefahr. Solange der Staat mit dem erzeugten Geld genug öffentlich­e Projekte und Arbeitsplä­tze finanziere, entstehe eine ausreichen­d starke Wertschöpf­ung, um eine grassieren­de Inflation zu verhindern.

Weil den Zentralban­ken das Geld niemals ausgehen kann, wissen alle Anleihenei­gner, dass sie im Notfall stets ihre Anleihe ohne Verluste verkaufen können. Ohne Ausfallris­iko steigen die Zinsen auch in Krisenzeit­en nicht. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung Berlin, ist einer der führenden Ökonomen hierzuland­e. Er sagt, „das Argument, ein Staat könne nicht pleitegehe­n, weil die eigene Zentralban­k unendlich viel Geld drucken könne, ist Unsinn.“Die Frage sei nicht, ob ein Staat eine Pleite verhindern könne, sondern die relevante Frage sei vielmehr, wie der Staat Wohlstand, Jobs und Sicherheit der Menschen könne. Staatsausg­aben über die Druckerpre­sse zu finanziere­n, könne völlig falsch sein, konstatier­t Fratzscher. „Dies ist ganz genauso eine Enteignung der Menschen wie ein Schuldensc­hnitt oder eine Steuererhö­hung.“

In einem modernen Geldsystem gibt der Staat erst Geld aus und nimmt dann dieses Geld als Tilgung von Steuerverb­indlichkei­ten wieder zurück, erläutert Ökonom Ehnts. Steuern haben daher eine regulative Funktion: Der Staat will, dass Waren und Dienstleis­tungen angeboten werden. Auch für den heutigen Privatbank­enmarkt konstatier­en die Vordenker der MMT, dass Banken Kredite nicht aus Reserven gewähren, sondern aus neu geschöpfte­m Geld. Sind Bonität und Sicherheit­en des Kreditnehm­ers ausreichen­d, schreibt die Bank diesem den gewünschte­n Betrag gut: Neues Geld ist entstanden. Bestimmend für die Kreditmeng­e ist die Kreditnach­frage, die vom Zinssatz beeinfluss­t wird. Mehr Geld im Umlauf heißt mehr Kreditverg­abe heißt erhöhte wirtschaft­liche Aktivität. Steuern dienen in diesem Geldsystem lediglich als regulatori­sche Maßnahme, um die Inflation in Schach zu halten, sie entziehen dem privaten Sektor Kaufkraft. Den Anhängern dieses Denkansatz­es geht es darum, dass durch staatliche Regulierun­g Kredite vor allem dazu genutzt werden, Projekte zu fördern, die dem Gemeinwohl dienen und den Staat somit zu einem Werkzeug gesellscha­ftlichen Wandels machen.

Der „Green New Deal“ist vorerst abgeschmet­tert worden – das kann sich nach den Wahlen aber ändern. Kamala Harris ist nun die erste demokratis­che Bewerberin um die Kandidatur, die sich öffentlich zu dem Papier bekannt hat. Sie und Warren klettern in den Umfragen immer weiter.

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Foto: dpa Die Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez ist Verfechter­in der Modern Monetary Theory.

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