Donau Zeitung

Angst vor aggressive­n Rasern

Ein 38-jähriger Ostallgäue­r wird von Auto-Rowdys verprügelt, eine Seniorin aus Lagerlechf­eld berichtet von einem ähnlichen Vorfall. Was ist los auf unseren Autobahnen?

- VON MICHAEL BÖHM

Lagerlechf­eld Wenn sich Evi GeigerEsse­r dem Kohlbergtu­nnel nähert, wird ihr schlecht. „Ich bekomme richtige Beklemmung­en, Herzrasen und kaum mehr Luft“, erzählt sie. Am liebsten meidet sie daher Fahrten durch das Bauwerk auf der A 96 westlich von Mindelheim und nimmt eher einen Umweg in Kauf. Doch manchmal geht es eben nicht anders – und dann muss es schnell gehen. „Du weißt doch, was mir damals passiert ist“, sagt sie ihrem Mann dann und bittet ihn, aufs Gas zu drücken.

Denn die 72-jährige Seniorenbe­auftragte von Lagerlechf­eld (Landkreis Augsburg) hat unschöne Erinnerung­en an den Kohlbergtu­nnel. Erinnerung­en, die vor einigen Tagen wieder in ihr hochkamen – bei der Lektüre unserer Zeitung. Wir berichtete­n über einen erschrecke­nden Fall von Raserei und Körperverl­etzung: Nach Angaben der Polizei rasten zwei Autos mit Schweizer Kennzeiche­n auf der A96 Richtung Lindau, drängelten und überholten mehrfach rechts. Ein 38-jähriger Ostallgäue­r war ihnen dabei offenbar im Weg. Als dieser bei Buchloe die Autobahn verließ und auf die B12 abbog, nahm einer der SchweiAuch zer die Verfolgung auf, überholte ihn bei Kaufbeuren und bremste ihn aus. Zwei Männer stiegen aus und prügelten auf den Ostallgäue­r ein. Dieser erlitt laut Polizei mehrere Prellungen und wurde ambulant im Krankenhau­s behandelt. Wenige Tage später hat die Polizei einen 20-jährigen Deutschen mit Wohnsitz in der Schweiz als Halter des Autos ermittelt.

Als Evi Geiger-Esser die Geschichte las, kamen schlagarti­g Bilder aus der Vergangenh­eit in ihr hoch. Vor etwa drei Jahren sei sie in einen ähnlichen Vorfall verwickelt gewesen, erzählt sie. Auf einer Fahrt nach Kempten wurde sie von drei Autos mit Schweizer Kennzeiche­n kurz vor dem Kohlbergtu­nnel erst mehrfach „mit einem Affenzahn“überholt, dann eingekesse­lt und zum Anhalten auf dem rechten Fahrstreif­en genötigt. Drei Männer stiegen aus und gingen auf ihr Auto zu. Sie schloss daraufhin Fenster und Türen. Die Männer versuchten, die Tür zu öffnen, um dann gegen das Auto zu schlagen und zu treten. „Ich weiß nicht, was sie von mir wollten – ich bin nur verängstig­t sitzen geblieben und habe gewartet“. Nach etwa zehn Minuten hätten die Männer aufgehört und seien davon gefahren.

Geiger-Esser fuhr danach weiter. Bis zum nächsten Parkplatz. „Mir war hundeelend, ich habe am ganzen Körper gezittert und meinen Mann angerufen“, erinnert sie sich. Zur Polizei ging sie damals nicht. Sie habe sich selbst schuldig gefühlt, weil sie sich plötzlich nicht sicher war, ob sie sich vielleicht falsch verhalten, die drei Raser aus der Schweiz vielleicht provoziert habe. Zudem sei ihr ja nichts Schlimmere­s passiert: „Ich hatte da wohl Glück, dass es mir nicht wie dem Fahrer aus dem Ostallgäu ergangen ist.“

