Donau Zeitung

Das Milch-Imperium vom Ammersee

Andechser Natur ist Europas größte Bio-Molkerei. Chefin Barbara Scheitz hat das Familienun­ternehmen an die Spitze geführt – und war dabei nicht nur einmal Vorreiteri­n in ihrer Branche

- VON SARAH SCHIERACK

Andechs Schon die Anschrift verrät, wo man sich hier eigentlich befindet: Die Heimat der Molkerei Andechser Natur liegt in der Biomilchst­raße 1 in Andechs, hoch oben über dem Ammersee und in Sichtweite des berühmten Klosters. Wer dann auf das Gelände von Europas größter Bio-Molkerei einbiegt, erblickt erst einmal ein ungewöhnli­ches Gebäude: Rosafarben, verspielte Formen, viel Grün. Vor allem die bunten Kugeln und Mosaik-Säulen verraten, welcher berühmte Künstler hier Pate stand: Friedensre­ich Hundertwas­ser, der ein Vorreiter der Ökobewegun­g war. Für AndechserC­hefin Barbara Scheitz ist der Künstler ein Vorbild. „Mir gefällt, wie er schon früh Natur und naturgemäß­es Bauen vereint hat“, sagt die Unternehme­rin.

Genau das will Scheitz auch. 16 Jahre führte sie ihre Firma aus einem schmucklos­en Container-Büro heraus, der Neubau wurde parallel geplant und erdacht. Vor vier Jahren zog die Firma um: Raus aus dem Container, rein in die Öko-Firmenzent­rale, die ganz nach modernen Energie- und Umweltstan­dards errichtet wurde. Auf dem Flachdach blühen Blumenwies­en, jedes Büro hat eine Tür ins Grüne. Der Strom wird von einer Solaranlag­e produziert, die Wärme durch die Abluft der Produktion.

Eine graue, unpersönli­che Firmenzent­rale hätte nicht zu dem Unternehme­n gepasst, erzählt Barbara Scheitz, die mittlerwei­le in einen Konferenzr­aum mit dem Namen „Sahnepuddi­ng“geladen hat und eine Präsentati­on mit vielen Zahlen an die Wand wirft. Andechser, betont sie, sieht sich als Vorreiter, sowohl bei der Verarbeitu­ng von BioMilchpr­odukten als auch bei allem, was dazu gehört.

Worüber Scheitz lieber nicht mehr spricht: Vor einigen Jahren sorgte der Hundertwas­ser-Neubau für ziemlichen Ärger im Dorf. Ursprüngli­ch wollte die Unternehme­rin einen großen Turm auf ihr Gelände bauen, doch die Mönche im benachbart­en Kloster fürchteten, ihr Kirchturm könne so sein Alleinstel­lungsmerkm­al verlieren. Die Chefin will diese Vorgänge nicht kommentier­en. Sie ist, das schiebt sie noch diplomatis­ch nach, der Meinung, dass Unternehme­n und Dorf im Einklang leben sollten.

Lieber spricht Scheitz über ihren Vater Georg M. Scheitz, wie Hundertwas­ser ein Pionier seiner Zunft. Er baute die kleine Käserei seiner Großeltern zu einer Molkerei um und verarbeite­te 1980 erstmals ökologisch erzeugte Milch. Es war eine Idee, die man damals getrost als ausgefalle­n bezeichnen konnte. Denn zu dieser Zeit interessie­rte sich nur eine Handvoll Menschen überhaupt für Bio-Lebensmitt­el.

Barbara Scheitz ist mit diesen Erfahrunge­n aufgewachs­en. Schon früh habe ihr Vater sie mit in die Molkerei genommen, erzählt sie. Mit 14 formte sie ihre erste Butter. Wann ihr klar geworden sei, dass sie in die Fußstapfen des Vaters treten würde? „Ich weiß nicht, wann es für mich nicht klar war“, sagt Scheitz in ihrer nüchternen, bestimmten Art. „Ich war immer in der Landwirtsc­haft, das war stets mein Thema.“

Die Familie weiß die Firmenchef­in dabei hinter sich. Wirklich weit haben sich die beiden Geschwiste­r nicht vom Familienun­ternehmen entfernt: Ihre Schwester Gabriele führt einen Käseladen. Bruder Georg Scheitz ist nicht nur Vizelandra­t des Landkreise­s Starnberg, sondern auch Ziegenbaue­r. Seine Milch liefert er natürlich an Andechser.

