Brutaler Frauenmord schockt die Türkei
Das Opfer hatte sich kurz vor der Tat an die Polizei gewandt. Der Fall lenkt den Blick auf ein grundsätzliches Problem
Kirikkale „Ich will nicht sterben“, waren die letzten Worte von Emine B. Vor den Augen ihrer zehnjährigen Tochter ist die 38-jährige Türkin in einem Schnellimbiss von ihrem Ex-Mann erstochen worden. „Mama, bitte stirb nicht“, schrie das Kind, doch Emine B. verblutete innerhalb weniger Minuten. Die Polizei wusste offenbar von den Morddrohungen des Mannes gegen seine ehemalige Ehefrau, hatte aber nichts unternommen.
Der Mord in Kirikkale, eine Autostunde östlich der Hauptstadt Ankara, wäre möglicherweise nur ein weiterer Fall in der traurigen Statistik der Gewalt gegen Frauen in der Türkei geworden, hätte ein Gast in dem Imbiss die Tat nicht mit seinem Handy gefilmt. Die Bilder tauchten knapp eine Woche nach dem Mord im Internet auf und schockten das Land. Der mutmaßliche Täter und auch der filmende Tatzeuge wurden inzwischen festgenommen. Auf Antrag der Opferfamilie verhängte ein Gericht eine Nachrichtensperre, um die Weiterverbreitung des MordVideos zu verhindern.
Emine B. hatte sich schon vor Jahren von ihrem gewalttätigen Mann scheiden lassen. Am Tag des Mordes habe der 43-Jährige seine ehemalige Frau und seine Tochter sehen wollen, berichteten Familienangehörige türkischen Medien. Bei dem Treffen in einem Café gerieten die ehemaligen Eheleute demnach in einen Streit; der Mann drohte, er werde Emine B. umbringen. Mutter und Kind gingen sofort zur Polizei, berichten Medien. Die Beamten taten aber offenbar nichts, um den Mann ausfindig zu machen. Der mutmaßliche Täter fing die Frau auf ihrem Rückweg von der Polizei ab und zwang sie, mit ihm in das Schnellrestaurant zu gehen. Dort zog er ein Messer, stach sie in den Hals und flüchtete mit einem Taxi. Dem Fahrer erklärte er seine blutverschmierte Kleidung damit, dass er ein Opfertier geschlachtet habe. Inzwischen sitzt er in Untersuchungshaft. Der Staatsanwaltschaft nannte er sein Mordmotiv: Seine Ex-Frau habe ihn beleidigt.
Obwohl in der Türkei jeden Tag Frauen getötet werden, wühlte das Video das Land auf. Eine Nachrichtensprecherin im Fernsehen brach in Tränen aus, überall in der Türkei protestierten Demonstranten am Wochenende gegen die Frauengewalt, in Fußballstadien gab es Schweigeminuten. Das Familienministerium will in dem anstehenden Prozess als Nebenklägerin auftreten, um damit die Position der Regierung gegen die Gewalt an Frauen zu dokumentieren.
Rund 220 Frauen sind nach Angaben des Verbandes „Wir stoppen die Verbrechen an Frauen“seit Anfang des Jahres in der Türkei von Verwandten oder ehemaligen Partnern umgebracht worden. In den vergangenen Jahren zählten die Aktivisten mehr als 400 Morde an Frauen pro Jahr; das sind mehr als doppelt so viele Opfer wie in Deutschland, das eine ähnliche Einwohnerzahl hat.