Griechenland träumt vom Aufschwung
Einmal im Jahr hält der griechische Ministerpräsident eine große Rede zur wirtschaftlichen Lage des Landes. Der neue Premier Mitsotakis umgarnt sein Volk mit Steuererleichterungen. Bisher scheint diese Strategie aufzugehen
Thessaloniki Der Auftritt hat Tradition: Alljährlich im September hält der griechische Ministerpräsident zur Eröffnung der Handelsmesse im nordgriechischen Thessaloniki eine wirtschaftspolitische Grundsatzrede. Fast auf den Tag zwei Monate nach der gewonnenen Wahl vom 7. Juli trat Kyriakos Mitsotakis nun erstmals als Premierminister ans Rednerpult im Messezentrum.
Der Tag hatte locker begonnen. Als Mitsotakis am Morgen auf dem Messegelände eintraf, begrüßte ihn ein Musikzug der griechischen Streitkräfte. Die Kapelle stimmte aber nicht etwa einen Marsch an, sondern intonierte den Song „Paradise City“der Rockband Guns N’ Roses. Eine gelungene Überraschung: Der 51-jährige konservativliberale Mitsotakis hatte vor der Wahl in einer Late-Night-TVShow beiläufig erwähnt, dass dieser Track aus dem Jahr 1987 eines seiner Lieblingsstücke ist.
Das Paradies kann Mitsotakis den Griechen jedoch nicht versprechen – oder doch? Seine Rede in Thessaloniki stehe unter dem Motto „Aufschwung für alle“, hieß es seit Tagen in der Umgebung des Premiers. Tatsächlich ist für jeden etwas dabei: Die Unternehmensgewinne werden ab sofort mit 24 statt bisher 28 Prozent besteuert. Die Regelung gilt bereits für das Geschäftsjahr 2019. Später will Mitsotakis den Satz auf 20 Prozent senken. Die Dividendensteuer halbiert die Regierung von zehn auf fünf Prozent. Erleichterungen auch bei der Lohnund Einkommensteuer: Einkommen von bis zu 10 000 Euro im Jahr werden künftig mit neun statt 22 besteuert. Mit einem Zuschuss von 2000 Euro für jedes neugeborene Kind und höheren Kinder-Freibeträgen will Mitsotakis die Demografie des Landes verbessern.
Neben der großen Steuerreform plant die Regierung, noch im September ein Investitionsförderungsgesetz durchs Parlament zu bringen. Mitsotakis kündigte auch weitere Privatisierungen an. Investitionen sind der Schlüssel für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum, aber auch für die Schuldentragfähigkeit des Landes, dessen Verbindlichkeiten sich auf rund 180 Prozent des Bruttoinlandsprodukts belaufen – das Dreifache der im EU-Stabilitätspakt gesetzten Obergrenze.
Trotz der hohen Schulden wirbt Mitsotakis jetzt um, wie er in Thessaloniki sagte, „realistischere“SparProzent vorgaben. Die Vorgängerregierung hatte sich gegenüber den Gläubigern verpflichtet, bis 2022 jährliche Primärüberschüsse im Haushalt von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erwirtschaften, danach für viele Jahre 2,2 Prozent.
Mitsotakis hält diese Auflagen für kontraproduktiv. Er wünscht sich ab 2021 eine Absenkung der Überschussvorgabe auf zwei Prozent, um die Konjunktur mit weiteren Steuersenkungen und öffentlichen Investitionen in Schwung zu bringen. Darüber will er mit den Gläubigern verhandeln. Sein Konzept sei auch im Interesse der Gläubiger, argumentiert Mitsotakis: Je stärker das Bruttoinlandsprodukt wächst, desto schneller sinkt die in Relation zur Wirtschaftsleistung berechnete Schuldenquote. Griechenland sei nicht länger „das schwarze Schaf Europas“, sagte Mitsotakis. „Wir sind ein selbstbewusstes Land, das nicht nur über seine eigenen Probleme redet, sondern gemeinsame Lösungen für die großen Herausforderungen unseres Kontinents sucht.“
Am Vormittag besuchte Mitsotakis bei einem Rundgang durch die Messehallen den Stand Indiens, das in diesem Jahr Gastland der Ausstellung
Mitsotakis zitiert Mahatma Ghandi
ist. Dort zitierte der Premier einen Spruch des Staatsmannes Mahatma Ghandi: „Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich, und dann gewinnst du.“
Mitsotakis, der Anfang 2016 als Outsider in einer Mitgliederwahl zum Vorsitzenden der konservativen Nea Dimokratia (ND) bestimmt wurde, hat bereits das vierte Stadium erreicht. Er hat nicht nur die Parlamentswahl vor zwei Monaten gewonnen, er gewinnt weiter dazu: Nach einer am Sonntag veröffentlichten Meinungsumfrage hat sich der Vorsprung der ND gegenüber dem Linksbündnis Syriza in den vergangenen zwei Monaten von acht auf 16 Prozent verdoppelt.