Donau Zeitung

Mit voller Kasse in die Flaute

In Deutschlan­d wächst die Angst vor einer Rezession. Doch obwohl die Konjunktur einbricht, sprudeln die Steuereinn­ahmen. Muss Finanzmini­ster Scholz jetzt seinen Kurs ändern?

- VON FREDERIKE MARX, ANDREAS HOENIG UND MICHAEL POHL

Berlin An schlechten Nachrichte­n aus den deutschen Unternehme­n mangelt es nicht, Konjunktur­forscher warnen vor einem Abschwung und die Sozialdemo­kraten haben mit dem Thema Vermögenst­euer einen Streit um höhere Abgaben losgebroch­en: Sind die viel zitierten fetten Jahre wirklich vorbei? Beim Blick auf die Staatseinn­ahmen drängt sich ein anderer Eindruck auf: Bund, Länder, Gemeinden und Sozialvers­icherungen schwimmen regelrecht im Geld. Im ersten Halbjahr 2019 nahmen sie unter dem Strich rund 45,3 Milliarden Euro mehr Geld ein, als sie ausgaben, wie die neuesten Zahlen des Statistisc­hen Bundesamts belegen. Es ist der zweitbeste Wert seit der Wiedervere­inigung.

Angesichts der Überschüss­e werden die Rufe nach mehr staatliche­n Investitio­nen sowie einer vollständi­gen Abschaffun­g des Solidaritä­tszuschlag­s lauter: Das soll die wegen der internatio­nalen Handelskri­ege und der Krise der Autoindust­rie abflauende Wirtschaft in Gang halten. Tatsächlic­h schrumpfte das Bruttoinla­ndsprodukt bereits im Zeitraum von April bis Juni um 0,1 Prozent. Das ist noch nicht so dramatisch, dass Deutschlan­d als größte Volkswirts­chaft Europas damit bereits in eine Rezession stürzt.

Doch die Hoffnungen auf eine Konjunktur­erholung schwinden. „Die Sorgenfalt­en der deutschen Wirtschaft werden immer tiefer“, sagt Ifo-Präsident Clemens Fuest. Vor allem der Zollkrieg zwischen den USA und China verunsiche­rt die deutsche Exportwirt­schaft. Dazu kommt der Brexit. Industriep­räsident Dieter Kempf fürchtet, dass das Wachstum im Gesamtjahr auf null absacken könnte, sollten die Briten Ende Oktober in einem Chaos aus der EU aussteigen.

Nach Einschätzu­ng von Volkswirte­n könnte das Bruttoinla­ndsprodukt auch so weiter schrumpfen. Sinkt die Wirtschaft­sleistung zwei Quartale in Folge, sprechen Ökonomen von einer „technische­n Rezession“. Es handelt sich in diesem Fall aber um einen milden Abschwung. Anders sähe es aus, wenn die Wirtschaft im Gesamtjahr schrumpft. Zuletzt war Deutschlan­d 2009 in der globalen Finanzkris­e in eine echte Rezession gestürzt. Seitdem ging es stets bergauf. Vergangene­s Jahr waren noch 1,5 Prozent Wachstum, für dieses Jahr rechnet die Bundesregi­erung mit 0,5 Prozent. Lange galt die Marke von zwei Prozent Wachstum als wichtiges Ziel, weil ab diesem Wert in der Vergangenh­eit spürbar mehr neue Arbeitsplä­tze entstanden sind.

Doch angesichts des Fachkräfte­mangels sind heute die Unternehme­n bei schlechter­en Zahlen deutlich vorsichtig­er beim Stellenabb­au. Viele Branchen suchen auch in der Konjunktur­delle dringend nach qualifizie­rtem Personal. Das macht sich auch in den Sozialkass­en spürbar bemerkbar: Sie verzeichne­n seit Jahresbegi­nn noch immer ein kräftiges Einnahmepl­us von 4,4 Prozent, doch auch die Steuereinn­ahmen fielen mit einem Zuwachs von 2,8 Prozent beachtlich aus. Das weckt Begehrlich­keiten gegenüber SPD-Finanzmini­ster Olaf Scholz.

„Deutschlan­d steht mit einem Fuß in der Rezession und Olaf Scholz schwimmt im Geld“, sagt FDP-Fraktionsv­ize Christian Dürr. Der Liberale mahnt steuerlich­e Entlastung­en an, „damit die Unternehme­n neues Vertrauen fassen und in die Zukunft investiere­n können“.

Auf der anderen Seite wird dagegen bereits der Ruf nach einer höheren Staatsvers­chuldung laut: Die Bundesregi­erung müsse die historisch niedrigen Zinsen nutzen und „dringend notwendige massive Investitio­nen tätigen“, fordert der Linken-Fraktionsv­ize Fabio De Masi ein Konjunktur­programm. Er erhält dabei ungewohnte Unterstütz­ung aus der Industrie: „Die Politik muss rasch kräftige Impulse für die öffentlich­e und private Investitio­nstätigkei­t setzen“, fordert BDI-Hauptgesch­äftsführer Joachim Lang. Und die Grünen fordern Schulden für die Umwelt: „Klimaschut­z ist wichtiger als die ,schwarze Null‘“, fordert Grünen-Haushaltse­xperte SvenChrist­ian Kindler.

Für Olaf Scholz, den eisernen Erbverwalt­er der von seinem CDUVorgäng­er Wolfgang Schäuble geschmiede­ten „schwarzen Null“, brechen trotz gefüllter Kassen unangenehm­e Zeiten an.

 ?? Foto: Heinl, Imago Images ?? SPD-Minister Olaf Scholz: Angesichts der steigenden Überschüss­e werden die Rufe nach einem Konjunktur­programm und neuen Schulden lauter.
Foto: Heinl, Imago Images SPD-Minister Olaf Scholz: Angesichts der steigenden Überschüss­e werden die Rufe nach einem Konjunktur­programm und neuen Schulden lauter.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany