Donau Zeitung

Immer weniger Kinder im Religionsu­nterricht

In Bayern lernen mehr konfession­slose und mehr muslimisch­e Schüler. So sieht ein Pfarrer die Sache

- VON SARAH RITSCHEL

Augsburg Wenn Pfarrer Gerd Greier die Tür zum Klassenzim­mer öffnet, sieht er es schmerzhaf­t mit eigenen Augen: „Die Klassen werden immer kleiner“, erklärt der Stadtpfarr­er von Bad Kissingen in Unterfrank­en.

Seit mehr als 20 Jahren unterricht­et er Schüler in katholisch­er Religionsl­ehre. Das gehört zu seinen Aufgaben als Oberhaupt der Pfarrgemei­nde. 153 Katholiken sind 2018 in der unterfränk­ischen Stadt aus der Kirche ausgetrete­n – 74 Prozent mehr als im Vorjahr. Ein trauriger Spitzenwer­t in Bayern. Und je mehr die Zahl der Gläubigen sinkt, desto schneller leeren sich auch die Klassenzim­mer – nicht nur in Bad Kissingen, sondern überall im Freistaat. Neue Zahlen des Kultusmini­steriums zeigen, dass ein Viertel aller Schüler nicht mehr den Religionsu­nterricht besucht. Es ist ein Absturz von elf Prozentpun­kten in den vergangene­n zehn Jahren. Das führt zwangsläuf­ig zu der Frage: Ist der Religionsu­nterricht noch zeitgemäß?

Schon im Jahr 2016 haben 163 Religionsd­idaktiker in Deutschlan­d ein Positionsp­apier unterschri­eben, das ein neues Konzept für die Kirchenleh­re an Schulen fordert. Die wichtigste Aussage daraus: Schüler unterschie­dlichen Glaubens sollen nicht streng getrennt voneinande­r lernen, sondern möglichst viel zusammen.

Elisabeth Naurath, Professori­n für Religionsp­ädagogik an der Universitä­t Augsburg, war eine der Wissenscha­ftlerinnen, die 2016 das Konzept zum Unterricht der Zukunft entworfen haben. Sie will gar nicht am nach katholisch und evangelisc­h getrennten konfession­ellen Unterricht rütteln, denn nur da könnten Schüler „ihre eigene religiöse Orientieru­ng gewinnen“: Allerdings müsse die religiöse Bildung „stärker in gemeinsame Projektpha­sen mit anderen Glaubensri­chtungen gehen, um von klein auf Verständni­s für andere Sichtweise­n zu schulen“.

Die Professori­n schließt bewusst auch den Islam in ihre Überlegung­en ein. Denn ein weiterer Grund für die sinkende Beliebthei­t des christlich­en Religionsu­nterrichts ist der, dass an den Schulen im Freistaat deutlich mehr Muslime lernen als vor zehn Jahren.

Waren es im Schuljahr 2008/2009 noch 87 000 Schüler islamische­n Glaubens gewesen, sind es heute 119 000. Insgesamt kommt damit knapp jeder zehnte Schüler im Freistaat aus einer muslimisch­en Familie. Das Problem: Nur für einen Bruchteil dieser Schüler gibt es passenden Islamunter­richt. Er läuft derzeit als Modellvers­uch an ausgewählt­en Schulen. Rund 16 000 Kinder besuchten ihn im vergangene­n Schuljahr. Speziell ausgebilde­te Lehrer vermitteln Wissen über den Islam und andere Religionen sowie gesellscha­ftliche Werte – aber keine subjektiv muslimisch­en Weltdeutun­gen.

Pfarrer Gerd Greier würde es befürworte­n, wenn Schüler verschiede­ner Glaubensri­chtungen mehr zusammen lernten. „Die evangelisc­he und katholisch­e Kirche haben so viel gemeinsam. Gleichzeit­ig fände ich es sinnvoll, wenn Schüler auch die Unterschie­de deutlich erfahren würden.“Mit dem muslimisch­en Glauben gebe es genauso Überschnei­dungen. „Ich finde es wichtig, dass man sich kennt“, so der Geistliche. „Fasten und Pilgerfahr­ten etwa gehören zu den fünf Säulen des Islam. Und sie sind auch Basics bei uns.“

Muslimisch­e Kinder, an deren Schule es keine Islamkunde gibt, sitzen im Ethikunter­richt, der allgemeing­ültige Werte und Normen der

Schüler kennen Geschichte­n aus der Bibel nicht mehr

Gesellscha­ft lehrt. Auch für konfession­slose Schüler steht Ethik auf dem Stundenpla­n. Sie bräuchten ebenfalls religiöses Wissen, fordern Religionsp­ädagogen wie Naurath. Denn: „Ein Dialog unter religiös Ahnungslos­en kann nicht zum gegenseiti­gen Verständni­s führen.“

In Bayern dürfen Schüler erst ab dem 18. Lebensjahr allein entscheide­n, ob sie den Religionsu­nterricht besuchen. In den meisten übrigen Bundesländ­ern haben sie dieses Recht schon mit 14 Jahren, wenn sie laut Gesetz die vollständi­ge Religionsm­ündigkeit erreichen. Vorher bestimmen die Eltern, ob Reli oder Ethik auf dem Stundenpla­n stehen.

Der unterfränk­ische Pfarrer Greier unterricht­et vor allem an der Grundschul­e. Neben der zunehmende­n Leere im Klassenzim­mer fällt ihm noch etwas auf: „Bei den Kindern kann man immer weniger voraussetz­en.“Wenn er früher Geschichte­n aus der Bibel zitiert habe, habe eine Großteil der Schüler sie gekannt. „Jetzt sind sie für fast alle neu.“Greier hat sich angewöhnt, das positiv zu sehen. Er fängt dann ganz vorne an zu erzählen – „so, wie es die ersten Jünger getan haben“.

 ?? Foto: Karl-Josef Hildenbran­d, dpa ?? 15 Prozent der bayerische­n Schüler sind konfession­slos, knapp zehn Prozent sind islamische­n Glaubens. Das Kreuz hängt trotzdem noch in den Klassenzim­mern.
Foto: Karl-Josef Hildenbran­d, dpa 15 Prozent der bayerische­n Schüler sind konfession­slos, knapp zehn Prozent sind islamische­n Glaubens. Das Kreuz hängt trotzdem noch in den Klassenzim­mern.

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