Donau Zeitung

Johnson in den Umfragen vorn

Obwohl der Premiermin­ister empfindlic­he Abstimmung­sniederlag­en verdauen muss, bleiben die Konservati­ven nach Umfragen stärkste Partei. Dennoch: Das Land ist gespalten

- VON KATRIN PRIBYL

London Während sie drinnen im Palast erbittert stritten, herrschte draußen ein Spektakel, das selbst für britische Brexit-Verhältnis­se außergewöh­nlich war. Täglich versammelt­en sich tausende Demonstran­ten vor dem Westminste­r-Palast, pfiffen und schrien und schwenkten ihre mitgebrach­ten Flaggen. Die meisten waren EU-Befürworte­r, aber es kamen in dieser für das Vereinigte Königreich so schicksalh­aften Woche auch etliche Brexit-Anhänger ins Regierungs­viertel. Tag für Tag protestier­en die Menschen, vor allem vor der Downing Street, wollten „die Demokratie verteidige­n“und forderten lautstark „Stopp den Putsch“, nachdem Premiermin­ister Boris Johnson dem Parlament eine Zwangspaus­e verordnet hat, die nächste Woche beginnen soll.

Ein weiterer Tiefschlag für den Premier bedeutet am Samstag der Rücktritt seiner Arbeitsmin­isterin Amber Rudd: Sie glaube nicht mehr daran, dass ein geregelter EU-Austritt das Hauptziel der Regierung sei, schrieb Rudd in einem Brief an Johnson. Auch der Rauswurf von 21 Tory-Rebellen durch Johnson aus der Tory-Fraktion am Dienstag hatte zu dem Schritt beigetrage­n.

Umfragen zufolge würde bei einem erneuten Referendum zwar das pro-europäisch­e Lager gewinnen. Doch diese leichte Verschiebu­ng liegt daran, dass sich die überwältig­ende Mehrheit der jungen Menschen, die 2016 noch nicht ihr Kreuz setzen durften, für den EU-Verbleib ausspreche­n würden. Weil auch das Unterhaus polarisier­t ist, fordert der Premiermin­ister Neuwahlen. Johnson mag am Mittwochab­end das Votum verloren haben, am heutigen Montag will er die Vorlage erneut den Abgeordnet­en vorlegen, um Neuwahlen am 15. Oktober zu erreichen. Warum? Johnson pocht darauf, am 31. Oktober das Land aus der EU zu führen – „komme, was wolle“, ob mit oder ohne Austrittsa­bkommen. So will er sich die Stimmen der Brexit-Anhänger sichern, von denen die Hälfte auf einen No Deal besteht, wie Umfragen zeigen.

Ein weiteres Viertel der LeaveWähle­r von 2016 wäre einverstan­den mit dem ungeregelt­en Austritt. Sollte Johnson entgegen seiner Verspreche­n die Scheidung aufschiebe­n, würde der Konservati­ve etliche Unterstütz­er an die Brexit-Partei unter Rechtspopu­list Nigel Farage verlieren, sagt der Wahlforsch­er John Curtice. Er prognostiz­iert, dass es bei einer Wahl, so lange der Brexit nicht vollzogen ist, mehr ein Wettkampf zwischen Johnson und Farage werden würde denn ein Duell zwischen Johnson und dem Labour-Chef Jeremy Corbyn. Denn erst wenn Großbritan­nien aus der EU ausgetrete­n sei, dürfte die Popularitä­t der Brexit-Partei nachlassen. Der altlinke Opposition­schef Corbyn dagegen schreckt viele moderaents­prechende te Briten ab und hat sich zur Enttäuschu­ng der Pro-Europäer auch in der Brexit-Frage nie klar positionie­rt, sondern will das Ergebnis des EU-Referendum­s respektier­en. Austritt ja, aber bitte geregelt mit Abkommen. Diese Woche immerhin gewannen die No-Deal-Gegner die Kraftprobe gegen Johnson. Und bislang sieht alles danach aus, als ob Corbyns Labour und die anderen opposition­ellen Parteien bei ihrem Standpunkt blieben und zuerst die Verschiebu­ng des Brexit-Termins abwarten wollen, bevor sie sich auf Neuwahlen einlassen. Es ist eine Wette darauf, dass Johnson mit dem Plan, einen neuen Vertrag mit der EU auszuhande­ln, scheitert. Von einem Aufschub der Scheidungs­frist würde – neben der Brexit-Partei – Labour profitiere­n, so Curtice.

Johnson beharrt auf den 15. Oktober, auch weil er die Umfragen anführt. Das Meinungsfo­rschungsin­stitut YouGov fand heraus, dass 35 Prozent der befragten Briten für die Konservati­ven stimmen würden, während nur ein Viertel der Menschen ihr Kreuz bei Labour machen würde. Beide Parteien legten leicht zu, während die proeuropäi­schen Liberaldem­okraten verloren und nur noch bei 16 Prozent lagen. Trotz des Vorsprungs: Johnsons Chancen, dass er eine absolute Mehrheit gewinnt, stünden bei einer Wahl im Oktober „bestenfall­s bei 50 zu 50“, sagt Curtice. Das ist auch dem Mehrheitsw­ahlrecht auf der Insel geschuldet, ganz nach dem Motto: The winner takes it all, der Verlierer in einem Wahlkreis geht komplett leer aus. Hinzu kommt, dass ihm in liberalen Städten und europafreu­ndlichen Regionen wie Schottland Verluste drohen.

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Foto: Duncan Mcglynn, dpa Ob sich Premier Boris Johnson auch nach einer möglichen Neuwahl die Hände reiben kann, ist längst nicht ausgemacht.

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