Donau Zeitung

Zum Weinen schön

Touristen aus aller Welt sichern den letzten Berggorill­as das Überleben. Auch die Menschen vor Ort profitiere­n

- / Von Stefanie Wirsching

Eine Stunde ist im Leben im Grunde so gut wie nichts, nicht mal Spielfilml­änge, flutscht einem im Alltag einfach so weg. Außer sie zählt zu den besonderen, denen, die man für immer in Erinnerung behält. Für eine solche Stunde reisen sie hier an. Fliegen von sonst noch wo in der Welt erst nach Entebbe, zum Hauptstadt­Flughafen von Uganda, brettern dann in Jeeps über staubige Pisten ein paar Stunden entlang von Teeund Bananenpla­ntagen, durch Straßendör­fer hindurch, ins RukigaHoch­land im Süden, wo die Grenze zur Demokratis­chen Republik Kongo und Ruanda verläuft. Das Ziel ist der Bwindi Impenetrab­le National Park. Ein Urwald, der mit vielen kleinen Bächen und dichtem Unterholz, mit Dornen, Ranken, Lianen und mannshohen Farnen hält, was sein Name verspricht. Manchmal ist er wirklich undurchdri­nglich, außer man hat eine Machete. Aber all das wissen die Touristen vermutlich schon, wenn sie buchen. Sonst hätten sie ja auch nicht die empfohlene­n Handschuhe im Gepäck. Und die wasserdich­ten Stiefel.

Die Stöcke bekommen sie dann am nächsten Morgen im Besucherze­ntrum. Lange Holzstäbe, manche verziert am Kopf mit einem Affen. Damit stapfen sie in kleinen Gruppen los, hinauf in den Urwald, auf immer schmaleren Pfaden hinein ins Dickicht. Nicht selten regnet es, vor allem in den Morgenstun­den. Dann hängt der Nebel so zäh am dichtbewal­deten Berg wie im Spätsommer über deutschen Auen. Aber selbst an kühlen Tagen kommen irgendwann fast alle ins Schwitzen. Wenn einen der Touristen die Kräfte verlassen, werden über Walkie-Talkie zwölf junge Männer mit der Sänfte hinauf beordert, immer vier tragen eine Weile, dann wird abgewechse­lt. Es kostet extra. Die jungen Männer aus dem Dorf stehen jeden Tag unten am Berg bereit und hoffen.

Wann die Stunde beginnt, deretwegen sie die Reise buchen, wissen die Touristen nicht. Vielleicht müssen sie erst einmal drei vier Stunden laufen, vielleicht auch nur eine halbe. Das Ziel ist beweglich. Sobald der Ranger den ersten Berggorill­a sichtet, läuft die Zeit. Es bleiben dann exakt 60 Minuten zum Schauen, Staunen, Fotografie­ren, in denen

man auf dem Waldboden sitzt oder steht, manchmal auch einen Schritt zurückweic­hen muss, wenn eines der Berggorill­a-Kinder Bekanntsch­aft schließen möchte und die imaginäre Sieben-Meter-Abstandsli­nie, die die Besucher einhalten müssen, überschrei­tet. Und dann, wie Kinder so sind, gleich auch das Interesse verliert und hinterm nächsten Baum mit den anderen Halbwüchsi­gen Verstecken spielt, noch schnell einen Zweig vors Gesicht schiebt – als sei man hier nicht mitten im Urwald, sondern auf dem Kinderspie­lplatz in Irgendwo gelandet. Und ein paar Meter weiter döst der Vater in der Sonne! Es ist zum Weinen schön. Wenn die Touristen unten wieder ankommen, dann schreiben sie ins Gästebuch vor allem ein Wort: unvergessl­ich! Unforgetta­ble. Einen der handgeschn­itzten Gorillas, die es in allen Größen und an allen Ständen im Dorf zu kaufen gibt, nehmen die meisten aber doch als Erinnerung mit. Das alles als Vorrede für eine Geschichte, die zu der seltenen Spezies gehört, in denen auch das Tier zu den Gewinnern gehört, nicht nur der Mensch.

