Donau Zeitung

Patienten sollen für unnötige Arzttermin­e zahlen

Vorschlag der Kassenärzt­e löst Empörung aus. Was die Regierung davon hält

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Überfüllte Wartezimme­r und verstopfte Rettungsst­ellen in Krankenhäu­sern – der Chef der Kassenärzt­e will den Stau durch die Wiederaufl­age einer Art Praxisgebü­hr lösen. Doch Andreas Gassen stößt mit seiner Forderung in der Großen Koalition auf unzweideut­ige Ablehnung. „Die Forderung der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g ist unverschäm­t und dreist“, sagte der SPDGesundh­eitsexpert­e Karl Lauterbach im Gespräch mit unserer Redaktion. Für ihn liegt die Schuld an langen Wartezeite­n und überlastet­en Notfallamb­ulanzen bei den Ärzten selbst. „Die Kassenärzt­liche Vereinigun­g versucht, aus ihrem eigenen Versagen heraus Profit bei den Patienten herauszusc­hlagen“, empörte sich Lauterbach. Sie habe es versäumt, eine 24-stündige Erreichbar­keit aufzubauen.

Gassen hatte zuvor in einem Interview ebenfalls zu unverblümt­en Worten gegriffen. „Es kann dauerhaft kaum jedem Patienten sanktionsf­rei gestattet bleiben, jeden Arzt jeder Fachrichtu­ng beliebig oft aufzusuche­n, und oft noch zwei oder drei Ärzte derselben Fachrichtu­ng“, hatte er der Neuen Osnabrücke­r Zeitung gesagt. Der Ärzte-Lobbyist echauffier­te sich über eine FlatrateMe­ntalität und einen irrsinnige­n Rundum-sorglos-Anspruch, wenn Patienten wegen Kleinigkei­ten in die Notfallamb­ulanzen kommen.

Tatsächlic­h sind überlastet­e Rettungsst­ellen in den Kliniken vor allem am Wochenende ein Problem, wenn die Praxen geschlosse­n haben. Dass ein Termin bei einem Spezialist­en manchmal erst nach Monaten zu ergattern ist, diese Erfahrung haben schon viele Kranke gemacht. Sie entspricht aber nicht der Regel. Nur 15 Prozent warten länger als drei Wochen auf einen Termin beim Facharzt, wie aus der Patientenb­efragung der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g mit über 6000 Teilnehmer­n aus dem Frühjahr hervorgeht. Dreißig Prozent bekommen hingegen sofort einen Termin. Den Eindruck, dass die Praxen unter dem Ansturm kollabiere­n, hat die Befragung jedenfalls nicht bestätigt. Lediglich drei Prozent der Patienten müssen demnach im Wartezimme­r länger als zwei Stunden Platz nehmen.

Die Forderung der Kassenärzt­e knüpft an die Praxisgebü­hr an, die zwischen 2004 und 2012 bezahlt werden musste. Für die Konsultati­on eines Facharztes ohne Überweisun­g oder die Inanspruch­nahme des Notdienste­s der Krankenhäu­ser waren damals pauschal 10 Euro fällig. Stichprobe­n ergaben seinerzeit, dass dadurch rund neun Prozent weniger Patienten vorstellig wurden.

Die gesundheit­spolitisch­e Sprecherin der Unionsfrak­tion, Karin Maag (CDU), hat zumindest Verständni­s für den Wunsch Gassens nach Steuerung. Ein Comeback des Praxis-Zuschlags lehnt aber auch sie eindeutig ab. „Der Patient kann weiterhin sicher sein, dass ihm von dem Arzt, den er aufsucht, ohne Strafgebüh­r geholfen wird“, sagte die Abgeordnet­e aus Stuttgart unserer Redaktion.

Im Herbst will die Koalition eine Reform der Notfallver­sorgung beschließe­n. Sie sieht unter anderem telefonisc­he Notfalllei­tstellen sowie spezielle Notfallzen­tren vor. Je nach Schwere des Falles soll dort entschiede­n werden, ob Patienten im Krankenhau­s oder ambulant behandelt werden. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) hatte seinen Entwurf vor der Sommerpaus­e vorgelegt. Auf Strafgebüh­ren will er verzichten. „Für uns steht die freie Arztwahl nicht zur Debatte“, erklärte sein Haus. Lesen Sie dazu auch unseren

„Die Forderung der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g ist unverschäm­t und dreist.“

SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach

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