Wo Boris Johnson zu den Großen zählt
Brexit, Handelskrieg, Irankrise: Die Liste der Probleme auf dem Gipfel der sieben mächtigsten Industriemächte ist lang. Ein inoffizieller Überraschungsgast nährt Hoffnungen, dass das Treffen in Biarritz Fortschritte bringen könnte
Biarritz Der Zustand der Weltwirtschaft, der rund eineinhalb Kilometer entfernt gerade verhandelt wird, interessiert an diesem Sonntagmorgen an dieser Straßenecke von Biarritz keinen im Detail. Alle sind einfach nur genervt. Ein Stau bildet sich – Polizisten bitten Autos, Fußgänger, Motorradfahrer zu warten, bis eine internationale Delegation vorbeigefahren ist. „Willkommen in Biarritz und danke, dass ihr uns das Wochenende verderbt“, ruft eine aufgebrachte Frau in Richtung der abgedunkelten Limousinen, als diese endlich mit gewichtigen Passagieren an Bord vorbeifahren.
Die südfranzösische Stadt am Atlantik gleicht in diesen Tagen einer Festung mit abgesperrten Straßen und Vierteln. Den mondänen Badeort hat Präsident Emmanuel Macron für den G7-Gipfel ausgewählt, bei dem von Samstag bis diesem Montag die Staats- und Regierungschefs Deutschlands, Großbritanniens, Italiens, Japans, Kanadas und der USA miteinander verhandeln.
Mit den aktuellen Handelsstreitigkeiten vor allem zwischen den USA und China, der Sorge um eine Eskalation des Konflikts mit dem Iran, dem Klimaschutz und ganz aktuell den verheerenden AmazonasBränden, die Macron kurzfristig mit auf das Programm setzte, stand schwere Kost bei den Diskussionen an.
Noch vor seinem Abflug hatte US-Präsident Donald Trump angeordnet, ab Oktober chinesische Waren im Wert von 250 Milliarden Dollar mit einem Zollsatz von 30 statt bisher 25 Prozent zu belegen. Macron wiederum sagte in einer Fernsehansprache an, sich um Deeskalation zu bemühen, um einen Handelskrieg zu vermeiden.
Von diesem Zwist war bei der Ankunft Trumps mit seiner Ehefrau Melania am Samstag nichts zu spüren. Der französische Präsident bemühte sich erkennbar darum, eine herzliche Atmosphäre zu schaffen. Überraschend hatte er ein spontanes Mittagessen mit Trump organisiert und ein Fernsehteam hinzugeladen. Im Anschluss erklärte ein zufriedener Trump, das Mittagessen „mit Emmanuel“war für ihn „das beste Treffen, das wir je hatten“. Ob es auch inhaltliche Verständigung gab, blieb unklar.
Bundeskanzlerin Angela Merkel lobte Macrons Entscheidung, die Waldbrände am Amazonas auf die Tagesordnung des Gipfels zu setzen: „Unser Haus brennt - und da können wir nicht schweigen.“Am Sonntag einigten sich die Staats- und Regierungschefs auf technische und finanzielle Hilfen, um die Brände zu bekämpfen und die Schäden zu beheben. Außerdem fiel der Beschluss, die von Trump eingebrachte Wiederaufnahme Russlands in den Kreis der Gipfelteilnehmer weiterhin auszusetzen - dafür sei es noch zu früh.
Vor der Krise um die Annexion der Krim 2014 wurde im Rahmen eines G8-Gipfels mit Russland getagt. Die nunmehr sieben Staatsund Regierungschefs einigten sich darüber hinaus auf eine grundsätzliche Initiative, den Konflikt um das Atomprogramm des Iran zu entschärfen. Am Sonntagnachmittag traf überraschend der iranische Außenminister Mohammed Dschawad Sarif in Biarritz ein – ein Signal der Dialogbereitschaft. Auf diese Weise gelingt es Frankreichs Präsident, sich als Chef-Diplomat darzustellen, der Lösungsansätze für die großen Konflikte in der Welt parat hat.
Die Iran-Krise ist eines der Hauptthemen beim Gipfel der sieben führenden Wirtschaftsnationen. Mit der US-amerikanischen Delegation werde Sarif sich nicht treffen, hieß es. Der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian habe Sarif eingeladen. Diplomaten bestätigten am Rande des Gipfels, es sei eine Begegnung Sarifs mit Le Drian geplant. Die USA wollen den Iran mit maximalem politischen und wirtschaftlichen Druck zu einem Kurswechsel in der als aggressiv erachteten Außenpolitik zwingen. Die Wiedereinführung von Sanktionen hat bislang aber nur die Spannungen in der Region weiter angeheizt.
Die Staats- und Regierungschefs des mächtigen Staatenklubs hatten bereits am Samstagabend über mögliche Lösungen in der Iran-Krise beraten. Wie Trump auf das Kommen des Iraners reagieren wird, war noch unklar. Auf die Frage von Journalisten, ob er etwas dazu wisse, dass Sarif komme, sagte er: „Kein Kommentar.“Die USA haben Sarif auch mit persönlichen Sanktionen belegt.
US-Präsident Donald Trump dementierte, dass Macron von der G7-Runde einen Auftrag bekommen habe, eine Botschaft an den Iran zu richten. „Nein, ich habe das nicht diskutiert“, sagte Trump bei einem Treffen mit dem japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe am Rande des Gipfels.
Trump sagte aber auch, dass er nichts gegen einen solchen Schritt hätte. „Wir können Menschen nicht davon abhalten zu reden. Wenn sie reden wollen, können sie reden.“Aus französischen Diplomatenkreisen war zuvor verlautet, die Staatsund Regierungschefs hätten Macron damit beauftragt, eine Botschaft an Teheran zu richten. Darin solle es heißen, dass „um jeden Preis“vermieden werden müsse, dass der Iran eine Atombombe besitzt.
Ein weiteres Sorgenthema bildet der Brexit. Während zum GipfelAuftakt der britische Premierminister Boris Johnson versichert hatte, auch er wolle keinen Brexit ohne Abkommen, warnte ihn EU-Ratspräsident Donald Tusk, „als Mister No-Deal in die Geschichte einzugehen“. Johnson und Trump nutzten die Gelegenheit für ein Gespräch über den raschen Abschluss eines Handelsvertrags nach dem Brexit. Trump zufolge lief es „hervorragend“, es werde ein „sehr großes Abkommen“geben.
Gipfel- und Globalisierungsgegner hatten sich derweil in anderen Städten in der Region zusammengetan. 9000 bis 15000 Teilnehmer demonstrierten am Samstag gegen das Treffen von Vertretern der reichsten Länder der Welt: Dass dieses unter dem Motto des Kampfs gegen globale Ungerechtigkeiten stattfand, erscheine ihnen zynisch, sagte eine Teilnehmerin.
Gastgeber Macron dringt auf Entspannungssignal