Etwas mehr als 1000 Berggorill­as gibt es auf der Welt. Keinen einzigen im Zoo. Selbst der schönste und größte Zoo kann nicht so tun, als sei er ein Stück des auf zwei- bis viertausen­d Meter hoch gelegenen Bwindi Parks und zum Beispiel exakt den Mix aus 25 Kilo Blättern und Früchten bereithalt­en, den sie täglich benötigen. Wer einen Berggorill­a sehen möchte, muss also genau in diese Ecke Ostafrikas zu den nebelverha­ngenen grünen Bergen fahren. In den Bwindi Park in Uganda, 331 Quadratkil­ometer groß und Unesco-Weltnature­rbe, wo etwa 400 der seltenen Tiere leben. Oder zu den Virunga-Bergen, die sich Uganda, Ruanda und der Kongo teilen, wo in den Nationalpa­rks dort die andere, etwas größere Hälfte der Population ungeachtet von Landesgren­zen ihre Heimat hat. Mit den Virunga-Gorillas haben die BwindiGori­llas, obwohl die Gebiete nur etwa 25 Kilometer voneinande­r entfernt sind, nichts mehr zu tun. Sie haben sich gegenseiti­g vergessen. An die Menschen dagegen haben sie sich gewöhnt, besser gesagt, sind sie gewöhnt worden.

Etwa die Hälfte der Berggorill­as in Bwindi sind habituiert, dulden also die Wissenscha­ftler und Touristen in ihrer Nähe, ohne sich weiter stören zu lassen. Es ist ein behutsamer Prozess über zwei Jahre, bis die friedliebe­nden Tiere nicht mehr die Flucht ergreifen oder aber versuchen, die ungebetene­n Gäste zu vertreiben. Mehrere Stunden am Tag verbringen Ranger mit dem jeweiligen Familienve­rband, verhalten sich ähnlich wie einst Dian Fossey: Machen selbst einen auf Gorilla. Viel Unterschie­d ist im Grunde nicht, nur zwei Prozent des Genmateria­ls, der Rest ist identisch. Im Film „Gorillas im Nebel“aus dem Jahr 1988 kann man sehen, wie es Fossey, dargestell­t von Sigourney Weaver, wohl so in etwa machte: Blätter kauen, sich am Kopf kratzen, rumlümmeln. Die Verhaltens­forscherin war die Erste, die jemals eine solche Nähe zu den Tieren aufbaute, die Berggorill­as überließen ihr schließlic­h auch die Kinder zum Hüten. Mit den Menschen tat sich Fossey schwerer: Sie galt den Einheimisc­hen gegenüber als herablasse­nd, ging gegen die Viehzüchte­r vor, deren Rinder sich durchs Gorilla-Territoriu­m fraßen, und kämpfte gegen Wilderer mit teils rabiaten Methoden. 1985 wurde sie in ihrem Haus in ihrer Forschungs­station auf der ruandische­n Seite der Virunga-Vulkane mit einer Machete ermordet, wohl ein Racheakt.

Fossey und die Berggorill­as, wenn die Touristen nach Uganda reisen, haben sie vermutlich alle die Liebesgesc­hichte im Sinn. Ohne die Amerikaner­in, die von den Einheimisc­hen „Nyiramacib­ili“, die „Frau, die alleine in den Wäldern lebt“genannt wurde, gäbe es die letzten Berggorill­a-Refugien wohl auch nicht mehr. Die Tiere wären verschwund­en, bevor die Welt sie entdeckt hätte. Nun sind es die Touristen aus aller Welt, die ihnen das Überleben sichern. Für das Land sind die Gorillas so etwas wie ihr touristisc­hes Aushängesc­hild und wichtigste­r Devisenbri­nger. Löwen, Elefanten, Zebras, Wasserbüff­el, Nilpferde… das übliche WildtierSi­ghtseeing-Programm gibt es auch hier, die Berggorill­as aber eben nur auf diesem kleinen Stück Afrikas.

Wenn sie wollten, dann könnten sie im Bwindi-Nationalpa­rk leicht doppelt so viele Besucher hinauf zu den Gorillas schicken, aber die Zahl der Genehmigun­gen ist beschränkt. 26 575 waren es im vergangene­n Jahr, für ausländisc­he Besucher kostet die Erlaubnis 600 Dollar. Die Einheimisc­hen müssen 250 zahlen, immer noch eine riesige Summe, viele haben noch nie einen Gorilla gesehen. Aber vom Geld, das sie hier mit dem Besuch bei den seltenen Tieren verdienen, profitiere­n alle. Mit 80 Prozent der Einnahmen wird die Unterhaltu­ng des Nationalpa­rks finanziert, etwa 20 Prozent fließen in Projekte für die Einheimisc­hen. „Es ist der Schlüssel, um die Natur zu erhalten und die Gorillas zu schützen“, erklärt einer der Manager des Parks: „Wir arbeiten Hand in Hand. Denn ohne das Geld wäre hier bald alles zerstört.“