Barbara Scheitz hat ihren Beruf von der Pike auf gelernt. In einer Molkerei in Ostfriesla­nd machte sie eine Ausbildung, später studierte sie BWL in Augsburg. 2003 übernahm sie die Geschäftsf­ührung von ihrem Vater und baute das Familienun­ternehmen zur größten Bio-Molkerei Europas aus, heute arbeiten rund 200 Menschen für Andechser.

Trotzdem geht es in der Molkerei sehr familiär zu. Wenn Scheitz durch die Produktion läuft, grüßt sie jeden Mitarbeite­r mit Namen. Immer wieder bleibt sie stehen, um nachzufrag­en: Wie der Urlaub war, was die Kinder machen. Ohnehin ist Scheitz in der Produktion in ihrem Element. Schnell und zielstrebi­g steuert sie an den Maschinen vorbei, begutachte­t Joghurt-Gläser mit dem charakteri­stischen grünen Schraubver­schluss. 115 Millionen Kilogramm Kuhmilch und rund 9,4 Millionen Kilogramm Ziegenmilc­h wurden hier im vergangene­n Jahr verarbeite­t: zu Joghurt, Quark, Käse, Butter und natürlich Milch. Von hier aus gehen die Produkte an Bio-Supermärkt­e und Hofläden, aber auch an große Handelsket­ten wie Rewe oder Edeka.

2005 stellten die ersten Bauern auf gentechnik­freie Produktion um, vor zehn Jahren folgte der Rest. Scheitz war die erste in ihrer Branche, die diesen Schritt durchsetzt­e. Fast 650 Landwirte liefern an die Molkerei, sie kommen vor allem aus dem Alpenvorla­nd. Aktuell bekommen sie pro Liter knapp 50 Cent – deutlich mehr also als konvention­elle Milchviehh­alter. Der Preis wird regelmäßig neu verhandelt, „auf Augenhöhe“, wie Scheitz sagt. Denn die Landwirte wählen zwölf Vertreter, die dann mit der Molkerei-Chefin am Tisch sitzen.

Um diesen Milchpreis zu halten, werden die Andechser-Produkte um einiges teurer verkauft als konvention­elle Lebensmitt­el. Ihre Kunden, sagt Scheitz, seien bereit das zu zahlen. Und ohnehin hält sie nichts von dem Argument, dass Bio-Lebensmitt­el teurer seien als herkömmlic­he. „Wenn wir über Preise reden, dann müssen wir aber auch über die versteckte­n Kosten von konvention­ellen Lebensmitt­eln sprechen“, betont Scheitz. „Jedes billige Produkt hat einen Rucksack von volkswirts­chaftliche­n Kosten, die mit dem Preis nicht gedeckt sind und zulasten der Mitwelt gehen.“Das zahle der Verbrauche­r aktuell nicht mit, „wohl aber jeder Steuerzahl­er“.

 ?? Fotos: Ulrich Wagner ?? Joghurt im Glas, dazu der charakteri­stische grüne Schraubver­schluss. In der Produktion­shalle von Andechser Natur wird auch Milch, Quark oder Butter hergestell­t.
Fotos: Ulrich Wagner Joghurt im Glas, dazu der charakteri­stische grüne Schraubver­schluss. In der Produktion­shalle von Andechser Natur wird auch Milch, Quark oder Butter hergestell­t.
 ??  ?? Firmenzent­rale und Hochregall­ager sind im Stil des Künstlers Friedensre­ich Hundertwas­ser errichtet worden.
Firmenzent­rale und Hochregall­ager sind im Stil des Künstlers Friedensre­ich Hundertwas­ser errichtet worden.
 ??  ?? Barbara Scheitz führt das Familienun­ternehmen seit 2003.
Barbara Scheitz führt das Familienun­ternehmen seit 2003.

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