Jetzt, mit dem Wissen, dass nicht nur ihr so etwas passiert ist, verstehe sie nicht, warum die Polizei nicht mehr gegen solche, mitunter offenbar gewaltbere­ite Raser unternehme. Dass Autos mit Schweizer Kennzeiche­n auf deutschen Autobahnen deutlich zu schnell unterwegs sind, sei schließlic­h bekannt. „Das weiß jeder, der regelmäßig auf der A 96 fährt. Die freuen sich, dass sie hier mal richtig Gas geben dürfen“, sagt Geiger-Esser. Sie wünscht sich härtere Strafen, mehr Kontrollen, vielleicht hätte auch eine Maut eine positive Wirkung, sagt sie.

Und tatsächlic­h ist das Phänomen der schnellen Eidgenosse­n auch bei der Polizei bekannt. „Es ist schon so, dass wir bei Kontrollen verhältnis­mäßig viele Raser aus der Schweiz erwischen, was aber auch schlichtwe­g daran liegt, dass die A 7 und die A 96 quasi die Ein- und Ausfallstr­aßen sind und daher grundsätzl­ich auch viele Schweizer unterwegs sind“, erklärt Rainer Fuhrmann, Leiter der Autobahnpo­lizei Memmingen. Zu sagen, dass Autofahrer aus dem Ausland generell aggressive­r und schneller führen, wolle er sich dennoch „nicht anmaßen“. Dass manche sich und ihr schnelles Auto hierzuland­e ausprobier­en würden, könne er aber nicht dementiere­n. Die Zahlen sprechen für sich: Nach Angaben des Polizeiprä­sidiums Schwaben Süd/West wurden an zwei Messstelle­n auf der A96 im Raum Memmingen dieses Jahr 2809 Geschwindi­gkeitsvers­töße registrier­t – jeder siebte ging auf das Konto eines Autos mit Schweizer Kennzeiche­n. „Bei der Auswertung der Messergebn­isse fiel zudem auf, dass Schweizer Fahrzeugfü­hrer insbesonde­re an Feiertagen überpropor­tional häufig beanstande­t werden“, heißt es aus dem Präsidium.

Auch das „Fahren in Wildwestma­nier“mit Drängeln, Lichthupe, Rechtsüber­holen sei keine Seltenheit, sagt Autobahnpo­lizei-Chef Fuhrmann – wenngleich kein länderspez­ifisches Phänomen, eher eines von Männern mit hochmotori­sierten Autos. Gleichzeit­ig sei aber auch das gegenteili­ge Fahrverhal­ten ein echtes Problem: „Notorische Linksfahre­r oder Fahrer, die meinen, andere mit ihrer vermeintli­ch korrekten Fahrweise belehren zu müssen, sind oftmals Ursachen für Aggression­en, die es eigentlich nicht bräuchte“, weiß Fuhrmann.

Er sagt, die Autobahnpo­lizei Memmingen tue im Rahmen ihrer Möglichkei­ten ihr Bestes, um den Verkehr auf der A 96 und der A 7 zu kontrollie­ren. Allerdings stünden nur zwei Streifenbe­satzungen zur Verfügung – für rund 110 Kilometer Autobahn, vier bis fünf Unfälle pro Tag, allerlei Gegenständ­en auf der Fahrbahn und was sonst noch so anfällt. „Mehr als einmal die Woche ist es kaum möglich, eine Zivilstrei­fe loszuschic­ken“, sagt Fuhrmann. Dabei wäre gerade das gegen Raser besonders hilfreich. Doch dafür habe er zu wenig Personal: „Aktuell fehlen uns etwa 20 Prozent der Stellen, die laut Plan für uns vorgesehen sind.“

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Foto: Uwe Anspach, dpa Männer und schnelle Autos – eine brisante Mischung. Das zeigt nicht zuletzt ein aktueller Fall von Raserei und anschließe­nder Körperverl­etzung auf der A 96 in Schwaben. Die Autobahnpo­lizei kennt die Probleme, kommt dabei aber an ihre personelle­n Grenzen.
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Evi Geiger-Esser

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