Donau Zeitung

„Ich habe einen Cut gemacht“

Diakon Eugen Schirm ist im Ruhestand und will innerhalb eines Jahres die 28 Länder der EU bereisen. Im Interview spricht er über die Arbeit im Hamsterrad, belastende Momente als Seelsorger und wie es für ihn weitergeht

- Sie waren in den verschiede­nsten BeHerr Sie haben als Seelsorger gearbeitet,

Schirm, Sie sind vor kurzem in den Ruhestand verabschie­det worden. Wo erwischen wir Sie gerade?

Eugen Schirm: Ich bin in Prag und trinke ganz entspannt einen Kaffee.

Erzählen Sie uns doch mehr von Ihrer großen Reise ...

Schirm: Ich möchte innerhalb eines Jahres alle 28 Hauptstädt­e der Europäisch­en Union besuchen. Immer mal wieder mit Unterbrech­ungen, denn Weihnachte­n, Ostern und Pfingsten sind Familienfe­ste, dafür komme ich nach Hause nach Gundelfing­en. Aber danach gehe ich wieder auf Tour. Meine erste Station war Berlin, jetzt bin ich in Prag, als Nächstes geht es nach Wien.

Wie reisen und was erleben Sie? Schirm: Ich reise alleine mit dem Zug und schlafe in Hostels, die ich unterwegs über das Handy buche. Besonders spannend finde ich zu sehen, was die Menschen in den einzelnen Staaten über Europa denken. In Berlin waren die meisten noch positiv eingestell­t. Hier in Prag sieht man das Ganze etwas differenzi­erter. Gerade die Älteren blicken etwas skeptische­r auf die EU. Die Jungen sind sehr positiv eingestell­t. Ich bin gespannt, wie die Stimmung in den anderen Staaten sein wird.

War die Reise ein großer Traum? Schirm: Ich hatte mir überlegt, was ich mache, wenn ich in Pension bin. Mein Patendiako­n Xaver Käser hat mir den dringenden Rat gegeben: „Verschwind­e für ein Jahr von der Bildfläche.“Diesen Rat habe ich beherzigt, weil ich mir gut vorstellen kann, wie es laufen würde, wenn ich jetzt zu Hause wäre. Dann klingelt das Telefon und es kommt das berühmte „tätsch“: „Du bist doch jetzt in Rente, tätsch nicht ...“Und dann komme ich aus dem Hamsterrad nicht raus. Deshalb habe ich jetzt einen Cut gemacht.

Haben Sie sich in Ihrer aktiven Zeit wie in einem Hamsterrad gefühlt? Schirm: Ja, es waren sehr viele Aufgaben zu bewältigen. In der Pfarreieng­emeinschaf­t in Dillingen, und als Klinik-, Altenheim- oder Notfallsee­lsorger. Das alles zu schaffen, war eine Herausford­erung.

Wie fühlen sich die ersten Wochen Ihres Ruhestande­s an? Denken Sie noch viel an die Arbeit?

Schirm: Ich bin immer noch in „gespannter Erwartung“. Die ersten Tage in Berlin waren schon ein wenig komisch, so ganz ohne Terminkale­nder und geregelten Tagesablau­f. Aber das klappt in der Zwischenze­it ganz gut. Jeden Tag nehme ich mir einen neuen Schwerpunk­t vor. In Berlin war das etwa die jüdische Geschichte. Abends nehme ich mir eine halbe Stunde Zeit, um Erlebnisse zu verarbeite­n und in meinem Tagebuch festzuhalt­en.

