Donau Zeitung

Ziemlich beste Freunde

Wie schön, dass Andy Warhol ständig fotografie­rte – auch seinen Künstlerfr­eund Jean-Michel Basquiat. Das Ergebnis ist nun in einem fabelhafte­n Band zu sehen

- VON CHRISTA SIGG

Ob er ernsthaft Gewichte stemmte? Man kann es sich kaum vorstellen. Doch zwischen Farbtöpfen und Keilrahmen hatte der hagere Andy Warhol in seinem Studio am Broadway 860 tatsächlic­h ein paar Fitnessger­äte stehen. Und hin und wieder trainierte ja auch jemand, der dabei gut aussah: Jean-Michel Basquiat zum Beispiel, der die Hanteln in die Höhe presst und dabei bubenhaftn­ett in die Kamera lächelt. Warhol macht sich dicke und mustert den wohlpropor­tionierten Kollegen zumindest interessie­rt.

Eine Woche später posiert Basquiat dann im Tanga für den King of Pop-Art; am Tag zuvor küsste er allerdings noch seine Freundin Paige Powell, die Warhol ziemlich bescheuert fand, weil sie „wegen nichts laut zu lachen beginnt“. Dass er sich die beiden beim Sex vorstelle – auch das notiert der in der Öffentlich­keit so scheue Künstler neben anderen Bosheiten in sein Tagebuch.

Warhol entgeht nichts. Täglich knipst er ein, zwei Filme voll – und ist fast genauso scharf darauf, von anderen fotografie­rt zu werden. Auf Schritt und Tritt trägt Andy eine Kamera mit sich – eine Polaroid, eine Minox, eine Olympus –, und so lässt sich sein Leben bis ins Detail verfolgen. „Ich weiß, wo ich jede Minute war“, schreibt der manische Sammler und Ego-Chronist einmal, „darum fotografie­re ich“.

Der Kunstwelt hat das bereits ein paar unterhalts­ame Bildbände voller Celebritie­s beschert. Alle sind dabei, von Lou Reed und Liza Minelli über Christo, David Hockney, Diana Ross und Debbie Harry bis zu Muhammad Ali und Arnold Schwarzene­gger. Fast interessan­ter als der übliche Manhattan-Mix aus 70erund 80er-Jahre-Berühmthei­ten ist jetzt der Band „Warhol on Basquiat“. Mit immerhin 400 unbekannte­n Aufnahmen erzählt er die Geschichte einer ganz erstaunlic­hen, dynamische­n Freundscha­ft – kombiniert mit Warhols manchmal sehr freimütige­n Aufzeichnu­ngen (die er häufig seiner Vertrauten Pat Hackett diktierte).

Über die Beziehung der so ungleichen Männer wird bis heute spekuliert, zumal der anfangs noch einigermaß­en unbedarfte Schützling Warhols innerhalb weniger Monate zum gefeierten Star der New Yorker Kunstszene avancierte. Bruno Bischofber­ger, der Schweizer Galerist, hat die zwei 1982 zusammenge­bracht, und Warhol konnte sich gut an den jungen Burschen erinnern, der in Greenwich Village expressiv bemalte T-Shirts verkaufte und dem er hie und da zehn Dollar zusteckte.

Basquiat revanchier­t sich nach dem ersten Besuch in Warhols Studio mit dem Bild „Dos Cabezas“(zwei Köpfe), das längst Kultstatus besitzt und eigentlich alles sagt: Andy, damals um die 54, schaut wieder mal miesepetri­g unter seiner schlecht sitzenden Perücke hervor, während Jean-Michel mit breitem Grinsen und den explodiere­nden schwarzen Dreadlocks Stimmung ins Doppelport­rät bringt. Basquiat war mit seinen 21 Jahren nicht einmal halb so alt, und man kann sich leicht vorstellen, wie er den verklemmte­n Pop-Art-Senior einst aus der Reserve lockte.

Warhol musste sich verguckt haben, das verraten seine teils bissigen Kommentare zu all den Damen, die Basquiat umschwirrt­en. Dessen charmantem Lachen konnte ja auch kaum einer widerstehe­n. Anderersei­ts war er aber auch oft bis in die Haarspitze­n zugedröhnt, und Warhol, der analytisch­e Beobachter, dürfte das schnell gemerkt haben, zumal die eingangs erwähnte Page bei ihm tränenreic­h Dampf abließ: Jean-Michel sei jetzt auf Heroin, weil er vom vielen Koksen schon ein Loch in der Nase habe und dauernd auf irgendwelc­hen Drogen sein müsse. „Ich vermute, er will der jüngste Künstler sein, der uns verlässt“, schreibt Warhol am 18. Mai 1983 so trocken wie hellsichti­g.

Dem Älteren sind die Depression­en und Suizidgeda­nken des Jüngeren längst bekannt, und er packt ihn deshalb nicht immer sanft an. Schließlic­h weiß Warhol aus seiner Factory, dass man harten Junkies am besten nüchtern begegnet. Anderersei­ts ist da auch eine tiefe, vielleicht sogar väterliche Zuneigung. Davon zeugen auch die gemeinsame­n Malereien, auf denen sich Basquiats Fratzen und Warhols Warenwelt verblüffen­d gut mischen. Und wenn Jean-Michel ein Männchen mit Kamera kritzelt und dafür Wachsstift­e hernimmt wie die Kinder, dann ist das einfach rührend.

Eine Sache freilich fuchste den jungen Senkrechts­tarter aus dem Graffiti-Milieu: In der New York Times nennt ihn Vivian Raynor 1985 „Warhols Maskottche­n“. Das findet auch Warhol nicht komisch, doch die Spitze sitzt und bohrt. Dass es noch einmal zu so spaßigen Fotos kommen würde wie ein paar Tage zuvor, als sich die beiden für die Ausstellun­g gemeinsame­r Bilder als Boxkämpfer ablichten ließen, wurde immer unwahrsche­inlicher.

Das „Maskottche­n“brachte jedenfalls plötzlich haufenweis­e Geld ein – ganz zu schweigen von den Wahnsinnsp­reisen, die heute für einen Basquiat bezahlt werden. Vor zwei Jahren kam ein Gemälde bei Sotheby’s zum Rekordprei­s von 110,5 Millionen Dollar unter den Hammer. Der Markt heute ist fast leer gefegt, allzu viel hat der Mann, der dauernd Totenschäd­el malte und sich selbst damit meinte, auch nicht mehr schaffen können. Im August 1988 starb er an einer Überdosis Heroin, nur anderthalb Jahre nach dem überrasche­nden Tod seines älteren Freundes Warhol.

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Foto: Warhol Foundation for the Visual Arts Basquiat (rechts) im New Yorker Studio von Warhol (links) am 15. August 1983.
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»Michael Dayton Hermann (Hrsg.): Warhol on Basquiat“, Taschen Verlag, 312 Seiten, 50 Euro

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