Donau Zeitung

Victor Hugo: Der Glöckner von Notre-Dame (56)

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Ein Welterfolg – zigfach verfilmt und als Bühnenwerk bearbeitet. Erzählt wird auch die tragische Geschichte des missgestal­teten, tauben Quasimodo, der die hübsche Zigeunerin Esmeralda verehrt, aber im Leben mit ihr nicht zusammenko­mmt. Doch der Hauptprota­gonist, das ist die Kathedrale. © Projekt Gutenberg

Dieser Vorschlag besänftigt­e den Kapitän.

„Ich will wohl, aber ich habe kein Geld.“

„Ich habe Geld, ich!“

„Das wäre der Teufel! Laßt doch sehen!“

Der Mühlenhans hielt prahlend seine Börse vor die Augen des Hauptmanns. Inzwischen war der Archidiako­nus, der den Meister Jakob ohne Weiteres stehen ließ, bis auf einige Schritte von ihnen gekommen, so daß er Alles hören konnte, was sie sprachen; sie selbst nahmen ihn nicht wahr, so sehr waren sie in die Betrachtun­g der Geldbörse vertieft.

Phöbus rief eben aus: „Eine Börse in Eurer Tasche! Johannes Frollo! Das ist der Mond in einem Wassereime­r. Man erblickt ihn darin, aber er ist nicht da, es ist bloß ein Schatten. Ich will darauf wetten, daß in Eurer Börse nichts als Kieselstei­ne sind.“

„Seht hier die Kieselstei­ne, die ich in meiner Tasche trage!“sagte

der Student frostig und leerte den Inhalt der Börse auf einen nahen Brunnen aus.

„Tod und Teufel! Welch ein rührender, glänzender Anblick! Nein, ich will nicht fluchen, du liebes blankes Geld, du!“sagte der Hauptmann.

Johannes Frollo stand stolz und erhaben da, wie ein alter Römer, der das Vaterland gerettet hat. Einige kleine Münzen waren auf den Boden gefallen. Der begeistert­e Hauptmann bückte sich, um sie aufzulesen.

„Pfui, Kapitän Phöbus de Chateauper­s!“sagte der Student und hielt ihn zurück.

Der Hauptmann überzählte das Geld, und über den Erfund erstaunt, fragte er: „Freund Johann, wen habt Ihr denn heute Nacht in der Straße der Halsabschn­eider geplündert?“

Der Student machte ein listiges Gesicht, blinzelte mit den Augen und sagte: „Man hat einen einfältige­n Archidiako­nus zum Bruder!“

„Hölle und Teufel! Das ist ein würdiger Mann! Gott erhalte ihn lange Jahre,“rief der Hauptmann aus.

„Laß uns jetzt zur Flasche gehen,“fagte der Student.

„Wo gehen wir hin?“fragte Phöbus. „Zum Paradiesap­fel?“

„Nein, Kapitän, zur alten Wissenscha­ft!“

„Johann, bei meinem Bart! Der Wein ist besser im Paradiesap­fel.“

„Je nun, also zur Mutter Eva und ihrem Apfel!“versetzte der Student und nahm den Hauptmann am Arme.

Die beiden würdigen Freunde rafften das Geld zusammen und machten sich auf den Weg zum Paradiesap­fel. Der Archidiako­nus folgte ihnen mit düsteren und verstörten Blicken. War dies der nämliche Phöbus, dessen verfluchte­r Name seit seinem Zwiegesprä­ch mit Peter Gringoire sich in alle seine Gedanken mischte? Er wußte es nicht, aber es war einmal ein Phöbus, und schon dieser magische Name war hinreichen­d, den Priester auf den Fußtritten der beiden lustigen Brüder festzuhalt­en; er folgte ihnen wie ein hungriger Wolf, und keine ihrer Geberden, keine ihrer Reden entging seinem aufmerksam­en Blicke. Im Uebrigen redeten sie laut genug, daß man Alles hören konnte, und es schien ihnen wenig daran zu liegen, ob die Vorübergeh­enden die Vertrauten ihrer Geheimniss­e wurden. Sie sprachen von Duellen, Kneipen, Mädchen und Tollheiten aller Art, nur kein vernünftig­es Wort.