Im Rückblick auf Ihre Arbeit: Was war Ihnen besonders wichtig? Schirm: Besondere Eindrücke, die ich aus meinem berufliche­n Leben mitnehme, sind auf jeden Fall meine Erlebnisse in der Dillinger Mittelschu­le, wo ich sehr gerne Religionsl­ehrer war. Der Kontakt zu Kindern und jungen Menschen ist ein Punkt, der mir ein kleines bisschen abgeht. Der zweite Bereich, der mir wichtig war, ist die kirchliche Jugendarbe­it, im Besonderen dabei die Pfadfinder. reichen tätig. Wie hat sich Ihre Arbeit als Diakon sowie Klinik- und Altenheims­eelsorger unterschie­den? Schirm: Als Diakon kommt man mit sehr vielen Menschen in Berührung. Das fängt mit Kindergart­enkindern an. Donaualthe­im etwa war „mein“Kindergart­en, den ich einweihen durfte. Es ist eine tolle Geschichte, mit den Kindern auf dem Boden zu sitzen und Gottesdien­st zu feiern. Als Klinikseel­sorger dagegen hatte ich mit Menschen zu tun, die am Rande der Existenz stehen, die in eine absolute Krisen- und Ausnahmesi­tuation geraten sind. Das erforderte sehr viel Einfühlung­svermögen und Hingabe, um diesen Mendie schen eine Wegbegleit­ung anzubieten. Das war schon ein hoher Spannungsb­ogen. In der Altenheims­eelsorge im Heilig-Geist-Stift hatte ich die Chance, mit alten Menschen ein Stück weit den Weg mitzugehen, in Gottesdien­sten oder in persönlich­en Gesprächen. Mein großer Vorteil als Diakon war, dass ich im eng getakteten Getriebe der Pflege der einzige war, der sich Zeit nehmen konnte. Das ist für die Menschen wichtig. Dass jemand da ist, der sich einfach mal hinsitzt und zuhört. Und das zieht sich durch vom Kindergart­en bis ins Seniorenhe­im. aber auch knapp 600 Beerdigung­en gehalten. Hat sich dadurch für Sie der Blick auf das Leben verändert? Schirm: Ich genieße jeden Tag, weil jeder Tag der letzte sein könnte. Mir ist bewusst, dass das irdische Leben endlich ist. Aber es gibt mehr als dieses Hier und Da. Ich bin der Meinung, dass wir uns in einem Durchgangs­stadium befinden hinein in eine neue Welt. Das ist die spannende Geschichte, die uns Jesus mit auf den Weg gegeben hat – und die ich in Trauergesp­rächen hinterblie­benen Angehörige­n vermittelt habe.

Hat die Arbeit als Seelsorger Sie belastet oder Ihnen Kraft gegeben? Schirm: Beides. Im konkreten Augenblick war es eine wahnsinnig­e Belastung, weil ich teilhaben musste an einer Katastroph­e, egal ob Suizid oder tödlicher Verkehrsun­fall. Das beschäftig­t einen natürlich tief greifend. Aber wir Seelsorger sind im Team zusammenge­standen, haben uns ausgetausc­ht und die Erlebnisse gemeinsam verarbeite­t.

Begleitet Sie ein Fall noch bis heute? Schirm: Ich versuche jeden Tag, etwas mehr Abstand zu gewinnen. So schnell abschüttel­n lässt sich das natürlich nicht. Die Erinnerung­en gehen immer wieder zurück. Aber ich genieße jeden Tag.

Was möchten Sie, dass von Ihnen einmal im Landkreis Dillingen bleibt? Schirm: Ich bin nicht so wichtig. Wichtig ist die Arbeit mit den Menschen. „Fußspuren“dieser Arbeit sind wahrschein­lich überall verteilt in Dillingen zu finden. Aber die hängen nicht an mir, sondern an dem Team, mit dem ich unterwegs war.

Abgesehen von der Reise: Wie stellen Sie sich Ihren Ruhestand vor? Schirm: Ich habe acht Kinder, das achte Enkelkind ist unterwegs – es gibt viele Aufgaben als Vater und Opa. Ich will auch mithelfen, wenn es Engpässe in der Seelsorge gibt. Aber jetzt genieße ich erst mal meine Reise.

 ?? Foto: Schirm ?? Ein neues Leben für Eugen Schirm: Der ehemalige Diakon und Klinikseel­sorger will in seinem Ruhestand die 28 Hauptstädt­e der EU bereisen. Erste Station war Berlin, wo dieses Foto entstanden ist.
Foto: Schirm Ein neues Leben für Eugen Schirm: Der ehemalige Diakon und Klinikseel­sorger will in seinem Ruhestand die 28 Hauptstädt­e der EU bereisen. Erste Station war Berlin, wo dieses Foto entstanden ist.

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