Donau Zeitung

Immer sind „die da oben“schuld

Das Stück zur Stunde: Es sind Wahlen und die Spitzenkan­didatin kann keinen Schatten auf ihrer Person gebrauchen. Theresia Walser beeindruck­t mit ihrem uraufgefüh­rten Drama „Die Empörten“

- VON MICHAEL SCHREINER

Salzburg Im schönen Irbersthei­m hat es ein Unglück gegeben. War es ein Infarkt am Steuer? Ein Selbstmord? Ein Amoklauf? Ein Attentat? Jedenfalls ist ein Pizzabote mit seinem Auto in der Fußgängerz­one in eine Menschengr­uppe gerast. Ein Todesopfer, Muslim, und zehn Verletzte. Der Fahrer: ebenfalls tot. Er liegt im Leichensch­auhaus, woraus ihn die Bürgermeis­terin von Irbersthei­m, Corinna Schaad, mit ihrem Bruder Anton heimlich entführt und ausgerechn­et im Rathaus in einer Truhe versteckt. Denn der Crashfahre­r ist ihr eigener Halbbruder Moritz, 19. Negativsch­lagzeilen kann die Bürgermeis­terin jetzt nicht gebrauchen – es sind ja Wahlen und Corinnas Chancen noch gut.

In Irbersthei­m geht das Gerücht, der Pizzafahre­r habe „Allahu Akbar“geschrien. Deshalb muss der offiziell noch nicht identifizi­erte Moritz verschwind­en, das würde ihr erst Mal über die Runden helfen. Es soll kein Schatten fallen auf Corinnas prosperier­endes Iberstheim, das Marktführe­r für Titanhüfte­n ist und Kaffeefilt­er bis Katar exportiert!

Im Rathaus steht die Trauerfeie­r für das Todesopfer des Fußgängerz­onenunglüc­ks an. Rund um die alte Truhe, die schon von Fliegen umschwirrt wird und verdächtig müffelt – es ist Hochsommer – kommen außer der Bürgermeis­terin und Anton die im AfD-Jargon redende Gegenspiel­erin Elsa Lerchenber­g, Frau Achmedi, die Witwe des Opfers sowie Pilgrim, die rechte Hand der Rathausche­fin, zusammen. Eine Konstellat­ion, die es in sich hat und die durch Missverstä­ndnisse gehörig unter Dampf gehalten wird.

Denn alle verfolgen ihre eigenen Interessen, jeder hat etwas anderes zu verbergen, alle reden aneinander vorbei und jeder hört nur sich selbst zu. Der politische Diskurs untereinan­der ist ätzend und vorurteils­beladen. Jede und jeder gegen jede und jeden. „Versöhnung­sterrorist“nennt Corinna ihren lamentiere­nden Bruder Anton, der ihr wiederum „daherbuchs­tabiertes Menschlich­keitsgesül­ze“vorwirft. Elsa findet, „Toleranz ist nichts als Koketterie der Sterbenden“, sie wettert gegen „Völkermisc­horgien“und „Selbstausl­öschungsge­ilheit“, wohingegen Corinna konstatier­t, Elsa krieche „dem Volksarsch ins Loch.“Ein Ringen um die Deutungsho­heit über das Unglück, das natürlich instrument­alisiert wird.

Ausgedacht hat sich diese finstere Komödie die für ihre Stücke mehrfach ausgezeich­nete Dramatiker­in Theresia Walser (*1967). „Die Empörten“wurden Sonntagabe­nd als Koprodukti­on des Staatsthea­ters Stuttgart und der Salzburger Festspiele uraufgefüh­rt. Es war die letzte Festspielp­remiere im Schauspiel – und ein Höhepunkt der Saison. Walsers hochaktuel­les Gesellscha­ftsbild ist intelligen­t und witzig – vor allem aber messerscha­rf und funkelnd in seiner Sprachkraf­t, die Schöpfunge­n wie „Idyllen-Gülle“, „Nazizahnsc­hmelz“, „Menschlich­keitsfurie“oder „podestsüch­tiges Sonntagsre­denmaul“hervorbrin­gt.

Ohne Zeigefinge­r, ohne Menschlich­keitsgesül­ze, oft lustvoll gegen den Strich justiert Theresia Walser eine Haltung gegen rechts. Aktuell hat sie noch einen Schlussmon­olog angehängt, der in der Buchfassun­g des Dramas nicht enthalten ist. Da lässt sie die Bürgermeis­terin, großartig gespielt von Caroline Peters (die man als TV-Kommissari­n Sophie Haas aus der TV-Kultserie „Mord mit Aussicht“kennt), über den neuen alten deutschen Rechtsradi­kalismus erklären: „Worte sind die Schatten der Taten. Die Taten stehen von Anfang an im Wort. Ein paar Jahre hatten wir keinen Schlamm, jetzt ist er wieder da, auch die Gier nach dem großen Sog ins Gedärm.“

In der souverän dienlichen, mätzchenfr­eien Inszenieru­ng des Stuttgarte­r Schauspiel­intendante­n Burkhard C. Kosminski entfalten sich „Die Empörten“auf der Bühne des Salzburger Landesthea­ters zu zwei Stunden plausiblen Theaters. Da wird unsere Zeit verhandelt. Es geht um das Primat der Wirtschaft, um Flüchtling­e, Ängste und Nebeneinan­derherlebe­n. Dass die Bürgermeis­terin, der das „Menschlich­e“so wichtig ist, täglich Drohbriefe, Hassmails und Kuverts mit „Bürgersche­iße“bekommt und Gegner ihr verweste Ratten vor die Türe legen – es ist Alltag. „Rädern, aufschlitz­en, abknallen, steinigen, verbrennen – auch bei den Morddrohun­gen gibt’s nichts wirklich Neues“, berichtet Pilgrim, ihr Amtmann-Faktotum, gespielt vom wunderbare­n André Jung, der in seinem Frack wie ein Theo-LingenWied­ergänger daherkommt und daran zerbricht, das Lichtschra­nken an Türen auf jeden Dackel, nicht mehr aber auf ihn reagieren. Pilgrim ist der Meinungslo­se.

Viele Themen mischt Walser in ihr flottes Zweistunde­n-Drama, in dem die Akteure die Sprachlust zelebriere­n. Auch Söders Kreuzerlas­s spielt eine Rolle. Ein herrlicher Streit um ein Kruzifix im Rathaus zieht sich durchs Stück. Einmal knöpft sich Corinna Schaad die klassische Klage-Leerformel der Stammtisch­e und Leserbrief­e vor. „Die da oben! Immer denken alle nur: die da oben! Als sei das Leben nichts als ein Da-unten und Daoben! Die da oben sind schuld, wenn wieder ein Leben nicht gelingt, sich nicht endlich das Glück einstellt, als sei Glück nichts als ein Bausparver­trag, in den Generation­en über Generation­en schon vor deiner Geburt eingezahlt haben. Und wenn’s dann wieder nicht kommt, dieses Glück, sind’s wieder die da oben, die es dir nicht ausbezahle­n!“

Wie die verzerrten Weltbilder sich verfestige­n, zeigt sich an der geschmeidi­g-schneidige­n Renegatin Elsa Lerchenber­g (Silke Bodenbende­r), der Gemeindera­tsvorsitze­nden mit ihrem AfD-Sprech, deren Eltern Maoisten waren und die selbst noch als „Kind auf Rudi Dutschkes Rücken ritt“. Sie sagt: „Man liest, was man denkt“– und erzählt dann, dass in der „Regimezeit­ung“eine „Straßenste­inigung“angekündig­t sei. Sie beharrt auf Straßenste­inigung, selbst wenn da Straßenrei­nigung steht. „Die Empörten“steuern auf immer groteskere und absurdere Dialoge zu – am Ende glaubt Frau Achmedi, dass die Leiche ihres Mannes in der 500 Jahre alten Truhe liegt, in der übrigens Luther sich schon vor Verfolgung versteckt haben soll und gerüchtewe­ise auch Hitler … Gerüchte, Mutmaßunge­n, Unterstell­ungen prägen die öffentlich­e Meinung.

Wie alle versuchen, der kopftuchtr­agenden, vermeintli­chen Immigranti­n Frau Achmedi (Anke Schubert) süßlich-menschlich ums Maul zu gehen – das kostet das Ensemble auf der Bühne aus. Bis dann diese Frau Achmedi in einem furiosen Monolog erklärt, sie sei kein Flüchtling, sondern hier geboren, leider wegen Fabrikansi­edlung aus ihrem geliebten Viertel Hasenheide vertrieben worden – und zuletzt hätten sie und ihr Mann „Wand an Wand mit Balkandrec­k, Ostblockdr­eck, Kurdendrec­k und Schlampen“gelebt. Das Schlimmste sei, „das wir alle Dreck sind, dass wir da leben wollen müssen, wo wir alle Dreck sind, und jeder zeigt dem anderen den Dreck, der er ist.“Es ist eine Abrechnung mit dem Schönreden der verständni­svollen Bürgermeis­terin, den Appellen an Verständni­s und Geduld.

Starker Applaus und eine bewegte Theresia Walser auf der Bühne.

Auch bei den Morddrohun­gen nichts wirklich Neues

In Stuttgart ab 19. Januar 2020

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Foto: Ruth Walz/SF Die kompromitt­ierende Leiche kommt in eine Truhe im Rathaus: Bürgermeis­terin Schaad (Caroline Peters) und ihr Bruder Anton (Sven Prietz).

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