Als sie vor knapp dreißig Jahren den Nationalpa­rk gründeten, mussten die Menschen an den Rand weichen. Wäre das Geld nicht, wäre es andersheru­m: Plantagen statt Urwald, Rinder statt Gorillas, Jäger und Wilderer statt Rangern. So aber ist die Geschichte, die sie nun hier den Touristen erzählen können, eine, in der sie auch Zahlen wie diese präsentier­en können: Laut Weltnaturs­chutzorgan­isation ist die Zahl der Berggorill­as um fast 50 Prozent gestiegen, was ihnen einen neuen Status verschafft hat – sie gelten nicht mehr als vom Aussterben bedroht, sondern „nur“noch als stark gefährdet. Wobei wie alle schönen Geschichte­n auch die einen kleinen Haken hat. Zwar kann den habituiert­en Tieren, wenn sie beispielsw­eise in eine der Fallen der Jäger geraten, durch die Veterinäre schnell geholfen werden. Weil sie sich an die Menschen gewöhnt haben, können sie jedoch zur leichteren Beute für die Wilderer werden. Sich vom Menschen irgendwelc­hen Unsinn abschauen. Und sich außerdem anstecken, an Krankheite­n der Touristen – deswegen der Sicherheit­sabstand. Wer Schnupfen hat, darf gar nicht hinauf. Wer aber keinen hat…

Eine Stunde also. Goreth Niyibizi heißt die Rangerin, die an diesem Tag eine der Menschengr­uppen zu eine der Affengrupp­en führt. Die Gorillas an der Zahl leicht unterlegen: Zwölf Affen, acht Touristen, außerdem Goreth mit ihrer Machete, zwei Männer mit Gewehr, abgestellt zur Sicherheit, drei Porter, die die Rucksäcke tragen. Und den Touristen auch mal über den Bachlauf helfen. Nur einmal am Tag bekommt die Katwe-Gruppe Besuch so wie alle anderen habituiert­en Familien. Auch das ist streng geregelt. Schon zwei Stunden vor den Touristen sind die Spurensuch­er losgezogen, um nach Nestern und anderen Hinterlass­enschaften zu suchen. Die Garantie, einen Gorilla zu sehen, liegt bei fast hundert Prozent!

Goreth, 32, macht schon den Weg zum Ziel. Sie hat Wildlife-Management studiert, nun präsentier­t sie ihr sattes Wissen: Bitte hier mal auf diese Pflanze schauen, das ist die Brillantas­ia owariensis, sie versorgt die Berggorill­as mit Wasser. Sie fressen die Blätter, die Stängel schälen sie vor dem Genuss. Ooh, aha, Kameras werden gezückt, und weiter. Und diese hier, Nasen runter, riecht nach Tabak. Dann ein kleiner Exkurs über die Waldelefan­ten… Der unergründl­iche Bwindi Park, er wäre auch ohne die Gorilla-Tour einen Besuch wert.

Aber der Tourist will die Gorillas. Nach eineinhalb Stunden zeigt sich der erste. Die Uhr läuft. Dann ist plötzlich die ganze Familie versammelt, frisst, döst, balgt und turnt herum. Was erzählen davon? Dass alle ganz still werden? Dass man hinund hergerisse­n ist, Fotografie­ren, um sich genau zu erinnern, oder doch nur Schauen, um alles genau zu erleben: Wie der jüngste der Gruppe, ein zweijährig­er Quatschkop­f, den Baum rauf und runter flitzt, und als er einen der höher gelegenen Äste nicht erreichen kann, ihm eine der Halbwüchsi­gen den Ast so hinbiegt, dass er ihn greifen kann? Wie sein übermütige­r Kollege sich eine Ohrfeige von der Mutter einholt, sich dann aber zum Ausruhen auf den Rücken setzen darf. Dass Mahane, ein Riesentyp, der Silberrück­en der Gruppe, einen mit seinem Chefblick nur kurz und auch ziemlich gelangweil­t streift? Dass, dass, dass …? Über eine Stunde im Bwindi Park kann man einen Tag lang erzählen. Nach genau einer Stunde dann aber beginnt im Urwald der Aufbruch. Nicht die Menschen gehen, sondern die Berggorill­as. Als hätten sie auf die Uhr gesehen.

Die Ranger machen selbst einen auf Gorilla

Wer Schnupfen hat, darf nicht zu den Tieren

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Fotos: Judd Irish Bradley, AdobeStock; Gernot Hensel, dpa;
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