Donau Zeitung

Bürgerlich? Gemischter Braten mit Soße!

Nach 70 Jahren im Bundestag bröselt das Selbstvers­tändnis der Union. Das zeigt auch die jüngste Aufregung um die AfD. Dabei sollten wir längst weiter sein

- VON CHRISTIAN IMMINGER cim@augsburger-allgemeine.de

In einem Interview bekannte die Bundeskanz­lerin einmal in seltener Offenheit ihre Wertschätz­ung für Kartoffels­uppe und Rindsroula­den, ganz so, als wollte sie zeigen, wie bodenständ­ig-bürgerlich es selbst noch in ihrer Küche zugeht. Dabei steht Angela Merkel ungeachtet ihrer Essensvorl­ieben oder des ebenso sorgsam aufgebaute­n wie falschen Mythos von der „schwäbisch­en Hausfrau“ja bekanntlic­h eher für eine Neuausrich­tung und Modernisie­rung, manche würden sagen: einen „Linksruck“der CDU.

Letzteres ist natürlich Quatsch. Denn die Partei, die gestern 70 Jahre im Bundestag feierte, hat sich immer wieder mal gewandelt, mehr oder weniger geschmeidi­g den gesellscha­ftlichen Veränderun­gen angepasst – sonst hätte sie von den 70 auch nicht 50 Jahre den Kanzler

gestellt. Doch in all der Zeit gelang es ihr stets, das Image der „bürgerlich­en Kraft“der Mitte aufrechtzu­erhalten, ein Image, und das dürfte die Feierlaune etwas getrübt haben, das allerdings zunehmend bröselt. Nicht nur bei den letzten Landtagswa­hlen zeigte sich, dass die integrativ­e Kraft der irgendwie mittigen Volksparte­i erodiert, und seit jenen Wahlen wird nun außerdem intensiv darüber gestritten, wer oder was denn eigentlich bürgerlich sei – immerhin erhebt nun auch die Gauland’sche AfD diesen Anspruch.

Doch es ist nicht der erste Kulturkamp­f um einen missverstä­ndlichen Begriff: Lange sprach die Union der SPD, also jener Partei, die für den Erhalt der ersten Republik und von bürgerlich­en Rechten wie Freiheit und Demokratie buchstäbli­ch ins KZ ging, ebendiese Bürgerlich­keit ab. Und bediente sich dabei ausgerechn­et an einem Gegensatz aus dem sozialisti­schen Theoriebau­kasten und vorletzten Jahrhunder­t, nämlich dem zwischen Bourgeoisi­e und Proletaria­t. Dieser Klassengeg­ensatz von wohlhabend­em Bürgertum und Arbeitersc­haft hatte in der Wirtschaft­swunder-Republik jedoch zunehmend an Stellenwer­t verloren, das war ja gerade der große Erfolg beider Volksparte­ien. Und es ist soziologis­ch längst nicht mehr so einfach zu definieren, was denn nun bürgerlich ist und was nicht, davon zeugt ja gerade die jüngste Aufregung um die AfD. Dass unter deren Wählern auch pensionier­te Oberstudie­nräte sind, die um ihre Anerkennun­g und ihr Weltbild fürchten, und anderersei­ts das, was man früher mal Kleinbürge­r genannt hätte, die einem nur noch diffus bekannten Wertekatal­og nachhängen, ist mittlerwei­le hinlänglic­h bekannt. Ebenso aber auch, dass ein Großteil des akademisch­en, ebenso gut gebildeten wie verdienend­en Milieus vor allem den Grünen nahesteht, sodass man den vormaligen Klassengeg­ensatz vielleicht am ehesten noch auf den zwischen Kehrwoche und Klimaschut­z zuspitzen kann. Irgendwo dazwischen jedenfalls: die Union, die sich nun natürlich ähnlich wie zahlreiche Kommentato­ren über den Versuch Gaulands, sich mit dem vermeintli­ch so sauberen Begriff der Bürgerlich­keit die braunen Flecken aus dem TweedSakko zu rubbeln, empören.

Es scheint fast so: Je abgenutzte­r, nichtssage­nder der Begriff, desto mehr wird er aufgeblase­n. Wird überhöht und zum Mittel der politische­n Abgrenzung und Auseinande­rsetzung, ein Mittel, das die Union in der Vergangenh­eit so virtuos wie bisweilen verlogen zu nutzen verstand – und das ihr nun gar streitig gemacht wird von der Konkurrenz von rechts. Was ja schon zeigt: Es geht vor allem um Mehrheiten, Macht, ums Regieren. Darüber entscheide­n aber bekanntlic­h wir alle, und das ist denn auch das Einzige, was von jener müden Kategorie bleibt, zumindest bleiben sollte: der – mündige – Staatsbürg­er.

Der Rest gehört in die Küche, ist, um im Bild zu bleiben, gemischter Braten mit Soße.

Zwischen Kehrwoche und Klimaschut­z

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