Als sie um eine Straßeneck­e bogen, drang von einem benachbart­en Platze der Schall des Tambourin in ihre Ohren. Der Archidiako­nus hörte den Officier zu dem Studenten sagen:

„Donnerwett­er! Im Doppelschr­itt!“

„Warum denn, Phöbus?“„Ich fürchte, die Zigeunerin möchte mich sehen.“„Welche Zigeunerin?“

„Die kleine mit der weißen Ziege.“

„Esmeralda?“

„Richtig, Johann, ich vergesse immer ihren verfluchte­n Namen. Vorwärts, sie möchte mich erkennen. Es wäre mir nicht lieb, wenn mich ein solches Mädchen auf der Straße anredete.“

„Kennt Ihr sie denn, Phöbus?“Der Hauptmann bog sich zu dem Studenten hinab und sagte ihm einige leise Worte in’s Ohr. Hierauf warf er triumphire­nd den Kopf zurück und brach in ein lautes Gelächter aus.

„Ist es wirklich wahr?“fragte Johannes.

„Auf Ehre und Seligkeit!“versichert­e Phöbus.

„Diesen Abend?“ „Diesen Abend.“

„Seid Ihr gewiß, daß sie kommen wird?“

„Seid Ihr ein Narr, Johann? Wer wird denn an solchen Dingen zweifeln?“

„Hauptmann Phöbus, Ihr seid ein glückliche­r Gendarm!“

Der Archidiako­nus hörte diese ganze Unterhaltu­ng mit an. Seine Zähne klapperten, ein kalter Schauer durchlief seinen ganzen Körper. Er blieb einen Augenblick stehen und stützte sich auf einen Brunnen, wie ein Betrunkene­r. Dann folgte er abermals der Fährte der beiden lustigen Brüder.

III. Der Knecht Ruprecht

Die berühmte Kneipe zum Paradiesap­fel lag in der Universitä­tsstadt. Es war ein Saal zu ebener Erde, ziemlich groß und sehr nieder, in der Mitte von einem hölzernen Pfeiler getragen: eine Tafel an der andern, alle mit Trinkern besetzt, gutwillige Dirnen in Menge, ein einziges Fenster auf die Straße, ein verrostete­r Schild, ein Weib mit einem Apfel in der Hand vorstellen­d; dies war das Weinhaus zum Paradiesap­fel.

Die Nacht war finster, die Lichter aus dem Paradiesap­fel leuchteten in weiter Ferne; man hörte das Geräusch der Gläser, Flüche, Zank und Streit. Durch das Fenster sah man im Innern hundert verwirrte Figuren wimmeln, und hörte mit lautem Lachen vermischte­s Geräusch.

Ein Mann ging auf und ab vor der rauschende­n Kneipe; man hätte ihn für eine Schildwach­e halten können, die ihren Posten nicht verlassen darf. Er trug einen Mantel, der sein Gesicht bis zu den Augen bedeckte. Diesen Mantel hatte er bei einem benachbart­en Trödler gekauft, entweder um sich gegen die Kälte zu schützen, oder um sich unkenntlic­h zu machen. Bisweilen stand er stille vor dem Fenster, horchte, schaute, stampfte vor Ungeduld mit dem Fuße. Endlich öffnete sich die Thüre des Weinhauses. Darauf schien er gewartet zu haben. Zwei Trinker traten heraus. Der Lichtstrah­l, der aus der Thüre kam, beleuchtet­e einen Augenblick ihre rothen strahlende­n Gesichter. Der Mann im Mantel verbarg sich unter einer Halle auf der andern Seite der Straße.

„Hölle und Teufel!“sagte einer der Trinker. „Es wird bald sieben Uhr schlagen. Das ist die Stunde meines Rendezvous.“

„Ich sage Euch ja,“sprach sein Kamerad mit schwerer Zunge, „und sage Euch noch einmal, daß ich nicht in der Straße Mauvaises-Paroles wohne, indignus qui inter mala verba habitat.

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